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Die Kinderlandverschickung-Kassel im Bombenkrieg
- Autor: Erhard Schaeffer
- Zeit: 1943
- Ort: Salzmannshausen
- Vom: 12.12.2012
- Themen: Zweiter Weltkrieg, Künstler, Chronisten und Biografen
Nach der fast vollständigen Zerstörung Kassels in der Bombennacht vom 22. Oktober 1943 wurden in Nordhessen über 100 Kinderlandverschickungslager für rund 4000 evakuierte Kasseler Schülerinnen und Schüler eingerichtet. Als Elfjähriger erlebte Pfarrer i. R. Heinz Vonjahr diese Kinderlandverschickung nach Battenberg selbst mit. Er wurde dadurch zur ersten umfassenden Gesamtdarstellung unter dem Titel „Kinderlandverschickung – Kasseler Schulen 1943–1945“ in Nordhessen angeregt, 2004 erschienen in der Schriftenreihe „Nationalsozialismus in Nordhessen“ der Universität Kassel.
Der Anstoß zum Buch „Kinderlandverschickung, Kasseler - Schulen 1943-1945“ von Heinz Vonjahr, ist entstanden aus den eigenen Erfahrungen und der Beschäftigung mit seinem Aufenthalt in den Kinderlandverschickung - Lagern der Kasseler Hermann-Göring-Schule (spätere Goethe Schule) in den beiden letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs. Der Schüler Heinz Vonjahr lebte bis dahin mit seinen Eltern und Geschwistern in Salzmannshausen.
Die Kinderlandverschickung war keine Erfindung von Nationalsozialisten. Es gab sie schon im 19. Jahrhundert. Großstadtkinder sollten für einige Wochen aus der Enge und dem Mief der städtischen Mietskasernen herauskommen und sich auf dem Land in frischer Luft und bei guter Ernährung erholen. Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Deutschen Reich stieg die Zahl der verschickten Kinder an. Träger der Kinderlandverschickung waren nun die NSV und die HJ. Nach außen dokumentierte die nationalsozialistische Führung damit ihre Fürsorge gerade für die bisher benachteiligten Bevölkerungsschichten. Gleichzeitig bot die Kinderlandverschickung die Möglichkeit, Kinder und Jugendliche ideologisch zu beeinflussen.
Der Exodus aus Kassel begann mit einer Anordnung aus der Reichshauptstadt Berlin. Mit der Anordnung vom 2. Dezember 1943 aus Berlin wurde Kassel zum Luftnotstandsgebiet erklärt. Nur zwei Maßnahmen wurden getroffen, aber die waren umfassend:
Gemäß dem Antrage des Reichsverteidigungskommissars für den Reichsverteidigungsbezirk Kurhessen ordne ich hiermit...
a) die geschlossene Verlegung der Schulen
b) die Umquartierung von Nichtberufstätigen und sonst nicht kriegswichtig ortsgebundenen Personen, insbesondere der Alten und Siechen
...für den Stadtkreis Kassel an.
Über die Bürgerschulen in Bettenhausen berichtet in dieser Dokumentation Kurt Riebow, Körnerstr. 8, Rektor der Hilfsschule III Kassel-Bettenhausen, Lagerleiter in Herleshausen, aus der handschriftlichen Chronik der Hilfsschule III 1932-1945 im Archiv der Agathofschule Kassel-Bettenhausen. Es ist nicht feststellbar, wann dieser Bericht niedergeschrieben wurde. Das muss jedoch auf jeden Fall vor dem 1. Januar 1957 gewesen sein, denn mit diesem Datum beginnt ein neuer Chronikband. Schuljahr 1943/44 Beginn: 13.8.1943
Schülerzahl am 1.9.1943 insgesamt 153:
Klasse I 16 Jungen + 10 Mädchen = 26 Kinder, Kurt Riebow
Klasse II 21 Jungen + 13 Mädchen = 34 Kinder, Helene Riebow
Klasse III 19 Jungen + 16 Mädchen = 35 Kinder, Richter
Klasse IV 15 Jungen + 22 Mädchen = 37 Kinder, Holzapfel
Klasse V 11 Jungen + 10 Mädchen = 21 Kinder, Kurtz
Klasse VI 10 Jungen + 10 Mädchen = 20 Kinder, Kurtz
Bald nach den Sommerferien wurden zahlreiche Familien der Stadt Kassel aufs Land evakuiert. Die Zahl der Kinder fiel um rund 1/3. Am 1.10.43 betrug die Schülerzahl nur noch 117. Es war oft recht schwierig festzustellen, wohin die Kinder gezogen waren. Am 3.10.43 erlitt Kassel, namentlich der Stadtteil Bettenhausen, einen Bombenangriff. In der Nähe unseres Schulgebäudes gingen mehrere Bomben u. Minen nieder. Das Dach des Schulgebäudes wurde völlig abgedeckt, sämtliche Fensterscheiben zertrümmert; die Türen lagen auf dem Boden; in den Wänden zeigten sich tiefe und breite Risse. Die Wohnung der Hausmeisterin Frau Knapp im Dachgeschoss war vollkommen zerstört. Der Unterricht musste längere Zeit ausfallen. Er wurde dann im Schulgebäude der Hilfsschule I – Schillerstraße – aufgenommen. Ein Instandsetzungstrupp, gebildet aus Berufsschul- u. Werklehrern, deckte das Dach, reparierte die Türen u. Fenster, setzte Fensterscheiben ein oder vernagelte die Fenster mit Pappe. Die Arbeit schritt gut vorwärts, und der Tag schien nicht mehr fern, an dem wir wieder in unser Haus einziehen konnten.
