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Das Fachwerkhaus an der Leipziger Straße 321

Ehemalges Gasthaus Schuetzenhof Leipziger Strasse 321, 2016

Fachwerkhaeuser Leipziger Strasse 317-321, 2016
Foto: Bernd Schaeffer, Kassel

Über einen Zeitraum von mehr als 160 Jahren wurde in der Leipziger Straße 321 Schnaps und Bier ausgeschenkt. Die außergewöhnliche Geschichte des auch als „Schützenhof“ bekannten Wirtshauses endete 1974. Über die häufig wechselten Betreiber und die verschiedenen Eigentümer geben die im Stadtarchiv aufbewahrten Konzessionsakten und das Kasseler Adressbuch detailliert Auskunft. Der untenstehende Beitrag ist auch eine Zusammenfassung der Geschichte eines heute noch erhaltenen alten Fachwerkhauses in Bettenhausen.

Etwas außerhalb des alten Ortskerns von Bettenhausen auf halben Weg zwischen Messinghof und Fischhausweg steht ein beachtenswertes, mehrgeschossiges Fachwerkhaus mit den Hausnummern Leipziger Straße 319 und 321. In diesen von Bruno Jacob auch als die „Neuen Häuser“ bezeichneten Gebäuden wurde schon vor mehr als 200 Jahren ein Wirtshaus betrieben.

AK der Haeuser Leipziger Str. 317-321 aus dem Jahr 1910
AK der Haeuser Leipziger Str. 317-321 aus dem Jahr 1910  Foto: H. Schagruen, Niestetal

Mit dem Vertrag vom 9. Nov. 1814 zwischen Johann Georg Albrand, als Erbauer und Eigentümer der „Neuen Häuser“, und Maximilian Heinrich, Wirt des Lamprechtshof am Dorfplatz und Inhaber des alleinigen Schank- und Beherbergungsrechtes für das Dorf Bettenhausen, wird belegt: Die neue Schankwirtschaft an der Leipziger Straße 321 erhält die Genehmigung, Bier und Schnaps auszuschenken. Der Konzessionsnehmer G. Albrand war gezwungen, seinen Branntwein zu zwei Albussen das Maß von M. Heinrich zu beziehen und weder Kegel- noch Stoßbahn zu unterhalten und keinerlei Musik anzubieten.

Das Gasthaus Leipziger Strasse 321 in der Karte von 1835
Das Gasthaus Leipziger Strasse 321 in der Karte von 1835  Foto: Stadt Kassel, Stadtarchiv

Ein weiteres Zeugnis über das Bestehen des Gebäudekomplexes mit Wirtshaus zwischen Messinghof und Papiermühle findet sich auch in der Kurfürstlichen Generalstabskarte von 1835 – 1840 über die Umgebung von Kassel. Eine Beschriftung der Gebäudenutzung erfolgte in dieser Karte nur bei öffentlicher Nutzung oder besonderer Bedeutung eines freistehenden Anwesens.

Darstellung des Gebaudes in der Niveaukarte von 1855 (NKH-25)
Darstellung des Gebaudes in der Niveaukarte von 1855 (NKH-25)  Foto: Landesvermesungsamt Hessen

Auch in der Niveaukarte für das Kurfürstentum Hessen von 1855 (NKH 25) ist das Wirtshaus zwischen Messinghof und Eisenhammer eingezeichnet und benannt.

