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Gaswerk lässt die Lampen leuchten
- Autor: Bernd Schaeffer
- Zeit: 1894
- Ort: Gaswerk Nürnberger Straße
- Vom: 19.01.2011
- Themen: Stadtentwicklung, Handel und Dienstleistungen
Zwischen 1850 und 1972 wurde in Kassel an zwei verschiedenen Standorten Stadtgas erzeugt. Während zu Beginn der Gasversorgung mehr als 80% des Verbrauchs auf die Beleuchtung von Straßen und Gebäuden entfielen, änderte sich dies mit der zunehmenden Industrialisierung tief greifend. Der Bedarf an Gas erhöhte sich um ein Vielfaches, doch die Beleuchtung wurde, weil sie so leichter zu Hand haben und effizienter war, auf Strom umgestellt. Neuerdings erst wird die mit dem Gaslicht verbundene Gemütlichkeit wieder entdeckt, und es bilden sich Initiativen zur Erhaltung der Gaslampen in den Städten.
Das am 7. Dezember 1850 an der Ahna in der Kasseler Nordstadt in Betrieb genommene erste Gaswerk befand sich im Besitz der privaten Aktiengesellschaft „Gasbereitungsanstalt zu Cassel“. Das produzierte Gas wurde zu achtzig Prozent für die Beleuchtung verwendet. Für die Stadt Kassel mit ihren 36.000 Einwohnern begann damit die allmähliche Umstellung der Straßenbeleuchtung von Rüb- und Hanföllampen auf Gaslaternen. Die 450 Gaslaternen innerhalb des Stadtgebietes hatten eine Specksteinmündung mit schmalem Schnitt, aus dem eine unruhige, rötliche Flamme flackerte.
Das sogenannte „courante“ Gas wurde durch Leitungen an die Verbraucher geliefert und besiegelte damit das Ende des „portativen“ Gas, welches bis zu dieser Zeit in luftdichten Ledersäcken in die Haushalte gebracht worden war.
Am 1. Oktober 1875 ging das Gaswerk in das Eigentum der Stadt Kassel über, die es, um den stetig steigenden Verbrauch decken zu können, entsprechend vergrößerte. Bis 1894 umfasste die Anlage 17 Öfen mit 104 Tonretorten und Gasbehältern mit einem Fassungsvermögen von 7.700 m³ Gas.
Eine weitere Steigerung der Gasproduktion auf 40.000 m³ in 24 Stunden war aus Platzgründen auf dem Gelände am Holländischen Tor nicht mehr zu realisieren, deshalb beschlossen die städtischen Gremien den Bau eines neuen Gaswerks auf dem „Kleinen Forst“ zwischen Bettenhausen und Waldau.
Sie wurden damals von einem bei den Kindern sehr beliebten Laternenanzünder per Hand angezündet. Die zentrale Zündung der Lampen per Druckwelle erfolgte erst nach dem Zweiten Weltkrieg.
In dem Werk zwischen Holländischer Straße und Moritzstraße wurde durch trockene Destillation von Kohle in sieben Rostöfen mit je fünf Tonretorten Gas gewonnen, welches in drei Großbehältern (Gasometern) mit zusammen 88.000 Kubikfuß Inhalt gespeichert werden konnte.
Das Gaswerk in Bettenhausen
Am 2. März 1894 erfolgte am Sauplatz in der Nähe des Fackelteiches der erste Spatenstich für das nach den Plänen des damaligen Direktors Emil Merz zu bauende Werk. Schon am 20. Dezember 1894, nach nur 10 Monaten Bauzeit, konnte das erste Gas geliefert werden; das alte Werk in der Nordstadt wurde stillgelegt. Das Gelände erwarb die Firma Henschel. Eng mit dem Gaswerk an der Nürnberger Straße verbunden war das Hallenbad an der Leipziger Straße, das im Juni 1930 eingeweiht wurde. Die in großen Mengen anfallende überschüssige Wärmeenergie konnte zur Beheizung und Versorgung des Hallenbades eingesetzt werden. Um die Jahrhundertwende hatte Kassel rund 80.000 Einwohner und nachts brannten ca. 1.200 Gaslaternen. Das neue Gaswerk war für eine Höchstleistung von 50.000 Kubikmeter Tagesverbrauch konzipiert worden. Im Jahre 1902/03 betrug die Gesamtgasproduktion 6.772.820 m³ und schon 1927 hatte sich die Menge mehr als verdoppelt. Mit der Zunahme von Industrie und Einwohnern stieg auch der Gasbedarf, sodass am Gaswerk in Bettenhausen ständig an- und umgebaut wurde.
Der bei der Gasgewinnung anfallende Koks war ein wertvoller Brennstoff, mit dem die Stadt Kassel Jahrzehnte lang die öffentlichen Gebäude insbesondere die Kasseler Schulen beheizte. Der Bettenhäuser Kohlenhändler Bräutigam übernahm die Lieferung, zuerst mit dem Pferdefuhrwerk später zeitgemäß mit dem Lkw.