Da kam der schwere Luftangriff in der Nacht vom 22. zum 23. Oktober 1943. Die schöne Stadt Kassel ward ein Trümmerhaufen. Die Zahl der Todesopfer war ungeheuer. Besonders die Altstadt mit ihren engen Gassen hatte viele Tote. Der Stadtteil Bettenhausen war wenig betroffen worden, während die angrenzende Unterneustadt, die noch zu unserem Schulbezirk gehörte, völlig zerstört wurde. – Von den Lehrkräften der Schule waren total beschädigt, d.h. sie hatten all ihre Habe verloren:
Lehrer Fritz Holzapfel – Jahnstr. 24
Lehrer Heinrich Kurtz – Maulbeerplantage 25
Lehrer a.D. Ernst Richter – Sophienstr. 24
Lehrerin Elisabeth Leonhäuser – Blücherstr. 20
Rektor Kurt Riebow – Körnerstr. 8
Nachstehende Schüler kamen beim Angriff ums Leben:
Willi Ludwig, geb. 8.10.29, Mühlengasse 29
Arnold Gunkel, geb. 31.5.31, Bettenhäuser Str. 6
Heinz Grundel, geb. 28.10.34, Bettenhäuser Str. 9
Der Schüler Wolfgang Hilke, geb. 20.3.1931, Gem. Emmichstr. 27, verlor seine Mutter Lisette Hilke, seinen Bruder Heinz u. seine Schwester Edith. Sein Vater war kurze Zeit vorher am 14.9.43 in Italien gefallen.
Nach diesem verheerendem Luftangriff 1943 wurden alle Kasseler Schulen aufs Land verlegt. Für die verschiedenen Standorte finden wir an einer anderen Stelle des Buches folgende Angaben:
Aufstellung Kinderlandverschickungslager (KLV) Herbst 1944
(Ausschnitte für die Schulen in Bettenhausen, Waldau und Unterneustadt im Kasseler Osten aus einer Liste aller Schulen in Kassel)
Lager Nr. | Bezeichnung | Anschrift | Lagerleiter(in) | Anzahl |
---|---|---|---|---|
Ku 097 | Bgschule 26 | Mecklar/Meckbach | Rektor Schaake | 22 |
Ku 098 | Bgschule 26 | Friedlos/Tann | Lehrerin Beinhauer | ? |
Ku 102 | Bgschule 25 | Rasdorf | Lehrer Lilienthal | 85 |
Ku 007 | Bgschule | Gut Elim bei | Lehrerin Laabs | 52 |
Ku 111 | Bgschule | Herleshausen | Hilfsschulrektor | 40 |
Ku 118 | Bgschule 7 | Allendorf | Rektor Riedemann | 20 |
Ku 121 | Bgschule 8 | Reckerode, | Rektor Wagner | 24
|
In der Regel sind die Bürgerschulen mit geraden Nummern Mädchenschulen, die mit ungeraden Nummern Jungenschulen. Insgesamt wurden mehr als 3880 Schüler und Schülerinnen aus Kassel in KLV Lager des Umlandes gebracht.
Wenn sie den kompletten Text dieser beeindruckenden Dokumentation lesen wollen so können sie sich die PDF im Anhang herunterladen.
Editor: Erhard Schaeffer
Quellen:
Heinz Vonjahr, Kinderlandverschickung, Kasseler Schulen 1943-1945 Herausgegeben vom Fachbereich Erziehungswissenschaft/ Humanwissenschaften der Universität Kassel Redaktion: Dietfrid Krause-Vilmar Band 21, Juni 2004
Riebow, Kurt: Alte Chronik der Agathofschule. Hilfsschule III. Kassel-Bettenhausen. 1932 - 1945. Manuskript im Archiv der Agathofschule Kassel-Bettenhausen, Osterholzstraße.
www.vhghessen.de/frankenberg/aktuelles_kinderlandverschickung
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Kurzbeschreibung
Nach der fast vollständigen Zerstörung Kassels in der Bombennacht vom 22. Oktober 1943 wurden in Nordhessen über 100 Kinderlandverschickungslager für rund 4000 evakuierte Kasseler Schülerinnen und Schüler eingerichtet. Als Elfjähriger erlebte Pfarrer i. R. Heinz Vonjahr diese Kinderlandverschickung nach Battenberg selbst mit. Er wurde dadurch zur ersten umfassenden Gesamtdarstellung unter dem Titel „Kinderlandverschickung – Kasseler Schulen 1943–1945“ in Nordhessen angeregt, 2004 erschienen in der Schriftenreihe „Nationalsozialismus in Nordhessen“ der Universität Kassel.
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