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Kosaken kämpfen 1813 im Kasseler Osten

Kosak

Kosak mit Pferd, Schwert und Lanze
Foto: Illustriertes Familien-Journal. Zur Unterhaltung und Belehrung. Band 16. 1862 , zitiert nach „http://www.lexikus.de/bibliothek/Der-Kosak-und-sein-Pferd“

Am 28. September 1813 griffen Kosaken unter dem russischen Gerneral Czernitschew von Niederkaufungen kommend die Hauptstadt des Westphälischen Königreichs Cassel an. Am Kupferhammer wurden die ersten westphälischen Truppen zurückgeschlagen und sammelten sich am Forsthaus (heute VW-Autohaus), wo sie vernichtend geschlagen wurden. Kanonen auf dem Forst fielen in russische Hand und eine Kompanie lief zu den Russen über. Bei einem weiteren Kampf auf der "Bettelbrücke" (heute Brücke über den Wahlebach beim Straßenbahndepot) wurden die westphälischen Truppen zurückgeschlagen, die Kosaken besetzten die Unterneustadt und ließen die Gefangenen im Kastell frei.
Danach sammelten sich die russischen Truppen auf dem Forst, zogen sich nach Melsungen zurück und griffen am 30. September wieder an, die Franzosen in Kassel ergaben sich. Am 1. Oktober erklärte General Czernitschew im Namen des russischen Zaren in einer feierlichen Proklamation das Westphälische Königreich für aufgelöst.

Das Westphälische Königreich war von Napoléon Bonaparte per Dekret vom 18. August 1807 für seinen jüngsten Bruder Jérôme geschaffen worden, es gehörte zum „Rheinbund“, die Hauptstadt war Cassel. Das Reich erstreckte sich von der Elbe bis Marburg und von Bielefeld bis Nordshausen.

 

Westphälisches Königreich
Karte des Königreichs Westphalen um 1810  Foto: Wikipedia

Die größte Ausdehnung hatte es 1810 mit über 63000 km2 und 2,6 Millionen Menschen. Viele Bürgerinnen und Bürger hatten sich im Wesentlichen mit dem System arrangiert, der Handel gedieh, dennoch wurden sie durch die Geheimpolizei intensiv überwacht, alles Inländische wurde missachtet, die Wilhelmshöhe wurde in Napoleonshöhe umbenannt. Es gab auch immer wieder Aufstände, deren Anführer 1807 und 1809 auf dem Forst erschossen wurden, ein Denkmal erinnert noch daran. Die meisten wollten sich dieser Fremdherrschaft so bald wie möglich entledigen.

Nachdem die „Grande Armee“ mit nur noch 20000 Soldaten aus Moskau zurückkehrte, mit über einer Million war sie aufgebrochen, war Napoleon so geschwächt, dass Preußen und Russland die Chance sahen, ihn endgültig aus Deutschland zu verjagen. Später beteiligten sich auch Österreich und andere Staaten. Doch noch bevor er in der Völkerschlacht bei Leipzig am 19. Oktober 1813 endgültig besiegt wurde, befreite der russische General Czernitschew  mit seinen Kosaken Cassel und löste dort das Westphälische Königreich auf. Die Kosaken waren beritten und kämpften mit Schwert und Lanze, z. T. noch mit Pfeil und Bogen.

Dem Oberbefehlshaber der schwedischen Armee, Kronprinz Karl XIX Johann, fiel ein Schreiben des Gesandten Reinhard zu Kassel an den Staatssekretär Hugo Marek in die Hände, aus dem ging hervor, daß König Jérôme, in deutschen Schriften immer Hieronymus genannt, große Verteidigungsprobleme hatte. Karl Johann sah hierin eine große Chance, dem Westphälischen Königreich den Todesstoß zu versetzen. Sein General Czernitschew, der sich bereits in Bernburg (südlich von Magdeburg) aufhielt, wurde aus diesem Anlass nach Kassel gesandt. Am 15. September 1813 überquerte er mit über 2000 leichten Reitern und 4 Kanonen bei Roßlau die Elbe und war am 24.09. in Eisleben. Diese Truppenbewegungen wurden Jérôme gemeldet, der forderte vom Hauptquartier in Mainz eine 3200 Mann starke Marschkolonne an, die ihm wegen Napoleons Direktiven aber verweigert wurde.

Vertreibung der Franzosen
Kampf in der Unterneustadt  Foto: Sammlung Gerhard Böttcher

Czernitschew erreicht nach einem Gewaltmarsch am 28. September 05:30 Uhr Niederkaufungen, um im dichten Nebel einen Überraschungsangriff auf Cassel vorzunehmen. König Jérôme erfuhr davon durch einen Spion und flüchtete mit 160 Wagen in Begleitung seiner Minister und Gesandten unter dem Schutz von über 2000 Soldaten (1000 Gardehusaren, 2 Bataillone Fußgarden) über die Frankfurter Straße. Schon am nächsten Tag war er in Wetzlar und später in Koblenz (alles Rheinbundstaaten).

