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30 Jahre Kaysan und Wagner (1922-1952)
- Autor: Bernd Schaeffer
- Zeit: 1922
- Ort: Leipziger Platz
- Vom: 09.07.2013
- Themen: Firmen- und Industriegeschichte, Industrie und Gewerbe
In das ehemaligen Bettenhäuser Schulhaus von 1872 an der Ecke Leipziger Straße 170/Ochshäuser Straße zog in wirtschaftlich schwerer Zeit nach dem Ersten Weltkrieg die Firma Kaysan und Wagner OHG ein. Die Tätigkeit der Gesellschaft bestand in der Herstellung und dem Handel mit Chemikalien. Anlässlich des 30jährigen Bestehens der Firma in 1952 hatte die letzte Geschäftsführerin, Frau A. Kulla, geb. Wagner, ihrem Vater Hermann Wagner die folgende Geschäftschronik gewidmet.
Die Gründung der Firma Kaysan und Wagner fällt in die Zeit nach dem erster Weltkriege. Eine Zeit der politisch und wirtschaftlich unsicheren Zustände, die auf der einen Seite die Initiative des Einzelnen zu wirtschaftlichen Unternehmen hemmte und auf der anderen Seite unsauberen Elementen Erfolg in solchen verlieh, sofern sie es verstanden, Vorteile aus den herrschenden Zuständen zu ziehen.
Beachtet man diese Umstände, dann wird am besten klar, mit welchen Schwierigkeiten es verbunden war, ein junges Unternehmen auf einer kaufmännisch-soliden Grundlage aufzubauen und zu erhalten.
Am 5. Juli 1922 wurde zwischen den Herren Heinrich A. Kaysan und Hermann Wagner, beide in Kassel, der Gesellschaftsvertrag geschlossen, der die OHG mit Namen Kaysan und Wagner, vorm. H. A. Kaysan Kassel entstehen ließ.
Die Tätigkeit der Gesellschaft bestand zum einen im kommissionsweisen Vertrieb von Chemikalien für fremde Rechnung und zum anderen im Handel bzw. der Herstellung von Chemikalien für eigene Rechnung. Gehandelt werden die für die Textil-, Holz-, Seifen-, Papier- und Metall verarbeitende Industrie gängigsten Chemikalien und Säuren. Die Firmierung lautet deshalb auch zusätzlich: Chemikalien für alle Industrien.
Zu Beginn standen der OHG keine großen Eigenmittel zur Verfügung, wohl aber Räume und Einrichtung, die für Bürozwecke dienen sollten und Lagerräume.
Büro und Lager waren räumlich getrennt. Das Büro befand sich in der Wilhelmshöher Allee Nr.4 in einem Gartenhaus und die Lagerräume in Bettenhausen. Damals arbeiteten im Büro 4 Angestellte und im Lager 3 Arbeiter.
Von Herrn Wagner wurde die erste größere Vertretung - es handelte sich um die Firma Th. Goldschmidt A-G, Essen - in Lagermetall und Reinzinn in die Gesellschaft eingebracht. Die größten Abnehmer waren Henschel und Sohn, Kassel, die das Metall für die Lager der Lokomotiven benötigten. Daneben war Abnehmer der größte Teil der hessischen Basaltindustrie, die das Lagermetall zum Ausgießen der Lager von Steinbrechern brauchte.
Innerhalb der nächsten Jahre erfuhr nun der gesamte Geschäftsbetrieb eine stetig fortschreitende Ausdehnung. Zusätzlich wurden die Handelsgeschäfte der Chemischen Fabrik Bettenhausen, die aufgehört hatte zu bestehen, übernommen und weitergeführt.
