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Das Ende von wogenden Feldern und blühenden Gärten in Bettenhausen.

Spielende Kinder am Leiterwagen auf dem Hof Schweitzer, 1957

Spielende Kinder am Leiterwagen auf dem Hof Schweitzer, 1957
Foto: Schweitzer, Kassel

Wenn man einen aktuellen Stadtplan von Kassel in die Hand nimmt, moderne Menschen rufen dazu eine digitale Karte im Internet auf, und richtet den Blick auf den Teil der Stadt östlich der Fulda, so fällt sofort ins Auge, dass es außer den Grünzügen entlang der Fulda und der zufließenden Bäche sowie den ausgewiesenen Grünflächen kaum noch unbebaute Flächen gibt. Vor zwei Generationen bot sich noch ein ganz anderes Bild. Die Ortskerne der eingemeindeten Dörfer waren umringt von Feldern und Wiesen. Welche gravierenden Veränderungen zwischen 1945 und 1965 in Bettenhausen stattgefunden haben und wer damit zwangsläufig seinen Hof oder den Gartenbaubetrieb aufgeben musste, soll durch diesen Beitrag ohne Anspruch auf Vollständigkeit festgehalten werden.

Buttlarstraße 14, Hof des Landwirts Müller
Buttlarstraße 14, Hof des Landwirts Müller  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.

Das alte Ackerbauerndorf Bettenhausen hat mit der vorindustriellen Ansiedlung von Mühlen und Handwerksbetrieben an der Losse und durch den Bau der dazugehörigen Mühlgräben sehr früh sein bäuerliches Gepräge verloren. Durch die Schaffung einer neuen Infrastruktur, z.B. den Bau von Eisenbahngleisen, befestigten Straßen und Brücken gingen zunehmend ortsnahe Felder und Gärten verloren.

Nach der Eingemeindung zur Stadt Kassel, in 1906, und der Gründung von Unternehmungen mit großem Flächenbedarf wie die Kasseler Druckerei und Färberei AG, der Kasseler Haferkakaofabrik Hausen & Co, AG, der Zündholzfabrik Otto Miram sowie der Textilfabrik Salzmann & Comp. setzte sich die obengenannte Entwicklung in immer stärkeren Maße fort. Ehemalige Gärten, Äcker und Wiesen in der Nähe des alten Dorfkerns wurden in Gewerbe- und Wohnflächen verwandelt und damit der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen. Die ansässigen Gärtner und Bauern wurden gezwungen auf die Bewirtschaftung der Flächen in der Ortsrandlage auszuweichen. Eine Entwicklung, die dem Grundgedanken eines arrondierten landwirtschaftlichen Hofes zuwiderlief und die Betreiber finanziell belastete.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, in Zeiten des Wiederaufbaus und des wirtschaftlichen Aufschwungs, wurde mit Förderprogrammen die Ansiedlung von Gewerbebetrieben in der Stadt Kassel intensiviert. Zur Deckung des damit einhergehenden Flächenbedarfs wandelte man mit Hilfe von Flächennutzungsplänen Ackerflächen, speziell im Kasseler Osten, in Gewerbe- und Siedlungsgebiete um.

Die Situation für die Bettenhäuser Landwirte und Gärtner veränderte sich unverkennbar zum Negativen. Als Gegenmaßnahme startete die hessische Landesregierung ein Programm zur Aussiedlung von landwirtschaftlichen Betrieben auf freiwilliger Basis. Die Hofbetreiber erhielten Ausgleichflächen im Landkreis Kassel und mussten mit ihren Familien in die stadtnahen Dörfer umziehen. Es gab jedoch auch Landbesitzer die sich für eine „moderne Dreifelderwirtschaft“ entschieden. Mit der Fruchtfolge: im ersten Jahr Getreide, im zweiten Jahr Kartoffeln und im letzten Jahr Baugebiet gaben sie ihren Hof auf. Sie lebten zukünftig als Privatier von den Erträgen der gut angelegten Gelder des Verkaufs oder vom Pachtzins ihrer Ländereien.

