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Krinolinenfabrik von Siegfried Hirsch

Krinolinenzeit ab 1830

Foto: neheleniapatterns.com

Im 19. Jahrhundert wurde Stoff mit Rosshaar gewebt, der dann über ein Gestell (Krinoline) gezogen wurde. So entstand ein weit abstehender, bauschiger Frauen-Reifrock, der in der modischen weiblichen Gesellschaft mit Rang und Namen bevorzugt getragen wurde. Eine solche Krinolinenfabrik von A. Hirsch & Co. stand in der Christophstraße Ecke Bettenhäuser Straße Nr. 5 in der alten Unterneustadt.

Das Unternehmen wurde 1859 als Corsettfabrik von dem im Juli 1903 verstorbenen Siegfried Hirsch unter dem Firmennamen A. Hirsch & Co. gegründet.

Stadtplan von 1766
Stadtplan der Unterneustadt von 1766, die Brückenstr. wurde später in Bettenhäuser Str. und der Ziegenstall in Christophstr. umbenannt  Foto: @Stadtteilzentrum Agathof e.V.
Christophstr. von Bettenhäuser Nr. 5 links
Blick von der Bettenhäuser Straße 5 in die Christophstraße um 1900 links die Krinolinenfabrik und rechts das Gebäude des späteren Rentamts  Foto: @Stadtteilzentrum Agathof e.V.

Hirsch fing in ganz kleinem Maßstabe an, den damals gesuchten Krinolinen-Stahl herzustellen und ging dann nach Erlöschen der Mode dazu über, Stahleinlagen für Korsetts (als Ersatz für Fischbein) zu fabrizieren. Die Fabrikation wurde damals in Deutschland von 25 Fabriken betrieben und ist von Hirsch in Deutschland eingeführt worden. Er darf daher als ihr Begründer gelten.

Im Jahre 1886 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft für Federstahl-Industrie vorm. A. Hirsch & Co. Cassel unter Übernahme der Corsettfabrik umgewandelt und allmählich durch Erweiterung der Produktionspalette und Errichtung eines Walzwerkes erheblich vergrößert.

Halb aufgeschnitten dargestellte Krinoline
Darstellung einer halbaufgeschnittenen Krinoline  Foto: @Stadtteilzentrum Agathof e.V.

Hergestellt wurden namentlich Korsett- Jalousiefedern, Bandmasse, Fahrradfedern und Federn für militärische Zwecke. Das Unternehmen hatte Filialen in Mehlis, Aschersleben und Wiesensteig. Die letzteren beiden Zweigwerke wurden 1926 geschlossen. An der Wende zum 20. Jh. betätigte sich die Gesellschaft neben der Federstahlproduktion auch im Betrieb von dutzenden Gas- und Elektrizitätswerken in Luxemburg, in der Tschechoslowakei sowie in den Werken der “Hassia Gas- und Elektrizitätsbetriebs-Ges.” in Nordhessen und im südlichen Harzvorland. Großaktionär der bis 1927 in Berlin börsennotierten AG war mit zuletzt 91 % der Dortmunder HOESCH-Konzern, an den die Federstahl AG 1937 auch per Organvertrag mit Garantiedividende für die wenigen außenstehenden Aktionäre fest angebunden wurde. In der ursprünglichen Spezialität von Korsettfedern war das Unternehmen in Deutschland und in der Welt eine der größten und führenden Hersteller. Die Korsettfeder-Produktion ging nach ganz Europa und Amerika. Für die Herstellung der gesamten Palette benötigte man sechs Dampfmaschinen die jeweils von ca. 500 PS betrieben wurden.

Stammaktie Ferderstahl Industrie
Aktie 600 RM 30.11.1929, Ausgabeort Kassel  Foto: Deutsche Wertpapierauktions GmbH

Sozialer Fortschritt: Aktiengesellschaft mit Arbeiterbeteiligung

Die Aktiengesellschaft für Federstahl Industrie hatte seit 1892 eine Arbeiter-Beteiligung eingeführt. Dies war in Zeiten der Industriellen Revolution ein bis dahin nicht bekannter Fortschritt.

Nach 6-jähriger Tätigkeit erhielt der männliche Arbeiter eine Gratifikation von von 6 Mark, nach 3-jähriger Tätigkeit 3 Mark und nach 1-jähriger Tätigkeit 1 Mark von jedem Prozent Dividende, dass die Gesellschaft nach Jahresrechnung auszahlte. Die weiblichen Beschäftigten erhielten die Hälfte. In ihrer Hochzeit beschäftigte das Unternehmen mit seinen Filialen ca. 600 Personen, darunter die Hälfte Frauen.

Da in den Jahren 1892-1902 regelmäßig 12% verteilt wurden, beträgt der Gewinnanteil eines 6-jährigen Arbeiters 72 Mark. Auf diese Weise wurden allen Beschäftigten jährlich insgesamt zwischen 10-12.000 Mark ausgezahlt. Mit dieser Maßnahme hörte das Vorschussnehmen der Arbeiter, deren finanzielle Lage sich somit erheblich verbessert hatte, fast ganz auf.

Die Firma blieb nachweislich von den um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert zunehmenden Lohnstreitigkeiten verschont, jedenfalls sind Zwistigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht bekannt.

Blick in die Bettenhäuser Straße
Blick von der Fulda auf das Gebäude der ehemaligen Krinolinenfabrik hinter dem Rentamt am rechten Bildrand  Foto: ca. 1930 Stadtarchiv Kassel

Text: Gerhard Böttcher, 2011

Editor: Erhard Schaeffer, Oktober 2014

Quellen:

  • Geschichte der Residenzstadt Cassel Prof. Dr. Hugo Brunner
  • Festschrift der 75.Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte 1903
  • Beitrag von Handelskammersyndikus Dr. phil. Metterhausen
  • Wiktionary, freies Wörterbuch
  • www.neheleniapatterns.com/html/body_ krinolinenstahl
  • www.dwalive.de

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Kurzbeschreibung

Im 19. Jahrhundert wurde Stoff mit Rosshaar gewebt, der dann über ein Gestell (Krinoline) gezogen wurde. So entstand ein weit abstehender, bauschiger Frauen-Reifrock, der in der modischen weiblichen Gesellschaft mit Rang und Namen bevorzugt getragen wurde. Eine solche Krinolinenfabrik von A. Hirsch & Co. stand in der Christophstraße Ecke Bettenhäuser Straße Nr. 5 in der alten Unterneustadt.

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