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16 Millionen Kühlschränke aus Bettenhausen
- Autor: Falk Urlen
- Zeit: 1950
- Ort: Industriegebiet Lilienthalstrasse 150
- Vom: 14.06.2016
- Themen: Firmen- und Industriegeschichte, Industrie und Gewerbe
50 Jahre wurden in Kassel in der Lilienthalstr. von der Firma AEG Kühlschränke gebaut und permanent weiterentwickelt. 1995 übernimmt der schwedische Konzern Electrolux das Unternehmen und verlagert die Produktion schrittweise ins Ausland. Im Jahr 2002 wird das Werk in Kassel geschlossen.
Dr. Gerd-Uwe Becker (Werksleiter AEG-Kassel) schrieb 2002 im Vorwort zu einer Schrift für die Werkangehörigen:
„Im Dezember 2001 wurde der Beschluß zur Schließung des Werkes Kassel von Electrolux verkündet… Ich wünsche möglichst vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Zukunft einen neuen Arbeitsplatz, verbunden mit einem besonderen Dank an alle für den Einsatz in den vielen Jahren bei der AEG. Jeder hat auf seine Art und Weise durch seine Tätigkeit beigetragen, daß wir bis zum Ende jedes Jahr bestmögliche Ergebnisse geliefert haben, auch wenn es letztlich nicht gereicht hat.“ Am 13. Dezember 2002 wurde das Werk geschlossen, seit 1994, nachdem der Weltkonzern Electrolux die Firma übernommen hatte und die Produktion ins Ausland verlagert hatte, verloren ca. 1200 Arbeitskräfte ihre Arbeit. Viele davon wohnten in den Stadtteilen Forstfeld und Bettenhausen.
Geschichte
Die Geschichte des AEG-Hausgerätewerks in Kassel währte gut 50 Jahre. Rund 16 Millionen Kühlschränke wurden in dieser Zeit gebaut. Hier einige Schlaglichter:
- 1950 wird die Produktion vom schwäbischen Backnang auf das Gelände der früheren Junkers Flugmotoren-Werke an der Kasseler Lilienthalstraße verlagert.
- 1952 erfinden Kasseler AEG-Ingenieure das Einbau-Kühlgerät.
- 1960 wird die Kapazität des Werkes erweitert. Eine 8500 Quadratmeter große Produktionshalle entsteht.
- ab 1968 wird am Standort Kassel eine neue Kühlschrank-Isolierung entwickelt. Als Isoliermaterial löst Styropor die Stein- und Glaswolle ab.
- 1975 entstehen weitere Produktionshallen.
- 1982 erleben die AEG-Beschäftigten ihre bis dato schwärzeste Stunde. Das Unternehmen muss Vergleich anmelden.
- 1991/92 beschert die deutsche Wiedervereinigung dem Werk einen Auftragsboom. Über 600000 Geräte werden hergestellt. Das Fließband wird durch ein fahrerloses Transportsystem ersetzt.
- 1995 übernimmt der schwedische Electrolux-Konzern das Werk. Es folgt eine Rosskur: Von den 1200 Beschäftigten im Jahre 1991 bleiben nur rund 400 übrig.
- 14.Dezember 2001 Electrolux verkündet das Aus für das AEG-Werk.
Entwicklung
Hausgeräte werden von der AEG bereits seit 1889 produziert. Begonnen mit der Kühlschrankproduktion wurde im Jahre 1927 in den AEG-Fabriken Henningsdorf mit der Fertigung der ersten Kompressoren, die dann in Schränke einer anderen AEG-Tochter – SANTO – eingebaut wurden. Kurz vor dem Kriege 1938/39 wurde erstmalig ein hermetisch gekapselter Kompressor auf den Markt gebracht, bei dem Kompressor und Motor eine eng verbundene Einheit bilden, so wie wir es auch heute noch bei Haushaltskühlschränken kennen. Die Schrankgehäuse waren im Vergleich zu heute noch ausgesprochene "Geldschränke". Sie bestanden aus Stahlblech, hatten Emaille-Innenbehälter und die Isolation bestand aus mit Bitumen vernetztem Korkschrott oder Stein- oder Glaswolle.
Nach Verlegung der Produktion nach Radeberg in Sachsen im Jahr 1942, der vollständigen Demontage 1945, wurde 1946 in bescheidenem Rahmen wieder mit der Reparatur von Kühlschränken in Helmbrechts begonnen. Als eigentlicher Wiederbeginn der Kühlschrankfertigung kann das Jahr 1949 mit dem Start in Backnang bei Stuttgart angesehen werden.
Im Jahre 1950 erfolgte dann die Verlagerung der Fertigung nach Kassel, wo die AEG das Gelände der früheren Junkers-Flugmotoren GmbH übernommen hatte. Im Bau 5 begann der Ausbau der mechanischen Fertigung, die Montage von Kompressoren und Kühlmaschinen. Der Einbau dieser Kühlaggregate erfolgte zunächst in fremd bezogene Gehäuse.
Die 50-er Jahre zeichneten sich durch eine stürmische technische Entwicklung und Programm-Erweiterung aus. Im Jahr 1952 wurde in Kassel die Idee geboren, Hausgeräte in einer Einbauversion anzubieten. Die ersten auf dem Markt erschienenen Einbaugeräte waren also Kühlschränke aus Kassel. Sie waren der Grundstein für den ganz besonderen Erfolg auf diesem Sektor.
