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Das Dschungel-Camp in den Lossewiesen
- Autor: Bernd Schaeffer
- Zeit: 1967
- Ort: Eichwald
- Vom: 04.05.2020
- Themen: Stadtentwicklung, Menschen erzählen
In den Lossewiesen am Fuße des Eichwaldes wurden während des Zweiten Weltkriegs Baracken zur Unterbringung von Zwangsarbeitern errichtet. Als bei Kriegsende die Wohnungsnot im zerbombten Kassel am größten war und die Zwangsarbeiter das Lager verlassen hatten, wurden in den leerstehenden Baracken von der Obdachlosenfürsorge der Stadt Kassel sozialschwache, meist kinderreiche Familien untergebracht. Wer es schaffte, hatte bis in die Mitte der 1950e Jahre eine neue Bleibe gefunden. Die Zurückgebliebenen, meist vom miserablen Wohnumfeld geprägt, rutschten in die Alkoholsucht, die Prostitution und schlimmstenfalls in die Kriminalität ab. Die Bettenhäuser fanden für die am Wald stehenden eingeschossigen Gebäude mit Pappdach, bewohnt von Menschen aus vielen Ländern Europas, eine griffige Bezeichnung: „Der Dschungel“. Erst im Dezember 1967 wurde die letzte Baracke von der Kasseler Berufsfeuerwehr kontrolliert abgebrannt.
Die rüstungsrelevanten Firmen wie Fieseler, Junkers, Salzmann und Spinnfaser AG mit Firmensitz in Bettenhausen ersetzten während des Zweiten Weltkriegs die an der Front kämpfenden Arbeitskräfte sehr schnell mit Zwangsarbeitern aus dem besetzten Ländern Europas. Zur Unterbringung wurden an erster Stelle leerstehende Gebäude konfisziert und schließlich standardisierte Baracken, leichte, meist eingeschossige Behelfshäuser, errichtet. Nachweislich gab es im Kasseler Osten mehr als zwanzig Zwangsarbeiterlager. Eines der größten Barackenlager mit mindestens 500 Plätzen wurde in den frühen 1940er Jahren in den flachen Lossewiesen am Fuße des Eichwaldes bereitgestellt. Unter welchen Bedingungen Menschen in dieser Zeit in diesen Unterkünften leben und arbeite mussten ist zu erahnen, wenn man weiß, dass im Sommer 1941 zwei polnische Zwangsarbeiter des Lagers Eichwald aufgrund einer Anordnung des Reichsführers SS und Chef der Deutschen Polizei durch Erhängen hingerichtet wurden, weil sie sich angeblich einer Anordnung ihrer Aufseher wiedersetzt hatten.
Nach dem Ende des Krieges herrschte im zerbombten Kassel große Wohnungsnot, da außer den ausgebombten Kasselern auch eine zunehmende Zahl von Flüchtlingen untergebracht werden mussten. Wohnraum wurde zwangsbewirtschaftet und die Obdachlosenfürsorge belegte die Baracken am Eichwald durch Einweisung von kinderreichen Familien. Noch 1962 lebten in Kassel etwa 625 Haushalte mit mehr als 2500 Personen in sogenannten Notunterkünften. Im Lager Eichwald gab es in dieser Zeit 118 Familien mit 465 Personen in zehn Baracken. In den Nachkriegsjahren fehlte es den dort Untergebrachten am Notwendigsten für das tägliche Leben. Schulkinder hatten meist nur ein Paar Schuhe, die auf dem Weg zur Schule erst auf den letzten 100 Metern angezogen wurden, um sie auf diese Art und Weise zu schonen. Durch ihre abgetragener Kleidung, ungepflegten Haaren und nur unzureichender Körperpflege fielen die Lagerbewohner auf, wenn sie mit den übrigen Bürgern in Bettenhausen zusammentrafen. Ausgehend von der kralartigen, einem afrikanischen Runddorf ähnlichen Anordnung der Baracken und dem oft fremd anmutenden Aussehen der Bewohner entstand für das Lager am Eichwald die Bezeichnung: „Der Dschungel“. Das Synonym hatte sich schnell verbreitet und wurde noch vertieft, als, ausgehend vom negativen Wohnumfeld, ansteckende Krankheiten - Ruhr und Gelbsucht - sowie die Kriminalität in den Wohnbaracken signifikant anstiegen.
