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Das Ambi Werk Kassel - Niederlassung eines großen Mischkonzerns
- Autor: Bernd Schaeffer
- Zeit: 1920
- Ort: Ochshäuser Straße
- Vom: 11.03.2021
- Themen: Firmen- und Industriegeschichte, Industrie und Gewerbe
Die 850 m lange Landzunge zwischen Leipziger Straße im Osten und der Ochshäuser Straße im Westen wurde schon sehr früh (1879) durch die Gleise der Cassel-Waldkappeler-Eisenbahn mit dem überregionalen Eisenbahnnetz verbunden. In der Folgezeit siedelten sich hier, auf der Suche nach gut erschlossenen Gewerbegebieten, finanzkräftige Investoren an. Nach dem Ersten Weltkrieg entschloss sich Arthur Müller, Konzerninhaber aus Berlin, auf dem Grundstück des ehemaligen Restaurants „Zum Forsthaus“, die Niederlassung der „Ambi, Arthur Müller Maschinen- und Apparatebau AG“ zu gründen. In der Ochshäuser Straße Nr. 31, 35 und 37 existierten die Ambi-Werke im Kasseler Adressbuch von 1920 bis 1938. Ab 1939 übernahm die expandierend Spinnfaser AG das Gelände. Das Haus Ochshäuser Straße 31 wurde im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört. Das Doppelhaus Ochshäuser Straße 37/39 musste Anfang der 1960er Jahre einer Aral-Tankstelle und einem Autohandel weichen.
Die Ochshäuser Straße verbindet schon seit Jahrhunderten die beiden Dörfer Bettenhausen und Ochshausen. In Anlehnung an das in der Ochshäuser Straße Nr. 6 stehende Forsthaus eröffnete noch vor dem Ersten Weltkrieg der Gastwirt Johannes Bürmann sein Restaurant „Zum Forsthaus“ in dem Doppelhaus Ochshäuser Straße 37/39. Bis zu ihrem Umzug nach Eschwege betrieb die Familie Bürmann auch die Gaststätte „Lindenberger Höhe“ an der Leipziger Straße.
Nach dem Ersten Weltkrieg kaufte Arthur Müller (* 23.10.1871, † 19.1.1935), Unternehmer aus Berlin, das Haus Ochshäuser Straße 37/39 mit dem dahinterliegenden großen Grundstück, um darauf eine Niederlassung der Ambi-Werke zu errichten.
Ambi steht für Arthur Müller Bauten und Industriewerke. Arthur Müller war von 1896 bis zu seinem frühen Tod ein erfolgreicher Unternehmer, der es aus kleinen Anfängen heraus bis zum Manager eines großen Mischkonzerns gebracht hat
Er entstammte einer jüdischen Familie und wurde 1871 im westpreußischen Stuhm (heute Sztum) geboren. Seinen Geburtsnamen Aron Cohn legte er schon vor 1895 ab, dies war in dieser Zeit nicht unüblich. 1902 begann er mit einer Dünge- und Futtermittelhandlung seine Selbstständigkeit. Er erfand ein Futtermittel aus einem amerikanischen Mais-Glukose-Produkt und Melasse. Damit war er sehr erfolgreich und legte den Grundstein für sein späteres Vermögen.
Seine Beobachtung, dass Landwirte große Schwierigkeiten hatten, ihre Ernteprodukte preiswert und trocken einzulagern, brachte ihn auf die Idee, Feldscheunen und große Lagerhallen –später auch Wohnhäuser- in Leichtbauweise zu errichten. Er ließ sich diese Bauweise patentieren und gründete 1905 die „Arthur Müller Feldscheunen GmbH“. 1908 wandelte er diese Gesellschaft in die „Arthur Müller Land- und Industriebauten AG“ um. Mit immer neuen Ideen und wärmedämmenden, vorgefertigten Baustoffen stieg er nach 1918 mit in den Wohnhaus- und Siedlungsbau ein.
Ständig auf der Suche nach bahnbrechenden Erfindungen und wirtschaftlichem Erfolg beschäftigte er sich schon früh mit Luftschiffen und Flugzeugen. Zwischen Johannisthal und Adlershof entstand in Berlin durch seinen Gründergeist der erste Motorflugplatz Deutschlands. Zum Bau der riesigen Hallen (Hangars) für Luftschiffe und Flugzeuge gründete er 1910 die Ballonhallenbau GmbH. Dazu kamen die Luftfahrt-Betriebs-Gesellschaft und zwei Jahre später die Luft-Verkehrs-Gesellschaft AG (LVG). Mit der LVG stieg er in den Flugzeugbau ein und wuchs zu einem der größten deutschen Flugzeughersteller seiner Zeit. Außerdem baute er Wohnblocks nach seinem Leichtbauverfahren und gründete eine Reisegesellschaft. Müller fasste schon 1919 seine zahlreichen Gesellschaften zu einem Groß- Konzern zusammen, den Ambi-Werken, mit Betrieben und Geschäftsstellen in siebzehn deutschen Städten.
