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Der Kaufmann um die Ecke in Forstfeld

Spitzer, Hildegard

Hildegard Spitzer
Foto: Falk Urlen, extrahiert aus Videoaufnahmen

Hildegard Spitzer, geb. Koch, erinnert sich an ihre Kindheit im Forstfeld

Beitrag 2008 für die 'Forstfelder und Lindenberger kleine Zeitung'

Der Kaufmann um die Ecke war im Forstfeld in den 50er-Jahren keine Ausnahme, sondern eine Selbstverständlichkeit. Heute ist es selbstverständlich, dass wir unsere Einkäufe im Supermarkt erledigen. Wir können mit dem Auto vorfahren und kaufen oft den Bedarf für die ganze Woche ein. Zu Hause warten ja Kühlschrank und Tiefkühlfach, die alles lange frisch halten - vor 50 Jahren für viele Forstfelder nur ein schöner Traum!

Da musste jeden Tag aufs Neue losgegangen werden, wenn man einen halben Liter Milch brauchte, wenn es das Viertelpfund Butter in der Sommerhitze nicht lange ausgehalten hatte oder wenn die Hausfrau mit Salat und Gemüse je nach Jahreszeit der Familie mal etwas Gesundes auf den Tisch zaubern wollte. Oft war das aber gar kein Problem: Nur ein paar Schritte die Straße rauf oder um die Ecke - schon konnte man das Gewünschte finden!

Als geborene „Forstfelderin" habe ich mal mein Gedächtnis etwas strapaziert und versucht, mich an all die kleinen Läden zu erinnern, die es in unserem Stadtteil in den vergangenen Jahrzehnten gab. Und nicht nur Läden: Auch kleine Dienstleistungsbetriebe ernährten gerade so „ihren Mann" — den Schuster, den Elektromeister, den Friseur. Hier war meist nur eine kleine Ecke der Wohnung für den Geschäftsbetrieb abgezweigt worden — und es reichte!

Nach und nach sind sie verschwunden, die „Tante-Emma-Läden", auf Neudeutsch „Nahversorger". Wer kein Auto hat, muss sein Einkaufsnetz oft ganz schön weit schleppen. Und wer Schuhe reparieren lassen will, gibt sie jemandem mit, der in die Stadt fährt.

Beim Bäcker Wendel in der Ochshäuser Straße 71 gab's „Schokoladenplätzchen" in Untertassengröße für 10 Pfennig und „Geleeplätzchen" zum selben Preis - heute heißt so etwas „Ochsenauge" (igitt!).

Die blecherne Milchkanne bekam man bei Frau Jetzizack gefüllt, die ihr Geschäft in einem hölzernen Flachbau in der Ochshäuser Straße/Ecke Erlenfeldanger betrieb. Dort gab es auch losen Schmand, das mitgebrachte Honigglas voll für 40-50 Pfennig und auf Wunsch frisch geschlagene Sahne. Die durfte man aber erst kurz vor dem Kaffeeklatsch - natürlich mit der eigenen Schüssel - holen, sonst sackte die ganze Pracht wieder zusammen. (Die Sahne selbst mit dem Schneebesen steif zu schlagen, klappte doch so gut wie nie!). Wer in der „Fieseler-Siedlung" wohnte, konnte sich sein „Sahnetörtchen" gleich bei Fehr kaufen (Singer-/Ecke Kolpingstraße), die später auch Lebensmittel und Getränke ins Sortiment nahmen.

Den Grundbedarf deckte man schon länger im Konsum im Forstbachweg/Ecke Ochsh. Str. Allerdings war das Geschäft zunächst viel kleiner als der heute noch bestehende Nachfolgebau (jetzt Getränkemarkt). Die Einführung der Selbstbedienung mit kleinen Drahtkörbchen war eine mittlere Sensation!

Daneben in einem separaten Häuschen war die Post untergebracht (heute Parkplatz des Getränkemarktes). In der davor stehenden Telefonzelle haben unzählige Forstfelder die Geheimnisse des Telefonierens erlernt — und konnten für 2 Groschen Ortsgespräche von unendlicher Dauer führen. Gegenüber im Forstbachweg, eine Treppe hoch, hatte das Ehepaar Pohl sein kleines Textil- und Kurzwarengeschäft. Für selten verlangte Artikel musste Herr Pohl auch schon mal auf die Leiter steigen und einen Karton ganz oben vom Regal angeln — besonders schöne Stücke dekorierte er in seinem kleinen Schaukasten vor dem Haus. (Heute ist dort die Pension Schneider.)