Czernitschew
General Alexander Iwanowitsch Czernitschew  Foto: Regensburger Portraitgalerie

General Allix war von Jérôme mit der Verteidigung Kassels beauftragt. Er schickte den Kosaken einige Kompanien Jäger und Husaren entgegen. Die Letzteren hatten gerade die Ausbildung aufgenommen und  konnten weder kämpfen noch reiten. Eine andere Kompanie sollte über den Eichwald angreifen, lief aber zu den Russen über. Am Kupferhammer sollten die Kosaken abgefangen werden, diese aber schlugen die Verteidiger bis zum Forsthaus (heute VW-Autohaus) zurück und vernichteten viele. Dabei wurde der russische Oberst Bedriaga durch 2 Kopfschüsse getötet. Gleichzeitig eroberte eine andere russische Schwadron die zum Übungsschießen auf dem Forst stehenden 4 Kanonen und zwei Haubitzen. Die reitende Artillerie der Russen jagte dann im Galopp durch Bettenhausen und besiegte an der „Bettelbrücke“ (Brücke über den Wahlebach in Nähe des heutigen Straßenbahndepots) vier Kompanien westphälischer Soldaten, die dann in wilder Flucht über das Leipziger Tor nach Kassel zurückeilten. Die Russen nahmen dann ohne Mühe das Leipziger Tor.  

Die Fuldabrücke war indessen mit Wagen barrikadiert worden. Die Kosaken besetzten die Vorstadt (Unterneustadt) und befreiten die im Kastell einsitzenden 120 Staatsgefangenen, die sich dann über Gärten und Wiesen schnell von diesem Ort entfernten. Später, so Gerhard Böttcher, trieben einige in Cassel ihr Unwesen und wurden wieder gefangen genommen und eingesperrt.

Die mit Kanonen bewehrte Barrikade konnte Czernitschew wegen der ihm fehlenden Infanterie nicht nehmen, außerdem befürchtete er, von zwei westphälischen Heeren, die in Göttingen und Heiligenstadt standen, in die Zange genommen zu werden. Also zog er sich auf den „Forst“ zurück, außerhalb der Reichweite der Geschütze.

1805 schrieb Johann Christian Krieger:

„Der Forst...nimmt außerhalb dem Leipziger Thore, am Ende der Leipziger Vorstadt seinen Anfang, ist vollkommen eben und von einem so großen Umfange, daß der wohl sehr wenige Plätze seines Gleichen findet. Vom rechten Ufer der Fulde an, erstreckt er sich bis vor die Dörfer Bettenhausen, Waldau und Ochshausen.   Landgraf Heinrich der Eiserne schenkte diesen Wald der Stadt Cassel zu Erbauung der Freyheit, wodurch er bis auf wenige Bäume... ausgehauen und nachher der Stadt zur Viehweide überlassen wurde, welches Landgraf Ludwig der Erste im Jahr 1413 bestätigte...Von der ungeheuren Fläche kann man sich schon dadurch einen Begriff machen, daß im Jahr 1799, zu Anfang des Maymonats ...die sämmtliche hessische Armee, aus mehr als 20,000 Mann Infanterie und Cavallerie bestehend, auf diesem Forst ein Lager aufgeschlagen hatte, sondern auch noch mehr als überflüssigen Raum behielt, um ihre Kriegsübungen in Gegenwart mehrerer Tausend von Zuschauern  vornehmen zu können.“

Cassel 1835
Kartenausschnitt Cassel 1835  Foto: Stadt Kassel

Vorsichtshalber zog sich Czernitschew mit 500 Gefangenen weiter über die Söhre nach Melsungen zurück, wo auch der Oberst Bedriaga bestattet wurde. Heute gibt es hier noch eine Tafel und ein großes Steinkreuz, welches an ihn erinnert. Der französische General Allix wähnte sich schon sicher, als die Kosaken am 30. September um 14 Uhr in langen Kolonnen aus dem Melsunger Wald (wahrscheinlich der Söhrewald) auf das Leipziger Tor marschierten. Kassel wurde aus dem Forst wenig erfolgreich beschossen, zwei Pferde und ein Gärtner auf dem Friedrichsplatz waren die einzigen Opfer. Um 15 Uhr wurde das Leipziger Tor siegreich angegriffen, in der Stadt entwickelte sich ein Tumult durch den wilden Volkszorn gegen die Franzosen, sodass an eine Verteidigung nicht mehr zu denken war. Die Franzosen kapitulierten, dafür bekamen sie freien Abzug, bis auf die Kanonen durften sie alles mitnehmen. Am 1. Oktober erklärte General Czernitschew im Namen des Zars Alexander in einer feierlichen Proklamation, dass das Königreich Westphalen nun aufgelöst sei.

Am 3. Oktober verließ Chernitschew aus Sicherheitsgründen Kassel, jetzt mit 41 Kanonen, vielem Pulver und anderer Munition, gut gefüllten Kassen, Kleidungsstücken und Stoffen, dem Staatswagen des Königs und 650 Gefangenen. Auf ihrem Marsch nach Norden versteigerten die Soldaten ihre Beute in den Städten an die Bürger.