Leipziger Strasse 321 mit Bewohnern in 1912
Leipziger Strasse 321 mit Bewohnern in 1912  Foto: H. Schagruen, Niestetal

Die vor dem Gasthaus verlaufende Leipziger Straße war eine wichtige Poststraße zwischen Kassel, Leipzig und weiter nach Berlin. Auf ihr herrschte für damalige Verhältnisse ein reger Verkehr. Für die Reisenden gab es im ersten Obergeschoß des Hauses Gastzimmer zum Übernachten.
Im noch selbstständigen Dorf Bettenhausen erhielt Wilhelm Müller am 19.02.1902 die Schankerlaubnis zum Betreiben einer Wirtschaft im Hause 102, die Anschrift lautete nach der Eingemeindung ab 1906, Leipziger Straße 321.
Unter den Adressen Leipziger Str. 319 und 321 wohnten Arbeiter des benachbarten Messinghofs und der Rochollschen Stockfabrik zur Miete. Sie verdienten ihr Geld als Blechschmied, Stockbieger oder Fahrbursche, Berufe, die längst der Vergangenheit angehören. Mit Sicherheit haben sie sich in ihrer Freizeit im Gasthaus oder in dem dahinterliegenden Biergarten das eine oder andere Bierchen gegönnt.
 

Ansichtskarte des Gasthauses Kupferhammer aus 1906
Ansichtskarte des Gasthauses Kupferhammer aus 1906  Foto: AK Privatarchiv K-P. Wieddekind, Kassel

Am 12.10.1907 wurde Konrad Wittmann Wirt und Eigentümer des Hauses. Schon am 15.01.1909 wechselte die Gaststätte abermals den Wirt, jetzt wurde für kurze Zeit Ludwig Stein Hauseigentümer und Betreiber der Gastwirtschaft. Nach ihm erhielt Alfred Noll am 11.11.1909 die Schankerlaubnis. In dieser Zeit müssen Haus und Gaststätte erheblich abgewirtschaftet gewesen sein, denn ab 1910 steht das Gebäude unter Zwangsverwaltung. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges folgen noch Hermann Zimmermann (1910), Oskar Krauss (1912), Heinrich Hetzler (1913) als Schankwirte in der Leipziger Straße 321. Am 30.03.1915 kehrt mit dem Werkmeister und Wirt Heinrich Marth wieder etwas mehr Beständigkeit ein. Er und später seine Witwe betreiben das Gasthaus bis zum 23.11.1921.
Die in den seit 1902 archivierten Konzessionsakten belegten häufigen Wechsel der Wirte lassen die Schlussfolgerung zu, dass die Rendite der Schankwirtschaft in dieser Zeit für eine gesicherte Existenz sehr knapp gewesen sein muss.

Dem aussagekräftigen, schwarzweißen Foto kann durch ein im rechten Fenster erkennbares Schild entnommen werden, dass zum Zeitpunkt der Aufnahme Oskar Krauss Wirt in der Leipziger Straße 321 gewesen ist. Nach der im Stadtarchiv Kassel vorhandenen Schankerlaubnisurkunde war O. Krauss vom 19.08.1912 bis zum 21.11.1913 Wirt des Lokals. Damit gelang es, das Foto genau zu datieren. Im benachbarten Eingang, Leipziger Straße 319, betrieb seit 1910 Frau Marth ihren Colonialwaren-Laden mit Flaschenbierverkauf.

Lageplan von 1938 aus der Konzessionsakte des Gasthauses
Lageplan von 1938 aus der Konzessionsakte des Gasthauses  Foto: Stadtarchiv Kassel

Im Jahr 1921 erwarb der Gastwirt Heinrich Marställer das Gebäude, zog dort ein und übernahm auch den Betrieb der Schankwirtschaft. H. Marställer hatte als Wirt einer Gaststätte in der Weserstraße 28 schon Erfahrungen gesammelt und betrieb sein neues Lokal bis 1929. Der Werkmeister Josef Wolf aus der nahegelegenen Rochollschen Stockfabrik übernahm am 27.03.1929 als Pächter die Wirtschaft. H. Marställer blieb als Privatmann Eigentümer des Hauses.
Der Gastwirt Hans Steden aus Vollmarshausen wurde am 25.07.1935 neuer Betreiber und Pächter der Wirtschaft. Sein Nachfolger Karl Gottmann übernahm am 16.06.1938 die Gaststätte und mit ihm wird der Name „Schützenhof“ zum ersten Mal aktenkundig. Der Eigentümer H. Marställer zieht im gleichen Jahr in sein neuerbautes Haus Leipziger Straße 325.