Nachbarin war lange Jahre Frau Schröder, die tausend süße Köstlichkeiten in ihrem Kiosk vorrätig hatte. Stockmann-Schokolade, 50 Gramm für 50 Pfennig, zu manchen Zeiten mit einem Märchen-Sammelbild unter der roten Papier-Umhüllung, lose Bonbons (die man heute wieder auf Weihnachtsmärkten oder in speziellen Geschäften findet) für 1 Pfennig das Stück, „Blasen-Kaugummi", Lutscher, einzelne Mohrenköpfe — alles, was das Kinderherz begehrte!

Heute kann ich es ja gestehen: Eines Sonntagmorgens auf dem Weg in den Kindergottesdienst (in der hölzernen Immanuelkirche im Erlenfeldweg) fand ich ein 2Pfennig-Stück auf dem Bürgersteig - was hatte ich da Besseres zu tun, als den mitgegebenen Groschen bei Frau Schröder in Süßigkeiten umzusetzen und die 2Pfennig-Münze für die Kollekte zu opfern!

Irgendwann einmal kam ich aus der Schule nach Hause (es war schon die neu erbaute „Togo-Schule", heute Schule Am Lindenberg, das 1. und 2. Schuljahr hatte ich noch im „Lettenlager" absolviert) und fand einen Zettel auf dem Küchentisch vor: Meine Mutter musste etwas erledigen, ich sollte mir selbst Mittagessen machen. Daneben lagen 50 Pfennig für ein Kochwürstchen. Wo holte ich das? Am nächsten war die Fleischerei Wilke in der Radestraße (eine Filiale des Hauptgeschäfts in der Lilienthalstraße, wo heute die Pizza-Taxis starten), gleich neben dem Lebensmittelgeschäft Sotzek. (Später wurde in diesen Räumlichkeiten ein Gewerbe der ganz anderen Art ausgeübt — tja, auch das gab's im Forstfeld...und nicht nur dort...)

Weitere Metzgereien im Forstfeld waren z. B. Bechstein in der Singerstraße

(gegenüber Bäckerei Correus) und Eschstruth in der Payerstraße (später in der Ochshäuser Straße, nachmalige Videothek). Eschstruth hatte auch einen „Ableger" an der alten Straßenbahnhaltestelle Forstfeldstraße.

Gibt es noch jemanden, der auch so einen weiten Weg bis zur Haltestelle hatte, dass er mit dem Fahrrad dort hinfuhr und das Rad bis zur Rückkehr aus der Stadt beim Kiosk Träbing (Trebing?) in dem von Maschendraht umschlossenen Hof „parken" durfte?

Und gibt es noch jemanden, der auch manchmal ein Loch in der Schüssel hatte?

Sagen Sie jetzt nicht, das wär' doch nichts Besonderes, solche Leute gäbe es haufenweise...

Nein, ich meine das wörtlich: In unserem Haushalt gab es eine dunkelbraune Emailleschüssel, die zum Salatwaschen diente, beim Verarbeiten des Obstes zu Marmelade herbeigeholt wurde und in der sich jede Sorte Kuchenteig rühren oder kneten ließ, kurz: Sie war unentbehrlich. War mal an einer Stelle die Emaille abgesprungen und der Rost fing an ein kleines Loch hineinzufressen, wurde sie zu schnell zulötete und der Schüssel damit ein weiteres Lebensjahr schenkte.

Ein paar Häuser weiter sorgten die Familien Jacob und später Wendel mit ihrem Flaschengasvertrieb oft genug dafür, dass in den Forstfelder Familien ein warmes Essen auf den Tisch kam. Propangasherde waren weit verbreitet — und wann wurde regelmäßig die Flasche leer? Sonntag Vormittag beim Essenkochen! Da war guter Rat nicht teuer, denn „um die Ecke" gab's gleich Nachschub.

Vielleicht war gerade das Huhn aus eigener Aufzucht im Ofen? Dann war es zu Lebzeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Futter von Scharf verwöhnt worden. Die Handlung - auch für Düngemittel - hatte ihren Sitz in der Radestraße. Ein unvergesslicher Werbespruch: „Deuka-Legemehl - d a s gibt Eier!"

