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Arbeitssuche und Ausbildung nach dem Zweiten Weltkrieg
- Autor: Geschichtskreis "Bettenhausen früher und heute"
- Zeit: 1945
- Ort: Leipziger Straße < Leipziger Platz
- Vom: 22.04.2023
- Themen: Jugend- und Kindheitserinnerungen, Menschen erzählen
Karl Wills Jahrgang 1932 erlebte den Zweiten Weltkrieg in Bischhausen Walkappel, wohin er nach den schweren Bombenangriffen auf Kassel im Oktober 1943 mit seinen zwei Schwestern und seiner Mutter evakuiert wurde. Das Schuhmacher - Geschäft seines Vaters Peter Wills und ihre Wohnung in Kassel waren nur noch ein Trümmerhaufen. Seine Erzählungen von Erlebnissen in Bischhausen und über seine Erfahrungen währender der Ausbildung zum Schuhmacher beginnen 1945.
„Der fürchterliche Zweite Weltkrieg ist Gott sei Dank zu Ende. Ich bin 1932 geboren und gehöre somit zu den sog. Kriegskindern (1925 - 1935). Ich habe meinen Vater in Russland verloren und meine Mutter wohnt mit uns drei Kindern 1947 noch in Bischhausen (Kreis Eschwege), wo wir nach unserer Ausbombung im Oktober 1943 in Kassel-Bettenhausen unterkamen. Ich bin 1946 konfirmiert worden, aber mit den Arbeitsstellen im ländlichen Bereich sah es nicht gut aus. Ich freundete mich mit einem amerikanischen Besatzungs-Soldaten an, welcher mich dann bei Seiner Einheit als Küchenhilfe beschäftigte. (ohne Entlohnung natürlich) Nichts tat ich lieber. Jetzt konnte ich mich das erste mal wieder richtig satt essen. Auch für meine zwei Geschwister und meine Mutter fiel noch etwas ab. Während der Mittagszeit wurde ich immer in ein Nachbarhaus „abkommandiert“ wo nur Offiziere speisten. Ich war dort als „Türsteher“ eingesetzt, d.h. ich musste mich vor die Tür des Speiseraumes stellen und wenn eine Tischglocke läutete musste ich die Wünsche der Herren Offiziere erfüllen. Nach dem Speisen, nach verlassen des Raumes bekam ich als Lohn von vielen Soldaten meine ersten (Ami) Zigaretten (mit 14 Jahren) welche meine Mutter zum Tauschen für Lebensmittel gut gebrauchen Konnte.
Natürlich dauerte dieser Zustand nicht ewig an, denn eines Tages rückten die Besatzer wieder ab und ich musste mich nach einer richtigen Arbeitsstelle umschauen. Die Auswahl war nicht sehr groß. Ich konnte im 11 Km entfernten Eschwege eine Bürostelle oder 45 Km entfernten Kassel eine Lehre als Schuhmacher beginnen. Ich entschied mich für das letztere. Da würde Sich mein Vater wenn er aus dem Krieg zurück kam aber freuen, denn er war ja „nur“ vermisst und sein Geschäft in Bettenhausen war 1943 zerstört worden. Meine Lehre begann im März 1947 in einem Kellergewölbe der zerstörten Kriegsschule am Steinweg gegenüber dem Zwehrener Turm neben dem jetzigen Naturkundemuseum. Jetzt hieß es für mich früh aufzustehen, denn der „Dampfzug“ nach Kassel fuhr morgens Kurz nach halb sechs Uhr und brauchte bis Bettenhausen zwei Std. (bis zum Hauptbahnhof über Waldau, Niederzwehren, Wilhelmshöhe und Kirchditmold sogar zweieinhalb Stunden) Die Züge waren zu dieser Zeit (zwei Jahre nach dem Krieg) noch nicht geheizt und viele Fenster der Waggons waren mit Pappe vernagelt. Sitzplätze waren Mangelware. In Bettenhausen angekommen, ging es zu Fuß die Leipziger Str. über die Drahtbrücke zum Friedrichsplatz/Ecke Steinweg. Dann acht Stunden stehende Arbeit bei 25,00 RM Monatslohn im 1. Lehrjahr. Es gab jede Menge Schuhe zu reparieren.
Im Juni 1948 gab es die so genannte Währungs-Reform, d.h. die RM wurde 1:10 abgewertet und es gab pro Person 40 DM Kopfgeld. Ich bekam einen neuen Anzug und durfte mich zu einem Tanzkurs anmelden. Inzwischen war auch die Fuldabrücke wieder neu aufgebaut worden.