Auch die Eröffnung der Cornelius Gellert Kampfbahn auf einer großen Freifläche westlich des Barackenlagers in 1952 und Nutzung durch die Bettenhäuser Vereine konnte den Abstieg und schlechte Ruf des Barackenlagers nicht verhindern.
In den zehn Baracken lebten nur noch die Menschen, deren Lebensumstände soweit zerrüttet waren, dass sie sich nicht mehr aus eigener Kraft auf die Suche nach einer besseren Wohnung machen konnten. Als im Herbst 1961 ein aus dem „Dschungel“ stammendes Trio eine Frau aus Lohfelden auf dem Heimweg überfiel, vergewaltigte und anschließend ermordete, sahen sich die Verantwortlichen des Magistrats der Stadt Kassel veranlasst, schnelle Abhilfe zu schaffen und das Barackenlager aufzulösen
Der Weg zum Abriss war lang und steinig. Zuerst musste an anderer Stelle in Kassel bezahlbarer Wohnraum für die großen Familien geschaffen werden. Wo auch immer bekannt wurde, dass in neuen Wohnungen ehemalige „Dschungelbewohner“ einziehen sollten, regte sich Widerstand. So auch in Forstfeld, wo eine Frauengruppe und die Siedlergemeinschaften Lindenberg I und II verhindern wollten, dass die Umsiedler am Faustmühlenweg und dem Käseweg ihre neue Heimat finden sollten. Die Betroffenen Familien selbst zahlten in den heruntergekommenen Baracken 40 Pfenning Miete pro Quadratmeter und fühlten sich völlig überfordert, wenn sie in einer Neubauwohnung 1,20 DM/qm bezahlen sollte. Außerdem stellte es sich als besonders schwierig heraus, die in langen Jahren gewachsenen Klan-Strukturen durch Umzug aufzulösen. Doch der Magistrat der Stadt Kassel war fest entschlossen, den zum Problem gewordenem Wohnplatz aufzugeben. Die meisten Bewohner wurden im Frühjahr 1965 umgesiedelt. 108 Familien mit fast 500 Personen verließen den Dschungel für immer. Der Großteil der Baracken wurde abgerissen. Nur drei standen noch bis 1967.
Im Dezember 1967 meldete die HNA, dass der Dschungel verschwunden ist. Die letzten Baracken wurden aus Kostengründen von der Feuerwehr eingeäschert, vielleicht hat sich auch aus Hygienegründen keiner mehr getraut, die Gebäude abzureißen?
Geht man heute (2020) auf der Eichwaldstraße an der Cornelius Gellert Kampfbahn vorbei in Richtung Autobahn, sieht man rechter Hand hinter einem Kinderspielplatz neben den Tennisplätzen eine große grüne Weidefläche mit einzelnen Bäumen. Nichts erinnert hier an die wechselhafte und auch leidvolle Nutzung dieser Fläche in den Lossewiesen in den vergangenen 80 Jahren.
Text und Editor: Bernd Schaffer, Mai 2020
Quellen:
Archiv der HNA vom:
- 17.02.1962
- 12.11.1964
- 19.051965
- 08.12.1967
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Kurzbeschreibung
In den Lossewiesen am Fuße des Eichwaldes wurden während des Zweiten Weltkriegs Baracken zur Unterbringung von Zwangsarbeitern errichtet. Als bei Kriegsende die Wohnungsnot im zerbombten Kassel am größten war, und die Zwangsarbeiter das Lager verlassen hatten, wurden in den leerstehenden Baracken von der Obdachlosenfürsorge der Stadt Kassel sozialschwache, meist kinderreiche Familien untergebracht. Wer es schaffte, hatte bis in die Mitte der 1950e Jahre eine neue Bleibe gefunden. Die Zurückgebliebenen, meist vom miserablen Wohnumfeld geprägt, rutschten in die Alkoholsucht, die Prostitution und schlimmstenfalls in die Kriminalität ab. Die Bettenhäuser fanden für die, am Wald stehenden, eingeschossigen Gebäude mit Pappdach, bewohnt von Menschen aus vielen Ländern Europas eine griffige Bezeichnung: „Der Dschungel“. Erst im Dezember 1967 wurde die letzte Baracke von der Kasseler Berufsfeuerwehr kontrolliert abgebrannt.
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