Werbegeschenke Forstfelder Kaufleute
Werbegeschenke Forstfelder Kaufleute  Foto: @Karl Wills

So viele Geschäfte und Diestleister gab bzw. gibt es bei uns:

Lebensmitte: Kimm, untere Radestr., Schönewolf (Stegerwaldstr.). Meyer („alter" Wahlebachweg), Ramfeld (Wißmannstr./Ecke Windhukstr.); Schlitzberger, (Windhukstr./Ecke Ochsh.Str.),

Schuhmacher: Meibert (Hausmannstr./Ochshäuser Str.

Blumen: Glätzer(Forstbachweg/Ecke Eibenweg), Marlor (Ochshäuser Str./früher Meibert)

Metzgereien: Wilke, Stehr (beide Forstbachweg), Bechstein (Schröderplatz) Friseure: Rosenblath (Singerstr./Ecke Ochshäuser Str.), Kuß (Singerstr., jetzt Ochshäuser Str.), Claus (Singerstr.) weitere in der Steinigkstr., Forstbachweg

Drogerie:Franke, früher Payerstraße, dann Lindenbergstraße

Uhren und Schmuck: Linne, Kastanienweg

Kioske: „Blaue Bude" in der Windhukstraße, „Grüne Bude" (?), Klose/Stegerwaldstr. (Sportplatz), Heck (Radestr.), Kleines Lädchen (Eschenstruther Weg;), ? (Kupferhammerstr. /Ecke Faustmühlenweg)

Schreibwaren: Reuter, jetzt Sohns (Radestr.)

Apotheken: Dorotheen-Apotheke (Frau Gravemann, Frau Waas / früher Singerstraße, jetzt Lindenbergstr.); A. am Lindenberg (Frau Pohl/Herr Heyden, Einkaufszentrum Forstbachweg)

Ärzte: Dr. Vent (Wißmannstr.), Dr. Krüger (Stegerwaldstr), Dr. Malinowski (Einkaufszentrum Forstbachweg), Fleer (Kinderarzt, Ochsh.Str.), Dr. Weißenborn (Unfallchirurg)

Zahnärzte: Runte (Radestr.), mehrere Nachfolger; Dr. Schumacher (Einkaufszentrum)

Obst/Gemüse: Stamm (Windhukstraße), div. Ochshäuser Str.

Haushaltswaren: Knobel, Windhukstr. (ehem. Geschäft Schlitzberger, dann Ochsh. Str. 30)

Kohlenhandlung: Klose, gleichzeitig Transportunternehmen (4. Erlenfeldweg/ Wahlebachweg).

Sand und Kies u.a.: Kimm (Stegerwaldstr.), Herdes (Wahlebachweg) Fuhrunternehmen: Schmidt (Lindenbergstr.)

Fahrschulen: Sellner jetzt Fiedler; (Windhukstr.), Körber (Ahornweg)

Elektro: Tackenberg, Radestr.

Fotografen: Thiel (Erlenfeldanger); Sittig (Ochshäuser Str.)

Farben/Tapeten: Köster (Singerstraße)

Landwirte: Tepel (3. Erlenfeldweg später Wahlebachweg), Landefeld (Forstbachweg/Ecke Eisenhammerstr.)

Molkerei: M. am Lindenberg, vormals Gebrüder Krell (Forstbachweg)

Polizeistation: Herr Kimpel, Singerstr.

Gaststätten:Theumer (Forstbachweg 16 „Lettenlager"); Bierquelle (Wißmannstr.); Lügenbaron (Birkenweg); Trompete (Lindenbergstr.); Zapfhahn (Windhukstr., vormals Schlitzberger bzw. Knobel); Grill 30 (Ochsh.Str. 30); Heidekrug (jetzt „Schweinestall", Heidenkopfstr.), ? ("Baracke" an der Straßenbiegung Ochsh.Str. /Einmündung Stegerwaldstr., jetzt abgerissen; Marquardt (Wahlebachweg); "Zur Tante" Inh. Kaufmann später Wagner (4. Erlenfeldweg/ Wahlebachweg).

Die ehemalige Gaststätte Zur Tante, Wahlebachweg 119, Fachwerkhaus hinter Hecke
Die Gaststätte Zur Tante, Wahlebachweg 119 beherbergte später auch den Gemeinschaftsraum der Erlenfeldsiedlung  Foto: @Falk Urlen

Text: Hildegard Spitzer

Editor: Falk Urlen

Wo spielt dieser Beitrag?

Ort: Forstfeld

Kurzbeschreibung

Hildegard Spitzer, geb. Koch, erinnert sich an ihre Kindheit im Forstfeld

Beitrag 2008 für die 'Forstfelder und Lindenberger kleine Zeitung'

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