Leipziger Strasse 321 ohne Bewirtschaftung, 2016
Leipziger Strasse 321 ohne Bewirtschaftung, 2016  Foto: Bernd Schaeffer, Kassel

Es ist anzunehmen, dass die Namenswahl „Schützenhof“ in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung des Schießsports des Bettenhäuser Schützenvereins von 1867 auf dem 1933 neu errichteten Schießstand auf dem nahegelegenen Lindenberg stand. Im Wirtshaus an der Leipziger Straße fanden die Schützen für ihre jährlich wiederkehrenden Feiern des Preis- und Königsschießens die entsprechenden Räumlichkeiten. Der Hauseigentümer Heinrich Marställer, sein Sohn Wiegand Marställer und seine Enkel Heidi und Heinz Marställer waren über drei Generationen Mitglieder im Schützenverein 1867 e. V. Bettenhausen.
Wegen mangelnder Unterlagen ist nicht nachzuvollziehen, wer in den Zeiten des Zweiten Weltkriegs den „Schützenhof“ betrieben hat. Erst 1949 wird Gustav Müller als Wirt des Lokals im Adressbuch genannt. Der Hauseigentümer H. Marställer stirbt Anfang der 1950er Jahre und seine Witwe Maria Marställer wird für kurze Zeit Eigentümerin, bevor ihr Sohn Wiegand Marställer als Erbe 1952 das Haus übernahm.
Von 1952 bis 1958 war Kurt Ast Gastwirt im „Schützenhof“. Zwischen 1959 und 1964 ist in den Adressbüchern für die Leipziger Straße 321 keine Gastwirtschaft eingetragen. Erst 1965 wird der Kaufmann Karl Vogel als Pächter und Wirt des „Schützenhofs“ genannt. Inzwischen war im Zuge des Ausbaus der Leipziger Straße das Haus Nr. 325 abgerissen worden und an dieser Stelle eine Tankstelle errichtet worden. Noch einmal wechselt 1969 der Wirt des altehrwürdigen Gasthauses. Als Letzter in einer langen Reihe betrieb Heinrich Schnettler das Lokal bis zur Schließung in 1974. Im gleichen Jahr verkaufte Wiegand Marställer das Haus und zog nach Staufenberg OT Dahlheim.
Nach 160 Jahren endete eine wechselvolle Wirtshaus-Epoche an der Leipziger Straße 321. Das Gebäude befindet sich auch heute (2016) noch in einem ansehnlichen Zustand. Von seiner langjährigen Nutzung als Gasthaus ist von außen nichts mehr zu erkennen.

Text, Fotos und Editor: Bernd Schaeffer, März 2016

Quellen:

  • Bettenhausen 1126 - 1926, Bruno Jacob, 1927
  • Festschrift des Heimat und Schützenfest Bettenhausen, Hrsg. Schützenverein 1867 e. V. Bettenhausen
  • Konzessionsakten A. 3. 32. Nr. 2132 des Stadtarchivs Kassel
  • Kasseler Adressbücher von 1906 bis 1994
  • Ausschnitte aus historischen Karten des Hess. Landesamtes für Bodenmanagement und Geoinformation und der Stadt Kassel

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Kurzbeschreibung

Über einen Zeitraum von mehr als 160 Jahren wurde in der Leipziger Straße 321 Schnaps und Bier ausgeschenkt. Die außergewöhnliche Geschichte des auch als „Schützenhof“ bekannten Wirtshauses endete 1974. Über die häufig wechselten Betreiber und die verschiedenen Eigentümer geben die im Stadtarchiv aufbewahrten Konzessionsakten und das Kasseler Adressbuch detailliert Auskunft. Der untenstehende Beitrag ist auch eine Zusammenfassung der Geschichte eines heute noch erhaltenen alten Fachwerkhauses in Bettenhausen.

 

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