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Das alte Tor der Unterneustadt

Ausschnitte aus den Stadtplänen der Unterneustadt von 1673, 1781 und 2009

Ausschnitte aus den Stadtplänen der Unterneustadt von 1673, 1781 und 2009
Foto: Gerhard Böttcher, Kassel

Beim Bau des neuen Alten- und Pflegeheimes der Sozialgruppe Kassel wurden historische Mauerreste freigelegt über deren geschichtliche Bedeutung in der Öffentlichkeit heftig diskutiert wurde. Begleitende archäologische Bodenuntersuchungen sind im alten Kernbereich der Unterneustadt seit der Wiedergründung 1991 Grundbedingungen des Denkmalschutzes.

Auf dem Bauplatz zwischen Unterneustädter Kirchplatz und der Bettenhäuser Straße wird von der Sozialgruppe Kassel als Ersatz für den Renthof ein neues Altenheim gebaut. Auf dem Grundstück, welches an der Außenkante der Stadtbefestigung im 15. Jahrhundert liegt, befindet sich das älteste Neustädter Tor und zur Maulbeerplantage hin die neue Stadtmauer von 1780. An der Außenkante zum Unterneustädter Kirchplatz No. 6 befand sich das Haus der „Fürstlichen Hofbuchdruckerey", später die bekannte Gastwirtschaft „Zum Wilden Wasser" die Heimat des „Raabe Stammtisches". Die ausgegrabenen Mauern bezeichnet Dr. Andreas Thiedemann vom Landesamt für Denkmalschutz in Marburg als ältere Mauerzüge aus dem Barock „Aber auf nichts Besonderes" (HNA vom 22.10.2011). Die Behauptung des Denkmalamtes und des Amtes für Stadtplanung, man habe das alte Neustädter Tor dokumentiert, fotografiert und vermessen, HNA vom 26.10.2011, ohne es auszugraben, ist nicht nachvollziehbar und bleibt ein Geheimnis der städtischen Verwaltung.

Das älteste Neustädter Tor wird 1291 zum ersten Mal erwähnt. Von einer Bezeichnung Unterneustädter Tor kann man erst nach 1690 ausgehen, den bis zu diesem Zeitpunkt gibt es den Namen Unterneustadt nicht. Die Bezeichnung altes und neues Unterneustädter Tor finden wir erst in späteren Stadtbeschreibungen. 1426 erscheint das auf verschiedenen alten Plänen bezeichnete „Alte Tor" als valvae sive portae nove civitatis oppidi Cassel, in einer Urkunde vom 30. April 1462 im Staatsarchiv Marburg. Es mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass dieses Tor bereits den zweiten Torbau beschreibt, den im Stadtplan 1547 von M. Müller ist dieses Tor von allen anderen Stadttoren in Cassel am deutlichsten zu erkennen.

Die frühzeitlichen Stadtpläne, die das „Alte Tor" erkennen lassen, sind zwar ungenau und nicht maßstäblich, lassen aber den Standort zumindest ungefähr zuordnen. Das einzige Haupttor der Neustadt lag am Ausgang der Brückenstraße in der Achse zur Fuldabrücke. „Auf dem Müller Plan fand sich in einem langen Stück Futtermauer des Walles und besaß einen bollwerkartigen Vorbau",vermutlich diente das hintere der beiden Joche als Anschlag für die Zugbrücke, während am vorderen mit Sicherheit das Wachthäuschen zu erkennen ist" . (A.Holtmeyer Kreis Cassel-Stadt Band VI, Seite 92)

Stadtansicht von Cassel 1572
Stadtansicht von Braun und Fr. Hogenberg 1572  Foto: Kirchenarchiv Unterneustadt
Baustelle des Seniorenzentrums des Vereins für Volkswohl
Hier entsteht der Neubau des Vereins für Volkswohl  Foto: Gerhard Böttcher, 2011

Nach der Schleifung von 1548, die durch Kaiser angeordnet war, wurde die Stadtbefestigung 1559 mit erheblich verbesserten Schutz wieder instand gesetzt. Nach dem Bau des neuen Unterneustädter Tor 1585 von Wilhelm IV., das in einer anderen Achse lag blieb das alte Tor zwar verschlossen diente aber noch lange Jahre als Notbrücke, ins besondere wenn im neuem Tor Ausbesserungsarbeiten vorgenommen werden musste, um bei starken Verkehr die Durchfahrt nicht zu behindern. Über die endgültige Schließung des „Alten Tor" gibt es keine genaues Datum, aber in Plänen von Merian 1646 und Wessel 1673 ist das Tor nur noch als vorgelagerte Bastion ohne Übergang zu sehen.