Erinnerungstafel mit Kugel
Erinnerungstafel mit Kugel  Foto: @Falk Urlen

Am 8. Oktober zog General Allix wieder in Kassel ein, der Stadtrat hatte die Regierung zwischenzeitlich übernommen, seine Mitglieder wurden gefangen gesetzt und sollten hingerichtet werden. Am 16. Oktober erschien auch wieder Jérôme und begnadigte diese Männer. Als ob nichts geschehen wäre, wurde am 24. Oktober schon wieder ein Hofball gefeiert. Zwei Tage später erfuhr „König Lustik“ von der verlorenen Schlacht bei Leipzig und kehrte nach Frankreich zurück, um nie wiederzukehren. Aus der „Napoleonshöhe“ wurde wieder die „Wilhelmshöhe“.

Hans Ludewig weist in seinem Büchlein auf die letzte aus dieser Zeit erhaltene Kanonenkugel hin: "Es handelt sich dabei um eine Kanonenkugel, die im Treppenhause des Eckhauses Treppenstraße, Obere Königsstraße [41 a] ein­gemauert ist [...] Diese Kanonenkugel ist am 30. September 1813 in das vordem hier stehende Nahl'sche Haus eingeschlagen."

Redaktion: Falk Urlen, September 2013

Literaturhinweis:
Herbert Simon; Leben und Sterben des Obersten Bedriaga. Zur Geschichte des Grabkreuzes auf dem alten Friedhof in Melsungen in:
Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, Bd. 89 (1982/83), S. 157-164
http://www.vhghessen.de/inhalt/zhg/zhg_89_1982_83.htm
(hier hinter "Herbert Simon" auf das PDF-Icon klicken.

Literatur:

  • Bretschneider, Karl Gottlieb: Der vierjährige Krieg der Verbündeten mit Napoleon Bonaparte in Russland, Teutschland, Italien und Frankreich in den Jahren 1812 bis 1815, Annaberg 1816.
  • F.v.d.K., Zwölf Anekdoten, für die jetzige Zeit gesammelt, in: Das erwachte Europa, Zweiter Band. , S.S. 59 ff.
  • Hartmann, Stefan: Kosaken in Kassel, in Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, 1994, Band 99, SS 53 ff. (Hartmann übersetzt hier einen Bericht, den wahrscheinlich der Generalsekretär des Staatsrates verfasst hat. Er berichtet aus französischer Sicht den Einmarsch Czernitschews in Kassel).
  • Heidelbach, Paul: Kassel - Ein Jahrtausend Hessische Stadtkultur, Hrsg. von Karl Kaltwasser, Kassel 1957.
  • Hoppe, Dieter: Der Freiheit eine Gasse, 2009 (http://heiligenberg-blog.de/wp-content/uploads/hoppe/A05_Der%20Freiheit%20eine%20Gasse-Teil1.pdf).
  • Krieger, Johann Christian: Cassel in historisch-topographischer Hinsicht. Nebst einer Geschichte und Beschreibung von Wilhelmshöhe, Marburg 1805, S. 103ff.
  • Ludewig, Hans: Damals bei uns zu Haus, Kassel 1957, S. 33.
  • Schuster, Johann: Der teutsche Krieg im Jahre 1813 nach Oestreichs Beitritte: Band 1, Leipzig 1814, S. S. 196 ff.
  • Urlen, Falk: Forstfelder Geschichte[n].
  • Venturini, Karl: Rußlands und Deutschlands Befreiungskriege von der Franzosen-Herrschaft unter Napoleon Buonaparte in den Jahren 1812—1815, Leipzig und Altenburg 1816,SS 387 - 392.
  • Oestreichische militärische Zeitschritt, Achtes Heft,  Wien 1824, S. 96
  • Jubelkalender zur Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16.-19. October A. D. 1813, Leipzig

 

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Kurzbeschreibung

Am 28. September 1813 griffen Kosaken unter dem russischen Gerneral Czernitschew von Niederkaufungen kommend die Hauptstadt des Westphälischen Königreichs Cassel an. Am Kupferhammer wurden die ersten westphälischen Truppen zurückgeschlagen und sammelten sich am Forsthaus (heute VW-Autohaus), wo sie die Verteidiger vernichtend schlugen. Kanonen auf dem Forst fielen in russische Hand und eine Kompanie lief zu den Russen über. Bei einem weiteren Kampf auf der "Bettelbrücke" (Brücke über den Wahlebach beim Straßenbahndepot) wurden die westphälischen Truppen zurückgeschlagen, die Kosaken besetzten die Unterneustadt und ließen die Gefangenen im Kastell frei. Danach sammelten sich die russischen Truppen auf dem Forst, zogen sich nach Melsungen zurück und griffen am 30. September wieder an, die Franzosen in Kassel ergaben sich. Am 1. Oktober erklärte General Czernitschew im Namen des russischen Zaren in einer feierlichen Proklamation das Westphälische für aufgelöst.

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