Der Transport der zu vergasenden Kohle (36.317 t in 1907) über ein Anschlußgleis vom Bahnhof Bettenhausen aus übernahm eine eigene Rangierlok, die als Besonderheit ohne eigene Feuerung mit einem Heißdampfkessel betrieben wurde.
Die in großen Mengen anfallende Asche entsorgten die Betreiber mit einer Feldbahn in die nahegelegenen Fulda-Auen, in den Fackelteich und auch am Wahlebach. Die damit verbundene Kontaminierung des Bodens ist bis heute ein ungelöstes Problem.
Mit der Inbetriebnahme des ersten Vertikalkleinkammerofens und einem neuen Reinigungsverfahren in 1918 steigerte die Werksleitung die Tageskapazität auf bis zu 100.000 m³.
Um den gestiegenen Gasbedarf mit der notwendigen Sachkenntnis zu decken und die Versorgung sicher zu stellen, wurden 1924 die „Gewerblichen Werke der Stadt Kassel" gegründet. Ab 29. Dezember 1929 entstanden daraus die „Städtischen Werke AG Kassel“, als Betreiber des Gaswerks.
Während des Zweiten Weltkriegs, 1941, musste auf Anordnung des Reichswirtschaftsministeriums zur Versorgung der Rüstungsbetriebe eine Steigerung der Leistung auf 230.000 m³ vorgenommen werden. Anstelle eines weiteren Gasbehälters wurde eine Ferngasleitung von Kassel zu den Hermann Göring Werken in Watenstedt-Salzgitter gebaut. 1943 war die Leitung fertig; die Übergabestation befand sich in der Nähe der Henschelwerke in der Bunsenstraße. Das war der erste Schritt für ein zukunftsträchtiges Gasverbundnetz.
Nachdem unter der Federführung von Dipl.-Ing. Müller in 1953 eine moderne Kokereianlage auf dem Gaswerksgelände an der alten Nürnberger Straße (heute: Eisenacher Straße) entstand, wurden die überholten Baulichkeiten aus 1894 abgebrochen.
In den 1950er Jahren setzte sich die Elektrifizierung der Straßenbeleuchtung immer stärker durch. Mehrere Gründe führten zu dieser Umstellung: zu hoher Energieverbrauch, zu hohe Unterhaltungs- und Wartungskosten und gestiegene Ansprüche an die Beleuchtung durch den wachsenden Straßenverkehr. Die Gaslaternen mit ihrem behaglichen Licht mussten vor der wirtschaftlichen Leistung und der Leuchtkraft der elektrischen Lampen kapitulieren.
Die Entdeckung der Erdgasvorkommen in Europa, vor allem in der Nordsee, und auch die Errichtung von Gaspipelines aus fernab liegenden Lagerstätten, etwa aus Russland, führte zum Niedergang der Stadtgasherstellung, denn Erdgas ist ein reines Naturprodukt, das einen mehr als doppelt so großen Brennwert hat, als das Stadtgas.
In 1968 begann der Anschluss Kassels an das Ferngasverbundnetz. Nach Beendigung aller Umstellungsarbeiten durch die Städtischen Werke AG, 1972, hatte auch das zweite Kasseler Gaswerk seine Bedeutung verloren und wurde still gelegt. Die drei weithin sichtbaren Gasometer haben noch einige Jahre funktionslos überdauert, bis auch sie aus dem Stadtbild verschwanden.
Heute, 2011, befindet sich auf dem Gelände des alten Gaswerks an der Eisenacher Straße der Betriebshof Ost der Städtischen Werke AG Kassel. Auf dem Bauhof befinden sich zur Erinnerung an die längst vergangenen Zeiten zwei Gaslaternen.
In einigen Großstädten wie Berlin und Düsseldorf bemühen sich Bürgerinitiativen aus Nostalgie um den Einsatz von Gaslampen in alten Stadtvierteln.
Editor: Bernd Schaeffer, 2011
Quellen:
- Die Geschichte der Kasseler Nordstadt, Hrsg. Bürgerverein Nordstadt e. V., 1992
- Kassel, Eine Stadt vor 100 Jahren, G. Fenner, S. Köttelwesch; Buch Habel, 1995
- Bettenhausen 1906 – 1956, Eine Chronik, K. Klehm, Bettenhäuser Verlag, 1956
- Ein Blick zurück Nr. 133, 1964, Kasseler Post
- Bettenhausen, 1126- 1926, B. Jacob, Hrsg. Bürgerverein Kassel-Bettenhausen, 1927
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Kurzbeschreibung
Zwischen 1850 und 1972 wurde in Kassel an zwei verschiedenen Standorten Stadtgas erzeugt. Während zu Beginn der Gasversorgung mehr als 80 % des Verbrauchs auf die Beleuchtung von Straßen und Gebäuden entfielen, änderte sich dies mit der zunehmenden Industrialisierung tief greifend. Der Bedarf an Gas erhöhte sich um ein Vielfaches, doch die Beleuchtung wurde, weil sie so leichter zu Hand haben und effizienter war, auf Strom umgestellt. Neuerdings erst wird die mit dem Gaslicht verbundene Gemütlichkeit wieder entdeckt, und es bilden sich Initiativen zur Erhaltung der Gaslampen in den Städten.
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