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Der betrügerische Konkurs der AG für Trebertrocknung in Cassel und seine Folgen.
- Autor: Bernd Schaeffer
- Zeit: 1901
- Ort: Leipziger Straße > Leipziger Platz
- Vom: 20.11.2023
- Themen: Katastrophen, Industrie und Gewerbe
In dem Gewerbegebiet zwischen der Leipziger Straße 214 und der Ochshäuser Straße hat bis 1901 die Aktiengesellschaft für Trebertrocknung große Ratationstrockner produziert. Das Unternehmen der Firmengründer Adolf Schmidt in Kassel, Ernst Otto in Dortmund, August Sumpf in Greifswald, Hermann Sumpf in Kassel wurde weltweit bekannt, weil es durch den risikoreichen Handel mit Aktien und der Vergabe von Lizenzen hoch verschuldet in Konkurs ging. Am Tage der Konkurseröffnung, am 4. Juli 1901, hatte die AG für Trebertrocknung zwar 270 In- und Auslandspatente, 6 Gebrauchsmuster und 2 Warenzeichen sowie über 30 Tochterfirmen u.a. in Russland, Bosnien, Finnland, Schweden, Frankreich, Böhmen, Kroatien und Italien, doch auch insgesamt mehr als 90 Millionen Mark Schulden, vornehmlich bei der altehrwürdigen Leipziger Bank in der Klostergasse in Leipzig.Der anschließende Konkurs der am 05.09.1838 gegründeten Privatbank löste schließlich den berühmt-berüchtigten "Sächsischen Bankenkrach" aus. Wie es dazu kommen konnte, liest sich wie ein Kriminalroman.
Im Jahr 1889 gründete der ehemalige Kohlenhändler Adolf Schmidt zusammen mit dem Dortmunder Bierbrauer und Erfinder Ernst Otto sowie den Brüdern Hermann und Alfred Sumpf aus Greifswald die Aktiengesellschaft für Trebertrocknung. Der Sitz der Gesellschaft war im vierten Stock des noblen Hauses in der Hohenzollern Straße 46. Die Firmengelände lagen in der Schönfelder Straße 10 und in der Leipziger Straße 214 in Bettenhausen. Ein anderer Teil der Produktion erfolgte in Dortmund unter der Leitung von Ernst Otto.
Anfänglich stand die Produktion von Trebertrocknern im Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit, später war der Handel mit Patenten und Lizenzen und die Neugründung von Niederlassungen in ganz Europa der Hauptumsatzträger.
Der beim Bierbrauen anfallende Treber, ein gehaltvoller Rest aus der Maische, war schon lange als Viehfutter-Ergänzung ein geschätzter Rohstoff. Allerdings ist der nasse Treber ein leicht verderbliches Gut und muss schnell verwertet werden, bevor er verdirbt. Mit dem patentierten Verfahren von Ernst Otto gelang es im 19. Jahrhundert den Treber zu trocknen, einzulagern und zeitversetzt in den Handel zu bringen. Das Geschäftsfeld war vielversprechend und versprach einen guten Gewinn. Die Aktiengesellschaft startete mit einem Grundkapital von 350 000 Mark, worauf 60% eingezahlt werden mussten.
1895 erwarb die AG das sogenannte Bergmann-Patent. Nach diesem Verfahren arbeiteten in der Folgezeit insgesamt mehr als 30 Tochtergesellschaften in Deutschland und ganz Europa. Von dem neuen Verfahren wurde erwartet, dass auf dem Wege der Trockendestillation aus Holzabfällen Terpentin, Methylalkohol, Holzessig, Holzkohle und andere wertvolle Rohstoffe zu gewinnen seien. Allerdings meldeten sich auch Skeptiker zu Wort, die das Verfahren für noch nicht ausgereift hielten.
Der ehrgeizige Generaldirektor Adolf Schmidt gehörte nicht zu den Bedenkenträgern. Sein Ziel war offensichtlich, möglichst schnell einen internationalen Trust zu errichten, der die gesamte Holzverkohlung unter der Führung der Kasseler Aktiengesellschaft für Trebertrocknung vereinigte. Damit sollte erreicht werden, den Preis des Produktes in ganz Europa zu bestimmen. In 1895 wurde die Aktiengesellschaft für Trebertrocknung mit Hilfe der Bankfirma Steinsiek & Co. mit Sitz in Berlin an die Wertpapierbörse gebracht.
Adolf Schmidt als Vorstand des Unternehmens war alleinvertretungsberechtigt. Den Aufsichtsrat bildeten: Hermann Sumpf in Kassel 1. Vorsitzender, Richard Schlegel in Kassel 2. Vorsitzender, sowie August Sumpf in Greifswald und Ernst Otto in Dortmund, zu denen später noch Rittergutsbesitzer Johann Schulze-Dellwig aus Haus Solde bei Horde in Westfalen hinzutrat.
Das Grundkapital von 350.000 Mark wurde erstmals 1891 um 150.000 Mark, dann 1892 um 150.000 Mark und 1894 um weitere 350.000 Mark erhöht. Dies geschah immer mit der Vorgabe, dass das Unternehmen eine außerordentlich rasante Entwicklung nehme und das Geld in die Neugründung von Tochtergesellschaften fließe. Weitere Kapitalerhöhungen folgten in den Jahren 1895, 1896 und 1898.