Einer der bedeutendsten Kriegsbaumeister des 16. Jahrhundert war der vielseitige Albrecht Dürer, er galt als Begründer der wissenschaftlichen Befestigungskunst. Das erste von Landgraf Philipp (1526) sowie das zweite von seinem Sohn Wilhelm IV. erbaute Befestigungswerk mit seinen Toren und  Türmen war vom Einfluss der Dürerschen Befestigungskunst beeinflusst.  Der Festungswall der Neustadt unter Philipp wurde 1531 hergestellt (Plan von Michel Müller 1547 und 1548), während der Plan von Braun und Hogenberg 1572 den Befestigungsbau nach der Schleifung von Landgraf Wilhelm IV zeigt. Der Wall selbst ist ein trapezartiger Erdkörper dessen äußere Stirnwand mit Schießscharten aus Stein gemauert war. Die Böschung des Befestigungswall zur Angriffsseite fiel zum Wassergraben schräg ab und war mit einer dichten Dornenhecke gesichert.

Der Wassergraben um die Neustadt war sehr tief und jeweils zur Fulda hin mit Schleusen versehen. Die Breite der Wassergräben betrug durchschnittlich 1-2 Ruten (1 Rute 3,77 m ) und die erhebliche Tiefe ca. 4 Ellen (1 Elle 0,573 m.), so dass auf dem Neustädter Wassergraben nach einer Stadtrechnung von 1553 Schiffe fahren konnten. In einer Urkunde von 1691 wird das „Alte Tor" dahin bestimmt, dass „das alte Tor am Ende des neuen Waisenhaus in der Brückenstraße gelagen war".

Das „Alte Tor" wird von Wilhelm IV. am Ausgang der Brückenstraße belassen aber neuzeitlich ausgebaut. Es besaß einen tunnelartigen Walldurchgang mit einem rundbogigen Erdgeschoßtor mit zweistöckigen Aufbau mit Satteldach. Dem Tor vorgebaut war ein niedriges Rondel mit Zugbrücke zum Torbereich (Bild Stadtansicht von Braun und Fr. Hogenberg 1572).

Über den Festungsgraben führte eine Klappbrücke aus Holz, die abends hochgezogen wurde, tagsüber waren diese meist von einem Soldaten und einem oder zwei Wärtern besetzt. Neben dem Haupttor besaß die Neustadt allerdings noch je eine Pforte mit Sperrvorrichtung die über den Stadtgraben zur Mühle und beim Ziegenstall (Christophstraße) führte. Vor dem Haupttor im offenen Gelände vorgelagert befanden sich zwei Häuser, wobei der größere Bau in alten Plänen als Mühle bezeichnet wird. Nach der Fertigstellung der Festungswerke 1559 von Landgraf Wilhelm IV., galt Cassel als uneinnehmbar.

Das fertiggestellte Seniorenzentrum Unterneustadt 2014
Das fertiggestellte Seniorenzentrum Unterneustadt  Foto: Erhard Schaeffer Kassel

Auf  die heutige Situation übertragen, liegt  das  Torhaus  und das vorgelagerte halbrunde Rondel  im  südwestlichen  Teil  des  Grundstücks  zwischen  Bettenhäuser  Straße, Unterneustädter  Kirchplatz, Maulbeerplantage  und  der  jetzigen  Verlängerung  der Bettenhäuser Straße (am QVC).


Text: Gerhard Böttcher


Editor: Erhard Schaeffer, 2011


Quellen:
Bau- und Kunstdenkmäler im Reg. Bezik Cassel von Dr.ing. Dr.phil A. Holtmeyer
Erdbeschreibung Band 1 von Regenerus Engelhard
Geschichte der Residenzstadt Cassel von Hugo Brunner


Bildnachweis:
Archiv Unterneustädter Kirche
Stadtmuseum

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Kurzbeschreibung

Beim Bau des neuen Alten- und Pflegeheimes der Sozialgruppe Kassel wurden historische Mauerreste freigelegt über deren geschichtliche Bedeutung in der Öffentlichkeit heftig diskutiert wurde. Begleitende archäologische Bodenuntersuchungen sind im alten Kernbereich der Unterneustadt seit der Wiedergründung 1991 Grundbedingungen des Denkmalschutzes.

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