Im Rahmen der Weiterentwicklung musste das Büro entsprechend vergrößert werden. So kamen 1925 als neue Mitarbeiter Herr Enderle von der Firma Dr. Krüger und Sommerfell und Herr Direktor Alfred Eckhardt von der Chemischen Fabrik Bettenhausen, der die Buchhaltung übernahm, hinzu und für die fachtechnische Arbeit im Verkehr mit den Kunden der Chemiker Herr Fritz Schlegel, der die Beratung der Industrie über die Verwendung und Verarbeitung der Chemikalien übernahm. Zu dieser Zeit wurde auch die eigene Fabrikation eingerichtet. Als Erstes wurde eine Mischanlage zur Herstellung von Akkumulatorensäure und destilliertem Wasser zur Versorgung der hessischen Abnehmer, wie Post, Eisenbahn, Elektrizitätswerke, Kraftfahrzeug - Reparaturwerkstätten und - Ladestationen, erstellt. Ferner kamen zur Erzeugung: essigsaure Tonerde chemisch rein für Apotheken und Drogerien, essigsaure Tonerde technisch rein für Imprägnierungszwecke, Eisenbeizen für die Farbenindustrie, Lederleim und Kristallsoda.
Schon im Jahre 1924 war der Gesellschafter Herr Heinrich A. Kaysan infolge Todes aus der Gesellschaft ausgeschieden und seine Frau an seine Stelle als persönlich haftende Gesellschafterin getreten. Die Führung der Geschäfte ruhte aber seit diesem Zeitpunkt allein in den Händen von Herrn Hermann Wagner.
Den Umfang des Geschäftes nahm fortlaufend zu, sodass es ratsam erschien, in anderen Orten. Auslieferungslager zu errichten, um eine schnellere Belieferung der Abnehmer zu erreichen. Gleichzeitig mit der Errichtung der Lager wurden in den jeweiligen Bezirken Vertreter bestellt, mit denen eine gute Zusammenarbeit die immerhin große Spanne von 25 Jahren überdauert hat.
Die Auslieferungslager befinden sich zu der Zeit (1952) in: Eschwege, Fulda, Wetzlar, Schlitz und Bad Hersfeld. In Fulda und Wetzlar besitzt die Firma eigene Lagerhäuser nebst Abfüll- und Lagerplatz an der Bahn. Beide Lager sind im letzten Krieg durch Bomben zerstört worden. Das Wetzlarer Lager wurde inzwischen wieder neu aufgebaut und das Fuldaer Lager soll noch in diesem Jahre (1952) neu errichtet werden.
In den Jahren 1932/33 wurde die Verkaufstätigkeit im Grenzgebiet des Absatzraumes Thüringen intensiviert durch die Bildung einer Interessengemeinschaft mit der Firma D.W. Bühner und Sohn, Mühlhausen in Thüringen. Das brachte umsatzmäßig große Vorteile, da Thüringen ein günstiges Absatzgebiet war. Verkauf und Organisation verblieben in Kassel, die Firma Bühner und Sohn fungierte als Lagerhalter und war anteilsmäßig am Umsatz beteiligt. Durch den unseligen Ausgang des Zweiten Weltkrieges mit der Teilung Deutschlands wurden die engen geschäftlichen Beziehungen, die die Firmen verbanden, zerschnitten.
In Kassel selbst erwies sich der eigene Lagerraum ebenfalls als zu klein. Aus diesem Grunde wurde weiterer Lagerraum von ca. 400 qm unweit des Geschäfts in der Ochshäuser Straße von der Firma August Manss hinzugemietet. In den ersten Jahren diente dieser Lagerraum hauptsächlich der Unterbringung von Dünger. Der Verkauf von Stickstoffdünger nahm einen großen Anteil vom Gesamtumsatz für sich in Anspruch, in manchen Jahren bis zu 4000 Tonnen.
Während früher der Versand der Waren hauptsächlich durch die Bahn geschah, ist es in den letzten Jahren mehr und mehr üblich geworden, frei Haus zu liefern. Zwei Lastwagen bewältigen diese Aufgabe. Vor und im Zweiten Weltkrieg war außerdem noch ein Pferdegespann für den Stadtverkehr und den Transport zwischen Lager und Güterabfertigung eingesetzt. Die günstige Lage des Bettenhäuser Grundstücks hatte von vornherein die von den „Deutschen Ton- und Steinzeugwerken“ genehmigte Mitbenutzung eines Gleisanschlusses ermöglicht. Das bedeutet wesentlich verkürzte Arbeitszeit beim Abfüllen und Ausladen der ankommenden Waggons, da der zeitraubende Transport von der Abladestelle zum Lager wegfällt.
