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Der Dreißigjährige Krieg im Kasseler Osten
- Autor: Falk Urlen
- Zeit: 1600-1649
- Ort: Kasseler Osten
- Vom: 15.06.2018
- Themen: Dreißigjähriger Krieg 1618-1648, Künstler, Chronisten und Biografen
Während des Dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648) hat kein Landsknecht kaiserlicher Truppen die Stadt Kassel betreten, da sie für damalige Zeiten optimal gesichert war. General Tilly (Bild links), der die Ligisten, d. h. die katholische Liga, kommandierte, scheiterte 1626 an der Einnahme Kassels, weil Landgraf Moritz sich ihm praktisch unterwarf. Dennoch ging dieser lange Krieg nicht spurlos am Kasseler Osten vorbei.
Am 30. Mai 1626 war der kaiserliche General Tilly über Münden hergefallen. Einerseits wollte er den protestantischen Christian von Braunschweig vertreiben, zum anderen aber „wollte er zugleich dem nahen Kassel zeigen, welches Schicksal ihm bevorstehe, wenn es im Widerstande gegen die siegreichen liguistischen Truppen beharre".
Er hatte vom Kaiser den Befehl, Kassel zu entwaffnen. Am 30. Mai 1626 brach der blutige Tag für Münden an, welcher dem Magdeburger Blutbad an Grausamkeit nicht nachsteht (Bild oben); wenigstens bedeckten die Leichname von 2260 ermordeten Einwohnern jeden Standes, Alters und Geschlechts die Straßen. Von diesem Tage an war die Gegend zwischen Münden und Kassel eine Einöde, auf welcher man nur Brandstellen und marodierende Reiter erblickte. Vor den Augen der Kasseler ging das Dorf Heiligenrode in Flammen auf, in Bettenhausen standen hessische Wachtposten, in Sandershausen die Tillyschen Vorposten und hierhin brachten auch die Soldaten ihre Gefangenen, um sie den in Kassel sich aufhaltenden Verwandten gegen eine Summe Geldes auszuliefern (zu ranzionieren)“ so der Kasseler Historiker Piderit.
Bis Anfang Juni blieb Tilly noch im Kriegslager Münden und forderte vom Kasseler Landgrafen Moritz von Hessen, 1572 -1632, (Bild links), sein Land zu entwaffnen, seine Truppen zu entlassen und die Stadt von kaiserlichen Soldaten besetzen zu lassen, was Moriz ablehnte und somit für Tilly ein Feind des Kaisers wurde. Moritz wurde jetzt aufgefordert, abzutreten. Um seinen Forderungen Nachdruck zu erteilen, hatte er in Sandershausen und Heiligenrode seine Lager aufgeschlagen und seine Vorposten bis kurz vor die Neustadt geschoben. Bis Anfang Juli gab es vor dem Neustädter Tor ununterbrochen Scharmützel, nachdem davor alle Hecken und Bäume beseitigt worden waren. Dabei ging auch der Siechenhof bzw. ein nahe gelegenes neues Lazarett in Flammen auf. Auf protestantischer Seite nahte der König von Dänemark mit seinen Truppen, denen Tilly bis Lutter am Barenberge (in der Nähe von Seesen, Bockenem) entgegenziehen musste. Hier wurde die dänische Armee vernichtend geschlagen, in der der Sohn des Landgrafen Moritz, Prinz Philipp, ermordet wurde. Tilly sandte die Leiche Philipps an den Landgrafen, der heute in der St. Martinskirche begraben ist. Philipps Denkmal steht heute rechts im Chor dieser Kirche. Moritz hatte zuvor ein Revers unterschrieben, „daß er in kaiserlicher Majestät und des Reichs Devotion [Hingabe] und Gehorsam verbleiben, die Hauptfesten seiner Landes – Cassel, Ziegenhain und Rheinfeld – in keine fremde Hand und Gewalt geben, den kaiserlichen Heeren Paß und Repaß [Einreise und Ausreise] nicht verweigern, und alles thun wolle, was einem frommen Fürsten und Stand des Reichs gebühre.“ Damit war Tilly zufrieden, ließ es im Lager mit Trompetenschall wie einen Friedensschluss verkünden und rückte ab, überall Spuren der Verwüstung hinterlassend.