Mein Lehrmeister Werner Pforr bekam einen neuen Schuhladen mit Werkstatt in der Wolfsschlucht, das Kellergewölbe der Kriegsschule wurde danach das Nachtlokal „Künstlerkeller“.
In der Wolfsschlucht musste ich mich des Öfteren mit Trümmerschutt beseitigen beteiligen, in dem wir mit Schaufeln Kipploren füllen mussten, welche dann im vollen Zustand zu einem Zug zusammen gestellt wurden, anschließend von einer kleinen Dampf- oder Diesellok abgeholt wurden um über den Friedrichsplatz den Auehang zu erreichen, wo die Kipploren dann entleert wurden. Ein jeder in Kassel gemeldete, arbeitsfähige Bürger musste diese 50g. Aufbau-Stunden ableisten. Ich tat diese Arbeit für meinen Chef welcher Epileptiker war. Zur gleichen Zeit - es ist kaum zu glauben, aber wahr - überflogen amerikanische Bomber den Friedrichsplatz und warfen Schokolade und Süßwaren an kleinen Fallschirmen ab. Was waren das für Gegensätze!
Nach drei Jahren Lehrzeit war meine Ausbildung als Schuhmacher im März 1950 beendet. Ich hatte meine Gesellenprüfung mit „Gut“ bestanden , wurde aber trotzdem nicht übernommen. Es gab noch viele Arbeitslose und ich konnte nicht vermittelt werden , so dass ich Stempeln gehen musste. Ich konnte mir dann wöchentlich 5,55 DM abholen. Die amerikanische Besatzungsmacht führte die Gewerbefreiheit für Deutschland ein und so war es mir möglich mich selbstständig zu machen. Der Haken an der Sache war nur, man musste volljährig sein, d.h. 21 Jahre.
Ich ging zum Amtsgericht und beantragte eine Volljährigkeits-Erklärung worauf ich gefragt wurde: „Wann wollen Sie denn Heiraten?“ Ich war völlig verdutzt und erklärte dann die Sachlage. Es klappte. In Bettenhausen Nähe Leipziger Platz fand ich eine günstige Hinterhofwerkstatt wo ich begann. Ich hatte ja nicht viel zu verlieren, war mir aber im Klaren darüber, dass ich hier eine gute Arbeit zu einem günstigen Preis abliefern musste. Ich ließ Handzettel drucken und verteilte sie im größerem Umkreis, so dass ich einen guten Start hatte und der Umsatz langsam stieg. In der Stadt wurde an allen Ecken und Enden am Wiederaufbau gearbeitet, es wurde Geld verdient und die Menschen wollten auch mal wieder fröhlich und lustig sein. Es wurden wieder Faschings-Veranstaltungen abgehalten, die Frühjahrs- und Herbstmesse waren auf dem Friedrichsplatz und auch der Zissel wurde wieder an der Fulda gefeiert.
1951 wurde das erste Herkules-Bergring-Rennen für Motorräder mit großer Beteiligung ausgetragen. Der Sieger in der 250er ccm Klasse war Gerd Duthe auf DEW aus Bettenhausen. Ich kannte ihn persönlich da er bei mir in der Nähe ein kleines Bierlokal besaß. Im August 1952 - ich war gerade 20 Jahre alt - beging die Kasseler Schuhmacher Innung ihre 550 Jahrfeier in Form einer Leistungsschau in einem großen Zelt auf dem Friedrichsplatz. Ich beteiligte mich hieran und fertigte abends nach Feierabend ein Paar Herrenschuhe und ein Paar hellbraune Reitstiefel an. Außerdem konnte man Schuhreparaturen ausstellen. Ich war optimistisch und die Mühe hatte sich gelohnt. In der Gruppe Sport - Mode - Luxusschuhe bekam ich eine Silbermedaille Und in der Gruppe Schuhreparaturen einen ersten Preis. Diese Auszeichnungen gaben mir und meinem jungen zweijährigen Geschäft natürlich Auftrieb. Meinen Betrieb habe ich 24 Jahre aufrechterhalten bis ich dann in den Handel überwechselte.“
Karl Wills, Juli 2009
Editor: Erhard Schaeffer, April 2023
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Kurzbeschreibung
Karl Wills Jahrgang 1932 erlebte den Zweiten Weltkrieg in Bischhausen Walkappel, wohin er nach den schweren Bombenangriffen auf Kassel im Oktober 1943 mit seinen zwei Schwestern und seiner Mutter evakuiert wurde. Das Schuhmacher - Geschäft seines Vaters Peter Wills und ihre Wohnung in Kassel waren nur noch ein Trümmerhaufen. Seine Erzählungen von Erlebnissen in Bischhausen und über seine Erfahrungen währender der Ausbildung zum Schuhmacher beginnen 1945.
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