Ab 1923 unternahm Müller mit seinen beiden Söhnen eine dreijährige Reise in die USA. Dort traf er auf Edward G. Budd, der ein Verfahren zur Fertigung von Ganzstahlkarosserien für Automobile entwickelt hatte. Neu war hierbei, dass die tiefgezogenen Blechteile durch Punktschweißen miteinander verbunden und nicht mehr, wie bei der Gemischtbauweise, auf ein hölzernes Karosseriegerippe genagelt wurden. Edward G. Budd und Arthur Müller gründeten 1926 auf dem Gelände der ehemaligen Rumpler-Flugzeugwerke am Flugplatz Johannisthal ein Gemeinschaftsunternehmen, die AMBI-Budd Presswerk GmbH (ABP).
Mit den neuartigen Ambi-Budd Karosserien rüsteten führende Autohersteller wie Adler, Ford, BMW, Hanomag und NSU ihre Fahrzeuge aus. Schon 1927 stellten im Berliner Presswerk 800 Arbeiter zweihundert Karosserien pro Tag her. Ab 1936 fertigte das Ambi-Budd-Presswerk auch die Karosserien für den Einheits-Pkw der Deutschen Wehrmacht.
Arthur Müller starb am 19. Januar 1935 als Diabetiker an den Folgen eines Unfalls. Seine Frau Thekla Müller bemühte sich ab 1939 um ihre Ausreise, um der Verfolgung durch die Nazis zu entgehen. Durch die Zahlung der „Reichsfluchtsteuer“ (Gesetz vom 8. Dez. 1931) wurde sie teilenteignet und konnte im Juni 1941 ausreisen. Die Asche ihres Mannes Arthur Müller nahm sie mit und ließ sie an ihrem neuen Wohnort in New York nochmals beisetzen. Die Leistungen und die innovativen Ideen von A. Müller wurden von den Nazis verschwiegen. Was von seinem Vermögen übrig geblieben war, lag größtenteils auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und wurde nach 1945 verstaatlicht.
Das Gelände des Ambi-Werks in Kassel an der Ochshäuser Straße ging 1938/39 in den Besitz der expandierenden Spinnfaser AG über. Das Haus Ochshäuser Straße 31 wurde durch Kriegseinwirkung völlig zerstört. Das Doppelhaus Nr. 37/39 mit dem dazu gehörigen Gelände hatte nach den Recherchen im Adressbuch viele, wechselnde und namhafte Nutzer. Neben Eisen Knetsch, Hermann Hunecke sowie Brill u. Menke hatte auch die Seifenfabrik Gebr. Riede hier einmal ihr Büro und/oder Lager.
Anfang der 1960er Jahre musste das Doppelhaus Ochshäuser Straße 37/39 einer Aral Tankstelle weichen; das dahinterliegende Areal nutzt bis heute (2021) ein großer Kasseler Autohändler.
Text und Editor: Bernd Schaeffer, März 2021
Quellen:
- "Ortsgeschichte Heft 16" vom Freundeskreis Heimatgeschichte Treptow / Alexander Kauther: Vortrag über den Unternehmer Arthur Müller (1971-1935)
- R. Schmiedel und H. Raddatz, "Baukunde für Laien"
- Monika Tatzkow/Hartmut Henicke: Arthur Müller. Leben - Werk - Vermächtnis. Ein jüdisches Familienschicksal. Propietas Verlag, Berlin 2000
- https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_M%C3%BCller_(Unternehmer)#AMBI_Werke aufgerufen am 03.03.2021
- www.bb-wa.de/2015-09-02-09-31-12/bezirkswirtschaftsgeschichten/22-presse-und-publikationen/bezirkswirtschaftsgeschichten/974-treptow-2017.html. aufgerufen am 03.03.2021
- https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_M%C3%BCller_(Unternehmer)#AMBI_Werke aufgerufen am 03.03.2021
- www.ambi-budd.de/ueber-uns/ueber-ambi-budd.html. aufgerufen am 05.03.2021
- https://www.fahrzeugbilder.de/?name=galerie&kategorie=suchen&suchbegriff=Ambi aufgerufen am 05.03.2021
- Stadtarchiv KS Bestand K Nr. K 563, Lageplan der Ambi Werke / Spinnfaser AG, 1938, 1:1500
- https://technikmuseum.berlin/sammlung/historisches-archiv/ aufgerufen am 05.03.2021
- Adressbuch von Kassel und Umgebungen, verschiedene Jahrgänge, https://orka.bibliothek.uni-kassel.de/viewer/toc/1382947338432/1/
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Kurzbeschreibung
Die 850 m lange Landzunge zwischen Leipziger Straße im Osten und der Ochshäuser Straße im Westen wurde schon sehr früh (1879) durch die Gleise der Cassel-Waldkappeler-Eisenbahn mit dem überregionalen Eisenbahnnetz verbunden. In der Folgezeit siedelten sich hier, auf der Suche nach gut erschlossenen Gewerbegebieten, finanzkräftige Investoren an. Nach dem Ersten Weltkrieg entschloss sich Arthur Müller, Konzerninhaber aus Berlin, auf dem Grundstück des ehemaligen Restaurants „Zum Forsthaus“, die Niederlassung der „Ambi, Arthur Müller Maschinen- und Apparatebau AG“ zu gründen. In der Ochshäuser Straße Nr. 31, 35 und 37 existierten die Ambi-Werke im Kasseler Adressbuch von 1920 bis 1938. Ab 1939 übernahm die expandierende Spinnfaser AG das Gelände. Das Haus Ochshäuser Straße 31 wurde im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört. Das Doppelhaus Ochshäuser Straße 37/39 musste Anfang der 1960er Jahre einer Aral-Tankstelle und einem Autohandel weichen.
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