Buttlarstraße 6, Hof der Familie Karl Schweitzer, 1934
Buttlarstraße 6, Hof der Familie Karl Schweitzer, 1934  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.
In der Buttlarstraße 6 sitzt 1924 Großmutter Schweitzer mit zwei Enkeln auf dem Leiterwagen
In der Buttlarstraße 6 sitzt 1924 Großmutter Schweitzer mit zwei Enkeln auf dem Leiterwagen  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.
Pferdegespann des Landwirts Schweitzer in der Buttlarstraße 16, 1930
Pferdegespann des Landwirts Schweitzer in der Buttlarstraße 16, 1930  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e:V:
Altes Fachwerkhaus mit zwei Erkern
Altes Fachwerkhaus mit zwei Erkern  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.
Auf allen Höfen wurde Federvieh für den Eigenbedarf gehalten
Auf allen Höfen wurde Federvieh für den Eigenbedarf gehalten  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.
Die Getreideernte mit dem Pferdegespann war anstrengend und alle Familienmitglieder mussten anpacken
Die Getreideernte mit dem Pferdegespann war anstrengend und alle Familienmitglieder mussten anpacken  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.
Noch lange Zeit wurden die Garben mit der Hand gebunden und dann zum Trocknen aufgestellt.
Noch lange Zeit wurden die Garben mit der Hand gebunden und dann zum Trocknen aufgestellt.  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e,V.
Beim Aufstellen der Garben halfen auch die Kinder
Beim Aufstellen der Garben halfen auch die Kinder  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.
Erst wenn die letzte Fuhre Korn trocken auf dem Hof war, konnte der Erntekranz gebunden werden.
Erst wenn die letzte Fuhre Korn trocken auf dem Hof war, konnte der Erntekranz gebunden werden.  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.
Eine Dampfmaschine treibt die in der Scheune stehende Dreschmaschine über ein breites Lederband an.
Eine Dampfmaschine treibt die in der Scheune stehende Dreschmaschine über ein breites Lederband an.  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.
Das gedroschene Korn wurde in Doppelzentnersäcken abgefüllt und verladen.
Das gedroschene Korn wurde in Doppelzentnersäcken abgefüllt und verladen.  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.
Die Kartoffelernte war auch in den 1950er Jahren noch mit viel Handarbeit verbunden.
Die Kartoffelernte war auch in den 1950er Jahren noch mit viel Handarbeit verbunden.  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.
Nach der Ernte und vor dem Winter wird der Boden für die neue Aussaat vorbereitet und gepflügt.
Nach der Ernte und vor dem Winter wird der Boden für die neue Aussaat vorbereitet und gepflügt.  Foto: C. Eberth, Kassel

Heute (2021) gibt es in dem Kasseler Stadtteil Bettenhausen keinen Vollerwerbslandwirt und keinen Gärtner mit eigener Anbaufläche mehr. Die noch erhaltenen Hofstellen, in der Regel Dreiseithöfe, wurden zum Teil modernisiert und für Wohnzwecke umgebaut.
Noch vorhandene landwirtschaftliche Restflächen werden von Landwirten aus den angrenzenden Gemeinden z.B. Niestetal oder Kaufungen bearbeitet. Die langfristigen ökologischen Folgen der gesteigerten Flächenversiegelung sind noch nicht erforscht. Die Bemühungen zur Erhaltung von sogenannten Frischluftschneisen für den notwendigen Austausch von sauerstoffreicherer Luft aus den umliegenden Wäldern stehen erst am Anfang.

In den 1960er Jahren halfen die ersten Mähdrescher bei der Maisernte.
In den 1960er Jahren halfen die ersten Mähdrescher bei der Maisernte.  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.

Die Ausweisung zusätzlicher Gewerbegebiete hat sich zunehmend auf die Region Nordhessen verlagert, da größere zusammenhängende Flächen innerhalb des Stadtgebiets Kassel nicht mehr zur Verfügung stehen. Umso wichtiger wäre es, die innerhalb der Grenzen der Stadt Kassel (auch in Bettenhausen) liegenden Industriebrachen zu sanieren und einer neuen Nutzung zu zuführen.