1953 wurde vom bis dahin üblichen Kältemittel SO2 (Schwefeldioxid) auf die physiologisch ungefährlichen Frigene umgestellt. Die Anfänge einer eigenen Gehäusefertigung fallen in die Jahre 1957/58. Diese Fertigung wurde beeinflusst durch die immer stärkere Ausbreitung von thermo-plastischen Kunststoffen. So war die AEG der erste Hersteller in Deutschland, der Kühlschränke mit Styropor isolierte. Die Wiege des modernen kunststoffisolierten Kühlschrankes stand daher bei AEG-TELEFUNKEN in Kassel.
Damit verbunden war die Umstellung der Innenbehälter von Stahl, emailliert, auf vakuumgezogene Kunststoff-Teile. Der Anfang war mit 7.500 Stück im Jahr recht bescheiden. Die ständig steigenden Stückzahlen erforderten den Bau einer neuen Halle in der Größe 100 x 85 m und 8 m Höhe, die nach ihrer Fertigstellung 1960 in Betrieb genommen wurde. In diese Zeit fällt auch die Umstellung auf moderne Fertigungsmethoden, Transfer-Straßen und verkettete Einzweckmaschinen sowie Montage-Fließbänder, mit dem Ziel eines möglichst schnellen Materialdurchflusses unter Ausschaltung unnötiger Transporte.
Die Weiterentwicklung der Isolierstoffe führte im Jahre 1968 zur Umstellung auf Hartmoltopren. Sie ergab durch ihren höheren Isolationswert größere Nutzvolumen bei gleichen Außenmaßen. Weiterhin wurde eine Blechfertigung mit modernsten Fertigungsstraßen und elektrostatischer Lackieranlage für Seitenbleche und Türen geplant. Der notwendige Erweiterungsbau mit einer Fläche von ca. 5.000 m 2 wurde in 1970 erstellt und 1971 in Betrieb genommen. Neben der Schaffung neuer Lagerflächen werden schließlich 1974 noch weitere 3800 m2 Fertigungsflächen für die mechanische Fertigung erstellt, so dass die Fabrik 1977eine gesamte Fertigungsfläche von 28.000 m2 und 1988 eine solche von 45.000 m2 auf einem Werksgelände von ca. 100.000 m2 verfügte. 1985 war noch ein neues Versandlager mit 6.000 m2 errichtet worden. Der Versand erfolgte danach an Stelle der Schiene überwiegend über die Straße.
Durch die deutsche Wiedervereinigung erlebte das Werk noch einmal einen Auftragsboom, es wurden 600000 Geräte produziert, das Fließband wird durch ein fahrerloses Transportsystem ersetzt. 1994 wird die AEG-Hausgeräte-AG verkauft, Elektrolux übernimmt 1995 die Fertigungsstätte für Kühl– und Gefriergeräte in Kassel, es werden 800 Arbeitnehmer entlassen, die Produktion wird in ein Land mit niedrigerem Lohnniveau verlagert. Am 13. Dezember 2002 wird das Werk endgültig geschlossen und weitere 400 Mitarbeiter verlieren ihre Arbeit. Volkswagen mietet des Gelände der AEG Hausgeräte und verlagert bis 2004 die Aggregateaufbereitung von Baunatal auf dieses Gelände. Foto: Das letzte Gerät aus Kassel am 13. Dezember 2001
Autor und Redaktion: Falk Urlen, Mai 2016
Quellen:
- Falk Urlen, Forstfelder Geschichte[n], Kassel 2002
- Referat Dr. Link v. 21.10.1988
- Gespräche mit Dr. Gerd-Uwe Becker
- Chronik der AEG Hausgeräte Kassel, AEG-Hausgeräte GmbH, Werk Kassel
Fotos: Chronik der AEG Hausgeräte Kassel, AEG-Hausgeräte GmbH, Werk Kassel
Nachtrag
Nachdem diesser Beitrag erschienen war, meldete sich Herr Joachim Bürgel bei der Redaktion.
Herr Bürgel hat sein gesamtes Berufsleben bei der AEG verbracht. Zunächst als Elektromaschinenbau-Lehrling in der Söhrestraße, eine der bundesweit größten Reparaturwerkstätten für Elektromotoren, und danach 34 Jahre in der Kühlschrankfabrik Kassel, der sog. KSF. In der Fabrik begann er nach dem Studium in 1965 als Jungingenieur. Hier hat er dann verschiedene „Ebenen“ erklommen, die letzten 16 Jahre war er Direktor des Entwicklungsbereiches. Er ist 1999 ausgeschieden, nachdem die Entwicklung in das (Electrolux) Werk in Italien verlagert wurde und damit die spätere Schließung des Kasseler Standorts bereits vorprogrammiert wurde. Er blieb aber in engem Kontakt mit der Fabrik und hat unmittelbar vor der Schließung noch wichtige umfangreiche Dokumente/Fotos der Fabrikgeschichte sichern können. Die Tragik der KSF-Historie besteht darin, dass nach der Schließung alle wichtigen Dokumente, historische Geräte, Ausstellungsstücke usw. in die „Mutterfabrik“ nach Nürnberg (Waschmaschinen, Geschirrspüler, Wäschetrockner) verlagert wurden, diese Fabrik wurde aber nach kurzer Zeit von Electrolux ebenfalls geschlossen und dabei wurde leider alles vollständig entsorgt oder verschrottet. Dadurch ist er der Einzige, der noch alte Unterlagen besitzt.
Aus diesen Unterlagen stellte er einen Bericht zusammen, den er in der Zeitschrift "technik nordhessen" (1-2018) veröffentlichte.
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Kurzbeschreibung
50 Jahre wurden in Kassel in der Lilienthalstr. von der Firma AEG Kühlschränke gebaut und permanent weiterentwickelt. 1995 übernimmt der schwedische Konzern Electrolux das Unternehmen und verlagert die Produktion schrittweise ins Ausland. Im Jahr 2002 wird das Werk in Kassel geschlossen.
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