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Und Ihr sollt unsere Feinde gewesen sein?

Rolf Jung, Vorsitzender der Siedlergemeinschaft Forstfeld

Rolf Jung, Vorsitzender der Siedlergemeinschaft Forstfeld
Foto: Falk Urlen

Am 10. November 1989 war endlich die verhaßte Mauer gefallen, die Deutsche von Deutschen trennte. Forstfelder Siedlerinnen und Siedler empfangen am 19.11.1989 Besucher aus der DDR.

Fast alle Siedler waren sich einig: Wir wollen ein Zeichen setzen! So wurde für's Wochenende geplant und dann mit viel Enthusiasmus ans Werk gegangen. Morgens um vier Uhr trafen sich bereits Siedlerfrauen, um beim Siedlervorsitzenden Flamiger in der Garage 24 Vierpfünder Brote zu schmieren und mit diversem Belag zu versehen. In großen Mengen wurde Kaffee, Tee und Kakao zubereitet. Inzwischen bauten Siedler den Stand an der Leipziger Straße/Ecke Fischhausweg auf. Ab 7 Uhr wurde der Ansturm der Besucher immer heftiger. Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen. So manche Träne wurde vergossen. Dankbar und teilweise mit erstaunten Augen, vor allem bei Kindern, nahm man die dargebotenen Gaben entgegen. Die Reaktionen gingen schon unter die Haut. Ich erinnere mich an den Ausspruch einer Frau: "Und Ihr sollt unsere Feinde gewesen sein?" Einem etwa 10 bis 12 Jahre alten Mädchen wollte ich eine Tafel Schokolade schenken. Die Mutter machte mir klar: Das Mädel hat schwere Diabetes und darf keine Süßigkeiten essen. Daraufhin verabredete ich mit Ihr, sie solle auf dem Rückweg abends noch mal herkommen. Sie kam tatsächlich und das Mädel bekam eine ganze Einkaufstüte voll Diätartikel, die wir inzwischen beschafft hatten. Eine andere Familie fragte ganz bescheiden nach der Möglichkeit, Kontakt mit einem Kegelklub herzustellen. Durch mein Geschäft für Vereinsbedarf kannte ich viele Kegler. Von Vorteil war aber, dass ich den einzigen Kasseler Verein mit einer Asphaltbahn kannte. Der Kontakt wurde zur Freundschaft und jährlich wird wechselweise in Kassel und Apolda ein Pokal ausgekegelt.                                                                                                                                  Text: Rolf Jung

Bewirtung von Besuchern aus der DDR nach der Grenzöffnung am 19.11.1989
Bewirtung von Besuchern aus der DDR nach der Grenzöffnung am 19.11.1989  Foto: Dieter Durstewitz
Etwas später war unser Stand von DDR-Besuchern umlagert.
Nach der Grenzöffnung   Foto: Dieter Durstewitz

In der Siedlerfestschrift zum 55jährigen Bestehen schrieb zwei Jahre später Ilse Urlen:

"Grenzenlose" Freude

Das wohl für alle Deutschen wichtigste Ereignis ist die deutsche Wiedervereinigung. Wer hätte damals geglaubt, daß dieser Traum so bald Wirklichkeit werden könnte? Im November 1989 wurde die deutsch-deutsche Grenze geöffnet. Trabis und Wartburgs kamen in endlosen Kolonnen über die Leipziger Straße nach Kassel. Am 19.11.89 erwartete eine Gruppe unserer Siedlergemeinschaft frühmorgens die Freunde aus der "DDR" an der Leipziger Straße, um sie mit heißen Getränken, Brötchen und Süßigkeiten zu bewirten. Viele Tränen der Freude und der Rührung wurden vergossen. Es war ein einmaliges Erlebnis. Seit dem 03.10.1990 ist das deutsche Volk nun auch offiziell wiedervereinigt

Wir hatten uns jahrzehntelang nichts sehnlicher gewünscht, und ich meine, wir sollten uns diese "grenzenlose Freude" nicht durch die Schwierigkeiten und finanziellen Pro­bleme, die im Übrigen vorhersehbar waren, trüben lassen.

Redaktion: Falk Urlen

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Kurzbeschreibung

Am 10. November 1989 war endlich die verhaßte Mauer gefallen, die Deutsche von Deutschen trennte. Forstfelder Siedlerinnen und Siedler empfangen am 19.11.1989 Besucher aus der DDR.

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