Der ehemalige Hof Schweitzer in der Buttlarstraße 16 wurde saniert und zu einem individuellen Wohnhaus umgebaut.
Der ehemalige Hof Schweitzer in der Buttlarstraße 16 wurde saniert und zu einem individuellen Wohnhaus umgebaut.  Foto: B. Schaeffer, Kassel, 2016

Die unten aufgelisteten Landwirte und Gärtner bewirtschafteten noch in der Zeit von 1945 bis ca. 1965 Flächen in Bettenhausen.

Liste der Landwirte und Gärtner, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Betrieb in Bettenhausen eingestellt haben.

  • Hördemann, Johannes, Gärtner, Heiligenröder Straße 80, (später Omonsky)
  • Keidler, Fritz, kfm. Angestellter, Rinaldstraße 19 (war 1960 nicht mehr als Landwirt aktiv, wahrscheinlich hat er die Ländereien verpachtet)
  • Keidler, Paul, Landwirt und Gärtner, Steinbreite 11, war der letzte Markt-Beschicker aus Bettenhausen, ca. 20 Morgen
  • Malcomes, Karl, Gärtner, Sanderhäuser Straße 60, (genannt: Schlottenkarle)
  • Mentel, Konrad, Landwirt, Dorfstraße (Erfurter Straße) 20, ausgesiedelt vor 1960 nach Rothwesten, ca. 120 Morgen
  • Metz, Georg, Gärtner, Osterholzstraße 128,
  • Müller, August, Landwirt, Buttlarstraße 14, ca.70 Morgen
  • Reinhardt, August, Landwirt u. Gärtner, Ringhofstraße 3, ausgesiedelt 1963 nach Oberkaufungen, ca. 75 Morgen
  • Rininsland, Hermann und August, Gärtner, Lossestraße 142, ehemals Bickardt (ursprünglich Picard aus dem Hugenottendorf Mariendorf)
  • Schäfer, Karl, Landwirt u. Gärtner, Burgstraße 15, bis in die 1990er Jahre als Gärtner aktiv
  • Schweitzer, Georg, Landwirt, Buttlarstraße 16, ca. je 40 Morgen
  • Schweitzer, Karl, Landwirt, Buttlarstraße 6, ca. 60 Morgen
  • Sinning, Heinrich, Fleischermeister, Ringhofstraße 7, ca. 60 Morgen (hatte 1960 alle Ländereien verpachtet?)
  • Stein, Joachim, Gärtner, Heiligenröder Straße 45
  • Zufall, Fritz, Landwirt, Dorfstraße (Erfurter Straße) 24, , ausgesiedelt 1961 nach Rothwesten, mehr als 140 Morgen

 

(Anmerkung: Die angegebenen Flächen hat Hans Römhild geschätzt! Ein preuß. Morgen ist etwa 25 Ar bzw. 2500 Quadratmeter groß)

Die Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Verfasser ist an Hinweisen zur Ergänzung der Aufzählung interessiert.

Text und Editor: Bernd Schaeffer, April 2021

Quellen:
Kasseläner Klassik, Hrsg. Römhild, Hans, Verlag Schneider und Weber Kassel, 1965, ergänzt durch Namen und Adressen aus dem Kasseler Adressbuch von 1958

Im Anhang finden sie eine Liste der landwirtschaftlichen Betriebe in Bettenhausen, die in 1901 und in 1907 im Kasseler Adressbuch verzeichnet waren.

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Kurzbeschreibung

Wenn man einen aktuellen Stadtplan von Kassel in die Hand nimmt, moderne Menschen rufen dazu eine digitale Karte im Internet auf, und richtet den Blick auf den Teil der Stadt östlich der Fulda, so fällt sofort ins Auge, dass es außer den Grünzügen entlang der Fulda und der zufließenden Bäche sowie den ausgewiesenen Grünflächen kaum noch unbebaute Flächen gibt. Vor zwei Generationen bot sich noch ein ganz anderes Bild. Die Ortskerne der eingemeindeten Dörfer waren umringt von Feldern und Wiesen. Welche gravierenden Veränderungen zwischen 1945 und 1965 in Bettenhausen stattgefunden haben und wer damit zwangsläufig seinen Hof oder den Gartenbaubetrieb aufgeben musste, soll durch diesen Beitrag ohne Anspruch auf Vollständigkeit festgehalten werden.

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