Alles, was in mühevoller jahrelanger Tätigkeit aufgebaut wurde, hat unter den Belastungen des Zweiten Weltkrieges manchen Rückschlag erlitten. Von den Zerstörungen in Fulda und Wetzlar und dem Aufhören der Geschäftsbeziehungen mit dem Lager Thüringen war schon die Rede.
Während des Krieges drosselten Bewirtschaftungsmaßnahmen in allen Beziehungen den ungehinderten Ablauf der Geschäfte. Feindeinwirkung ließ Engpässe in der Warenversorgung entstehen und zu dem allen kam die vollständige Zerstörung des Geschäftshauses und der Lagerräume am 19. April 1944.
Trotz allem ging die Arbeit weiter in provisorisch wiederhergestellten und gemieteten Räumen. Der rastlosen Initiative des Geschäftsführers, Herrn Wagners, gelang es, schon wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges den Bau erneut zu errichten.
Den Geschäftsbetrieb wieder auf seinen alten Stand zu bringen, war unter den veränderten Umständen eine äußerst schwierige Aufgabe. Durch die Zweiteilung Deutschlands war das Unternehmen in seiner Warenbeschaffung getroffen. Darum wandte es sich dem Importgeschäft zu und beteiligte sich an einer Einfuhrgemeinschaft der Branche.
Mit zunehmender Gesundung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse konnten neue Pläne gemacht und auch zur Durchführung gebracht werden. So wurden durch die Mitarbeit des Chemikers Herrn Dr. Korten, der seit 1949 dem Betriebe angehört, neue Fabrikationen begonnen, die einen günstigen Start am Markte hatten.
Es wurde u. a. ein Wühlmausbekämpfungsmittel hergestellt, das die Anerkennung des Biologischen Untersuchungsinstituts in Braunschweig erhielt. Außerdem werden Textilhilfsprodukte wie Kupferoxydanat und Uralyd erzeugt.
Bei einem Luftangriff im Jahre 1943 war die Gesellschafterin Frau Ida Kaysan, Witwe des schon 1924 verstorbenen ursprünglichen Gesellschafters, ums Leben gekommen. An ihre Stelle traten ihre Kinder in einer Erbengemeinschaft. Am 22. September 1950 wurde nun nach Auseinandersetzung mit den Erben die OHG aufgelöst. Herr Hermann Wagner war seit diesem Zeitpunkt Alleininhaber der Firma.
Dieses Ereignis hat eigentlich nur noch rechtliche Bedeutung, denn wirtschaftlich gesehen, hat die langjährige Geschäftsführertätigkeit Herrn Wagners ohnehin der Firma das entscheidende Gepräge gegeben.
Die Darstellung der Entwicklung einer Firma bleibt solange ohne Leben und wirkliche Aussagekraft, als man nur an chronologisch aufgezählten Ereignissen den Fortschritt misst. Das Erscheinungsbild eines Betriebes wird zuerst durch die in ihm tätigen Menschen und die zwischen ihnen bestehenden persönlichen Beziehungen geprägt.
So fällt das größte Gewicht an Verdienst demjenigen zu, der durch seine Unternehmungslust und Arbeit die Voraussetzungen zur Entstehung des Betriebes geschaffen hat. In unserem Falle also Herrn Hermann Wagner, der in jahrelanger unermüdlicher Arbeit das aus der Firma gemacht hat, was sie heute ist. Keine noch so widrigen Umstände haben es vermocht, seinen Unternehmungsgeist zum Erlahmen zu bringen. Er gehört zu jenen Unternehmertypen, von denen der Nationalökonom Schumpeter sagt, dass sie es sind, die durch immer neue Kombinationen den volkswirtschaftlichen Entwicklungsprozess in Fluss halten und vorantreiben.
An seine Person und seiner Planung sind alle Vorstöße der Geschäftstätigkeit auf Neuland gebunden. Immer kam von ihm die entscheidende Anregung.