1627 trat der Landgraf zugunsten seines Sohnes Wilhelm (Wilhelm V) zurück.
Eine Episode, die eine Einsicht in Moritz seelischen Zustand gibt, schildert Hugo Brunner in seinem Buch zur Geschichte Kassels. Diese wird im Original geschildert:
"Sein oder Nichtsein. Ihre Politik (Tilly und Moritz) war beiden über den Kopf gewachsen, und wenn nicht besondere Glücksfälle aus der antikaiserlichen Seite eintraten, so war Moritz tatsächlich nicht mehr regierungsfähig, zumal die Widerwärtigkeiten der letzten Jahre ihm den ruhigen Überblick geraubt hatten.
Aus welchen Grad seine Nervosität gestiegen war, zeigt ein an sich bedeutungsloser Vorfall, der sich nach dem Falle von Münden hier abspielte und aus dem Zustand des Fürsten ein bedenkliches Licht wirft, weshalb es hier mitgeteilt sei. Am 6. Juni 1626 war ein Soldat von der bayrischen Armee in Münden vor der Neustadt dahier verhaftet worden. Er war ein Hesse von Geburt, Hans Haupt geheißen, der Sohn einer armen Dienstmagd in Felsberg; erst 20 Jahre alt, hatte er schon unter dem Herzog von Braunschweig gedient und sich dann vor 1 1/2 Jahren in seinem Heimatsdorfe Grifte von den Bayern anwerben lassen. Aus seinen Aussagen geht hervor, daß damals viele Hessen in bayrischem Solde standen. Auf die Frage, wie er dazu gekommen, unter die Bayern zu gehen, antwortete er, daß ihn der Hunger dazu getrieben habe, und daß er der Meinung gewesen, sie würden nicht wieder nach Hessen zurückkommen. Offenbar waren also der Masse des Volkes die großen Gesichtspunkte, um die sich der Kampf im Reiche drehte, dunkel. Seine Anwesenheit in Cassel begründete der fremde Söldner damit, dass er beim Landgrafen habe Dienste suchen wollen, und tatsächlich hatte er auch einen ihm bekannten hessischen Soldaten, der in seiner Nähe, in Ellenberg bei Grifte, zu Hause war, in hiesiger Stadt angesprochen, ihm zur Anwerbung zu verhelfen, wozu dieser willens gewesen und ihm nur geraten, noch ein paar Tage zu warten; es seien etliche Bürger geworben worden, die aber gern wieder los wollten und Ersatzleute suchten. Da könne er noch ein paar Taler verdienen.
Diese Angaben erschienen aber dem Landgrafen, der sich persönlich sehr der Sache annahm, zu einfach. Sein Generalaudienzierer Dr. Wolfgang Günther erhielt den Befehl, den Gefangenen, den man inzwischen in den Druselturm gesteckt hatte, aufs schärfste zu torquieren, was auch in grausamster Weise geschah. Moritz befahl geradezu das Todesurteil an. Und nun erhielt man von dem Manne nach und nach das Geständnis, dass er von Tillys Artilleriegeneral, dem Grafen von Fürstenberg, abgeschickt sei, die Festung Cassel auszukundschaften und den wachthabenden Leutnant auf dem Neustädter Wall (Abbildung oben) zu bestechen, für welche Dienste er von Fürstenberg außer großen Versprechungen auch 20 Taler Geld erhalten habe. Da diese Aussage nicht genügte, wurde weiter an ihm herausgefoltert, dass er die Neustadt habe an vier Ecken anzünden sollen. Das letzte Bekenntnis, daß er auch den Landgrafen habe umbringen wollen, war aber — so große Mühe man sich auch mit peinlicher Befragung gab – nichts aus ihm herauszubringen.
