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Der schwarze Schwan, Leipziger Str. 93

Gasthaus Schwarzer Schwan ca. 1933

Gasthaus Schwarzer Schwan ca. 1933
Foto: Heike Susanne Rogg , Gerhard Vaupel, Kassel

Das Gasthaus "Zum Schwarzen Schwan" stand in der sog. Leipziger Vorstadt und wurde durch Bomben im Zweiten Weltkrieg zerstört. Januar 1933 war der Beginn weitreichender Veränderungen politischer wie auch familiärer Art. Aus Gründen des Zeitfaktors nehme ich mir das Recht, die familiäre Situation in den Vordergrund zu stellen.

In der Leipziger Straße 93 in Kassel erblickte ich am 25. Januar um 0.45 Uhr als erster Sohn der Eheleute Heinrich und Amalie Vaupel das Licht der Welt. Als Rufnamen hatten sich meine Eltern den Namen »Gerhard« ausgedacht. Die weiteren Vornamen waren:
»Georg« vom Bruder meines Vaters und »Christian« vom Vater meiner Mutter, die eine geborene Hofmeister war. Meinen Großvater Christian kenne ich leider nur von Bildern, da er zum Zeitpunkt meiner Geburt bereits lange verstorben war. Mein Großvater väterlicherseits wohnte, zusammen mit seiner zweiten Tochter, in der »Eierburg«, Blücherstraße 32.

Bild zeigt Heinrich Vaupel (Vater), Amalie Vaupel, geb. Hofmeister (Mutter) und ihr Baby Gerhard Georg Christian Vaupel
Bild zeigt Heinrich Vaupel (Vater), Amalie Vaupel, geb. Hofmeister (Mutter) und ihr Baby Gerhard Georg Christian Vaupel   Foto: Heike Susanne Rogg

Ich war gerade einmal fünf Tage auf der Welt, da erlebte die deutsche Nation die größte politische Pleite des Jahrhunderts. Das Vielparteiensystem der damaligen Republik stand vor dem Zusammenbruch. Reichspräsident Paul von Hindenburg musste sich dem Druck der Nationalsozialisten beugen und schweren Herzens Adolf Hitler, den „Böhmischen Gefreiten“ wie er ihn nannte, zum Reichskanzler erklären. Für mich selbst kein guter Einstand in die neue Zeit.

Mein Geburtshaus gehörte zum Zeitpunkt meiner Geburt und bis 1934 noch der Familie meiner Mutter, einschließlich der dazugehörigen Gastwirtschaft »Zum schwarzen Schwan«. Nach dem Tod ihres Vaters führte Kurt Hofmeister, der Bruder meiner Mutter, als der Ältere, die Geschäfte weiter, zumal er eine  kaufmännische Ausbildung absolviert hatte. Leider ging diese Konstellation aufgrund dubioser Brauereiverträge, die er abschloss, bereits nach kurzer Zeit völlig in die Hose. Demzufolge musste Konkurs angemeldet werden und Haus sowie Gastwirtschaft kamen in fremde Hände.
Nun wohnten wir, meine Oma Helene, meine Mutter und ich dort zur Miete. Mein Vater war im April 1934 an den Folgen einer Gallenblasenoperation gestorben. Auch ihn kannte ich leider nur von Fotos und vom Hören-Sagen. Mein Onkel Kurt hatte Sophie Fischmann – aus der bekannten Wolfsanger »Fischmann Sippe« - geheiratet und das Elternhaus nach der Pleite verlassen.

Die Erinnerung an meine Kinderzeit beginnt im Alter von etwa vier Jahren noch mit dem »Schwarzen Schwan«. Der Eingang der Gastwirtschaft lag in der Leipziger Straße. Vom Vorraum der Wirtschaft kam man rechter Hand in den Gastraum. Hier roch es immer nach kaltem Bier gemischt mit ebensolchem Zigarettenrauch. Links ging es in einen größeren Raum, der für Veranstaltungen genutzt wurde. Nach Aussagen meiner Mutter musizierten hier mein Vater, Onkel Kurt und drei weitere Bekannte mit Klavier, Geige, Bass und Schlagzeug.

Die Musiker in den 1920er Jahren
Die Musiker in den 1920er Jahren  Foto: Heike Susanne Rogg

Sie spielten sogenannte Kaffeehausmusik, um an Sonn- und Feiertagen bei geöffneten Fenstern die auswärtigen Besucher Kassels, die am Bahnhof Bettenhausen ankamen und zu Fuß in die Stadt wollten, zu animieren, in der Gastwirtschaft eine erste Rast einzulegen.

An einer Wand des Vorraumes hing ein Schokoladenautomat der Marke »Wilhelm Tell«. Für 10 Pfennige konnte man dort leckere Schokolade ziehen. Durch eine Tür auf der Längsseite des Vorraumes kam man in das Treppenhaus und die Wohnräume. An unsere damalige Wohnung habe ich keinerlei Erinnerungen. Ich weiß nur, dass wir im ersten Obergeschoss wohnten.

Blechautomat gelb-violett Aufschrift: Die Zigarette für kleine Raucher
Schokoladenautomat "Tell" Hartwig & Vogel AG Dresden   Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.
Großmutter, Helene Hofmeister, geb. Humburg und Gerhard sind im Blumengarten des Gasthauses unterwegs
Foto: Heike Susanne Rogg

Nummer 93 war ein Eckgrundstück, welches mit seiner Längsseite an den Ölmühlenweg grenzte. Entlang dieses Weges erstreckte sich, abgegrenzt durch einen Drahtzaun und Buschwerk, ein sehr gemütlicher Biergarten mit einem Podium für Musiker auf der Kopfseite. Zwischen Gebäude und Biergarten zog sich ein kopfsteingepflasterter Geh- und Fahrweg bis zu einem großen Blumen- und Gemüsegarten. Dieser Bereich war bis 1938 mein Spielgelände.

In diesen Jahren ging ich sehr oft mit meiner Oma zum Obst- und Gemüseeinkauf in die Gärtnerei Hartgen im hinteren Bereich des Ölmühlenweges. Es war für mich immer ein Erlebnis, auf dem dort abgestellten Pferdewagen zu sitzen, die Kurbelbremse zu bedienen oder mit der langen Peitsche, die seitlich in einem Köcher steckte zu schnalzen. Unvergesslich blieb mir bis heute der Geruch der Pferdeställe. Ein Geruch, der die Erinnerung an damals immer wieder auffrischt.

Bild links: Großmutter, Helene Hofmeister, geb. Humburg und Gerhard sind im Blumengarten des Gasthauses unterwegs

Textauszug aus: "Meine Erinnerungen", von Heike Susanne Rogg (hg) Tochter von Gerhard Vaupel ,

Buch und Fotos: priv.

Editor: Erhard Schaeffer, Oktober 2017

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Kurzbeschreibung

Das Gasthaus "Zum Schwarzen Schwan" stand in der sog. Leipziger Vorstadt und wurde durch Bomben im Zweiten Weltkrieg zerstört. Januar 1933 war der Beginn weitreichender Veränderungen politischer wie auch familiärer Art. Aus Gründen des Zeitfaktors nehme ich mir das Recht, die familiäre Situation in den Vordergrund zu stellen.

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