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Streik und Entlassungen, Arbeitskampf am Anfang des 20. Jahrhunderts in Kassel

Drei Metallarbeiter in Streikpose

Streik von Stanislaw Lentz, polnischer Maler, seit 1909 Professor an der Akademie der Bildenden Künste Warschau, Gemälde von 1910 hängt im Museum Narodowe Warschau
Foto: Stanislaw Lentz Warschau

Der konjunkturelle Aufschwung der deutschen Wirtschaft begann bereits in den 1860er Jahren und setzt sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts weiter fort. Auf der Arbeiterseite spitzen sich branchenübergreifende Streikbewegung und die Arbeitsniederlegungen, die durch die Arbeitgeber häufig mit drastischen Aussperrungen und Entlassungen beantwortet wurden, kurz nach der Jahrhundertwende immer mehr zu. Es ging um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.

Der Regierungspräsident, August von Trott zu Solz, kommt 1900 in einem Bericht über die Lage der Arbeiter im Regierungsbezirk Kassel insgesamt noch zu dem Ergebnis:

"Bei den gegenwärtig hohen Löhnen haben die Arbeiter im allgemeinen ihr gutes Auskommen und stehen sich besser als die kleinen Landwirte und kleinen Gewerbetreibenden. An Arbeitsgelegenheit fehlt es nicht.... So sei es trotz der Hetze der sozialdemokratischen Parteiführer gegen die Arbeitgeber auf einer Versammlung der Textilarbeiter in Bettenhausen bei Kassel nicht zu einem Ausstand gekommen."

Am 10. August 1900 treten hingegen in Kassel 55 Pflasterer in den Ausstand. Der Streik bricht jedoch bald zusammen, nachdem ein Teil der Streikenden zu den alten Arbeitsbedingungen die Arbeit wieder aufgenommen hat und die übrigen durch aus Belgien herbeigezogene Arbeiter ersetzt werden.

Mit dem Aufschwung wurden in der Gründerzeit in Kassel viele neue Mietshäuser und Industrieanlagen gebaut. Doch schon 1903 kommt in Kassel das Baugewerbe durch andauernden Streiks der Bauarbeiter fast völlig zum Erliegen. Dem Streik der Bauarbeiter, schließt sich ein Ausstand der Schreiner und Tischler an.
Der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter um bessere Lebensbedingungen ließ sich jedoch nicht einfach verbieten – Streiks traten trotz Verbot immer wieder auf. Während der weiteren Geschichte des Kaiserreichs kam es insbesondere im Ruhrbergbau 1905 zu großen Streiks, denn hier verweigerten sich die Unternehmer jeder Form von Kompromiss. Konjunkturelle Schwankungen und Veränderungen führten in der Regel zu unsozialen Entlassungen von vielen Arbeitern. Hier ein Beispiel für Kassel Bettenhausen:

Am 1. Oktober 1909 trat das Zündwarensteuergesetz in Kraft, was zur Sinkenden Nachfrage von Zündhölzern führte. In der Fabrik von Otto Miram in Kassel z. B. wurden in der Folge 56 Arbeiter-innen 14 Tage vor Weihnachten 1909 fristlos entlassen. Die Firma Otto Miram musste 1911 Konkurs anmelden.

Seit den 1860er Jahren kam es in Deutschland zur Gründung von Gewerkschaften, die aus der europäischen Arbeiterbewegung hervorgingen. Bei Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern griffen die organisierten Arbeitnehmer immer öfter zu dem Mittel des Arbeitskampfes – dem Streik. Hier ein anderes Beispiel für die Arbeitskämpfe in der Kaiserzeit vor dem Ersten Weltkrieg aus Kassel Bettenhausen:

Fünf Handwerker vor historischem Stockmacherbetrieb in Lindewerra
Historischer Stockmacherbetrieb in Lindewerra, 19. Jahrhundert  Foto: @Stadtteilzentrum Agathof e. V.
Zeichnung der Stockfabrik Rocholl in der Leipziger Straße
Stockfabrik Rocholl in der Leipziger Straße zu Beginn des 20. Jahrhunderts  Foto: @Stadteilzentrum Agathof e. V.
Muster Stockgriffe der Firma Rocholl
Muster Stockgriffe der Firma Rocholl  Foto: Erhard Schaeffer, Kassel

Das Handwerk der Stockmacher hatte eine lange Tradition. Die Gehstöcke wurden in Familien geführten kleinen Handwerksbetrieben hergestellt. In Lindewerra, dem Stockmacherdorf begann z. B. Wilhelm Ludwig Wagner 1836 als Erster mit der Fertigung von Gehstöcken aus Eichenschösslingen in seinem kleinen Betrieb.

Doch mit dem Aufkommen der Industrialisierung wurde aus dem einstigen Handwerks- ein Industrieprodukt. Die Firma Rocholl in Kassel betrieb ab 1872 erfolgreich eine Fabrikationsstätte von Spazier- und Schirmstöcken, gedrehten Horn- und Holzartikeln in ihrer Holzschneidemühle am Standort des ehemaligen Eisenhammers in der Leipziger Straße. Seine gefragten Qualitätswaren fanden auch im Ausland ihren Absatz. 1897 waren ca. 300 und vor dem Ersten Weltkrieg bereits 450 Arbeiter und Angestellte bei Rocholl in Lohn und Brot. Neue Arbeitskräfte zogen nach Bettenhausen.

Trotz allem Erfolg der Firma herrschte noch 1910 die Unsitte, dass die Arbeiter Spiritus, Politur und Schleifmaterialien selbst bezahlen mussten. Die Lackierer, Polierer und Poliererinnen reichten an die Firmenleitung ein Ersuchen ein das Poliermaterial unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Über diesen Arbeitskampf berichtet das Morgenblatt, Arbeiter Zeitung aus Wien, am 25. August 1910:

Zeitungsartikel von 1910
Morgenblatt, Arbeiter Zeitung aus Wien, am 25. August 1910  Foto: @Stadtteilzentrum Agathof e. V.

Wie der Arbeitskampf ausging, ist leider nicht bekannt. Die Firma Rocholl bestand noch bis 1949.

Editor: Erhard Schaeffer, Oktober 2017

Quellen:

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Kurzbeschreibung

Der konjunkturelle Aufschwung der deutschen Wirtschaft begann bereits in den 1860er Jahren und setzt sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts weiter fort. Auf der Arbeiterseite spitzen sich branchenübergreifende Streikbewegung und die Arbeitsniederlegungen, die durch die Arbeitgeber häufig mit drastischen Aussperrungen und Entlassungen beantwortet wurden, kurz nach der Jahrhundertwende immer mehr zu. Es ging um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.

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