Darauf dass der Mann gar kein Geld zu Bestechungen besaß, daß auch angebliche Briefe Fürstenbergs bei ihm nicht gefunden wurden, daß er den Mordbrand an den vier Ecken der Neustadt auszuführen, doch hätte Pulver und Lunten und etliche Helfer haben müssen, und daß endlich der bayrische General sich seinen Mann sehr schlecht gewählt hätte, da dieser nachgewiesenermaßen während seines Aufenthaltes in Cassel und Bettenhausen mehrfach sich im Trunke übernommen hatte, wurde gar kein Gewicht gelegt. Am 7. Juli wurde auf dem Marstall peinliches Gericht über ihn gehalten und, nachdem er noch einmal alles bekennen müssen, ihm das von Moritz gewünschte Urteil gesprochen: ihm zu wohlverdienter Strafe und andern zum abscheulichen Exempel wurde er mit glühenden Zangen zweimal in die linke Brust gepetzt, darnach zur Richtstätte geführt, abermals gepetzt, alsdann sein Leib in vier Stücke zerhauen, der Kopf auf einer Stange auf dem Neustädter Tor und die vier Stücke vor den anderen Toren aufgehenkt. So sei dem Urteil und kaiserlichen Rechten ein Genüge geschehen. Der in den zum letzten Verhandlungstermin bereits fertiggestellten Tenor des Urteils aufgenommenen Passus, dass der Delinquent auch dem Landgrafen nach dem Leben getrachtet habe, musste, da jener solches hartnäckig in Abrede stellte, wieder ausgestrichen werden, woraus er nicht (was ebenfalls im Urteil vorgesehen war) zur Richtstätte geschleift, sondern geführt wurde.
Wenn man diesen Sachverhalt mit dem zusammenhält, was Rommel in seiner hessischen Geschichte (Bd. 7, S. 641 s.) zu dem (von ihm nur kurz berührten) Vorkommnis mitteilt, daß Delegierte Tillys bei einer Zusammenkunft mit den Bevollmächtigten des Landgrafen diesen aus Vorhalt erwiderten, der Graf von Fürstenberg sei ein aufrichtiger Herr, der nicht wie sie durch Ränke, sondern mit der Faust fechte, und verlangten, daß mit dem Gefangenen, ehe er „nach der eiligen Casselschen Manier“ hingerichtet würde, eine gehörige Konfrontation geschehe, so kann man sich des Eindrucks schwer erwehren, daß Moritz die an sich unbedeutende Sache aufbauschte, um sich bei den Einwohnern seiner Residenz wieder Sympathien zu verschaffen. Dazu war bei aller ihm innewohnenden humanen Bildung die Neigung zur Grausamkeit ein eigentümlicher Charakterzug dieses Fürsten überall da, wo seine Person ins Spiel kam. Der Generalaudienzierer Dr. Wolfgang Günther, der die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt hatte, wurde nach der Abdankung des Landgrafen Moritz hingerichtet.
Autor und Redaktion: Falk Urlen (2018)
Literatur:
- Brunner, Hugo; Geschichte der Residenzstadt Cassel, Cassel 1913
- Piderit, Th.; Geschichte der Haupt- und Residenzstadt Kassel, Kassel 184
- Heilmann, J.; Kriegsgeschichte von Bayern, Franken, Pfalz und Schwaben von 1506 bis 1651; München 1868
Bilder:
- Johann T’Serclaes von Tilly, Stich von Pieter de Jode d. Ä. nach Anthonis van Dyck, Wikipedia.de.
- Beschuss Magdegurgs, Kupferstich v. Daniel Manasser, homepage ruhr-uni-bochum.
- Moritz Landgraf von“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/11858412X>.
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Kurzbeschreibung
Während des Dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648) hat kein Landsknecht kaiserlicher Truppen die Stadt Kassel betreten, da sie für damalige Zeiten optimal gesichert war. General Tilly (Bild links), der die Ligisten, d. h. die katholische Liga, kommandierte, scheiterte 1626 an der Einnahme Kassels, weil Landgraf Moritz sich ihm praktisch unterwarf. Dennoch ging dieser lange Krieg nicht spurlos am Kasseler Osten vorbei.
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