Heute (1952) kann er auf verflossene 30 Jahre zurückblicken und mit Stolz feststellen, dass das Ansehen der Firma Kaysan und Wagner sein ureigenstes Lebenswerk ist. Dass seine Leistung auch außerhalb der Grenzen seines Betriebes nicht unbeachtet blieb, zeigen die mannigfachen verantwortungsvollen Aufgaben, die von der Öffentlichkeit ihm im Laufe seines Lebens anvertraut wurden.
Aber eine Einschränkung müssen wir noch machen, wollen wir die Entwicklung der Firma wirklich insgesamt erfassen. Auch dem fähigsten Unternehmer sind die Hände gebunden, wenn er ohne Mitarbeiter sich an sein Werk machen wollte. Erst in der engeren Zusammenarbeit mit ihnen liegt der wirkliche Wert eines lebendigen und fortschreitenden Betriebes. Dass diese Erkenntnis seit jeher oberster Leitsatz für die Gestaltung der Arbeit in der Firma Kaysan und Wagner war, bestätigt sich einmal in der Persönlichkeit ihres Leiters und zum anderen in der langjährigen Zugehörigkeit der meisten Betriebsangehörigen zum Betrieb. Eine wirkliche Arbeitsgemeinschaft bilden alle Mitglieder der Firma, die sich herausbildete nicht nur im Verlauf gemeinsam verbrachter Arbeitsstunden, sondern auch im Erleben so mancher schönen Stunde, die der Freude und Erholung gewidmet war. Dafür hat der Chef der Firma immer in erster Linie gesorgt, dass solche Tage der gemeinsamen Ausflüge oder Feierstunden so besonders schön ausgestaltet wurden Dass sie für alle zur bleibenden Erinnerung an etwas Außergewöhnliches wurden und gerade dadurch eine Verbindung aller untereinander schufen, die noch stärker und persönlicher ist, als das tägliche Beisammensein am Arbeitsplatz sie schaffen kann.
Gerade in diesem und dem letzten Jahr haben die Feierstunden anlässlich der Jubiläen langjähriger Betriebsangehöriger gezeigt, in welchem Geiste alle Menschen in diesem Betrieb zusammenleben und -arbeiten. In der Lebensgeschichte der Firma darf die Erwähnung derer, die lange Jahre durch ihre Arbeit mitgeholfen hatten, die heutige Gestalt der Firma zu schaffen, nicht fehlen:
(Die im Original hier eingefügte Namensliste wurde zum Datenschutz der genannten Personen nicht veröffentlich.)
Aus dem Geist, der durch all die Jahre hindurch das gemeinsame Schaffen getragen hat, gilt es für die Jungen weiterzubauen.
Dem Leiter der Firma und seinen Mitarbeitern gilt der Wunsch für eine weitere langjährige und von Erfolg gekrönte Arbeit in der Firma Kaysan und Wagner.
Nachtrag:
Die Firma wurde Mitte der 1980er Jahre verkauft und der Standort in Kassel-Bettenhausen wenig später aufgegeben.
Text und Fotos: A. Kulla + 2014, Kassel
Editor. Bernd Schaeffer, Juli 2013
Die Chronik wurde 2011 in der Broschüre "Industriestandort Bettenhausen, Bd.2" herausgegeben vom "Geschichtskreis Bettenhausen früher und heute" veröffentlicht.
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Kurzbeschreibung
In das ehemaligen Bettenhäuser Schulhaus von 1872 an der Ecke Leipziger Straße 170/Ochshäuser Straße zog in wirtschaftlich schwerer Zeit nach dem Ersten Weltkrieg die Firma Kaysan und Wagner OHG ein. Die Tätigkeit der Gesellschaft bestand in der Herstellung und dem Handel mit Chemikalien. Anlässlich des 30jährigen Bestehens der Firma in 1952 hatte die letzte Geschäftsführerin, Frau A. Kulla, geb. Wagner, ihrem Vater Hermann Wagner die folgende Geschäftschronik gewidmet.
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