Damit war klar erkennbar, dass die Aktiengesellschaft für Treber-Trocknung von diesem Zeitpunkt an ihr ursprüngliches Geschäftsfeld, die Herstellung von Anlagen und Maschinen, verlassen hatte und mit dem Verkauf von Lizenzen und der Gründung neuer Niederlassungen größere Gewinne erzielen wollte.
Das unheilvolle daran war, dass Adolf Schmidt, der die Firma völlig eigenständig leitete. die Gelder, die durch Kapitalerhöhung der AG zuflossen, nicht in das operative Geschäft steckte. Stattdessen zahlte er den Aktionären jährliche „Traumdividenden“ von bis zu 50% aus und reizte damit den weiteren Verkauf der Aktien an. Die Gewinnerwartungen trieb den Kurs der Trebertrockner Aktien an der Börse als Spekulationspapier in schwindelnde Höhen. Die Börsenanalysten warnte mehrfach vor den klar erkennbar undurchsichtigen Praktiken, was aber die Anleger, darunter auch viele Kasseler Bürger, nicht davon abhielt, ihr mühsam erspartes Geld in Treber-Aktien anzulegen. Weltweit wurden Anleger, die auf schnelle Weise reich werden wollten, auf diese Papiere aufmerksam und vergaßen dabei, sich über die Seriosität des Unternehmens zu informieren.
Hauptkreditgeber für die ungesicherten Investitionen der Gesellschaft war die am 05.09.1838 gegründeten Leipziger Bank mit Firmensitz in Leipzig. Vornehmliche Grundlage der Geschäftsverbindung zu dem privaten Kreditinstitut war die Schulfreundschaft des Bankdirektors August Heinrich Exner (*1859) und des Unternehmers Adolf Schmidt (*1854).
Bei dem von Adolf Schmidt betriebenen Schneeballsystem wurden in Wirklichkeit keine echten Gewinne erzielt. Die überhöhten Dividenden für die alten Aktienbesitzer wurden aus den Emissionsgewinnen, der mit viel zu hohem Kapital neu gegründeten Tochtergesellschaften, gezahlt. Viele Kasseler Unternehmer waren skeptisch und umgingen die Geschäftsbeziehungen zur Treber AG. Schärfere Angriffe und Unterstellungen kamen von der Frankfurter Zeitung und anderen Presseorganen.
Mit aufsehenerregenden Aktionen versuchte Adolf Schmidt die wachsende Zahl der Kritiker von der Liquidität seines Unternehmens zu überzeugen. So soll es vorgekommen sein, dass er zu wichtige Geschäftsterminen in Frankfurt mit einem Sonderzug aus Kassel anreiste. Experten, die die Effektivität seiner Anlagen bezweifelten, wurden zu Ortsterminen in eine Tochtergesellschaft nach Frankreich eingeladen und mit Taschenspielertricks über die wahren Resultate getäuscht. A. Schmidt preiste seine Gesellschaft mit Redegabe und krimineller Energie.
Als das fragile Imperium zu wackeln begann, startete Adolf Schmidt mit der außerordentlichen Generalversammlung der Aktionäre am 3. November 1899 in Kassel einen beispiellosen Coup zur Rettung der Aktiengesellschaft.
Anwesend waren 168 Aktionäre mit 6899 Aktien. Unter den Anwesenden befanden sich Vertreter der Leipziger Bank, der Baisse Commerciale in Brüssel, der Firma Joh. Berenberg, Dossier & Co. in Hamburg, von der Heydt & Co. in Berlin, Veit L. Homburger & Co. in Karlsruhe, der Bayerischen Bank in München, des Dortmunder Bankvereins und anderer Bankfirmen. Die meisten der neu gegründeten Tochtergesellschaften hatten ihre Vertreter entsandt. Der Aufsichtsratsvorsitzende Hermann Sumpf aus Kassel eröffnete die Versammlung mit dem Hinweis auf ein zehnjähriges erfolgreiches Wirken der Treber AG. Danach sprach für den Vorstand Direktor Adolf Schmidt. In seinem Bericht beschrieb er in markigen Worten die Tätigkeit der Gesellschaft mit besonderem Augenmerk auf die Holzdestillation nach dem Bergmannschen System. In einem veröffentlichten Protokoll der Generalversammlung von 1899 ist u.a. nachzulesen was A. Schmidt zur der Geschäftsentwicklung der zurückliegenden Jahre zu berichten hatte:
„… um den Markt für Destillationsprodukten auf eine gesunde Grundlage zu stellen, bildete die Aktiengesellschaft für Treber-Trocknung in rascher Folge eine Reihe von Destillations-Gesellschaften mit Werken in waldreichen Gebieten und liess anfangs nur nach dem Bergmann’schen Verfahren arbeiten. Nach und nach erkannten die Treber-Trocknung und ihre Tochtergesellschaften, dass das Bergmann’sehe Verfahren mit unbedingten grossen Vortheilen nur Hartholzabfälle verarbeitet, während die Rentabilität bei Verarbeitung von Weichholzabfällen und insbesondere von künstlich zerkleinertem Buchenholz nur bescheiden und von einem lohnenden Absatz der beim Bergmann-Verfahren gewonnenen Kleinkohle abhängig ist. Man erkannte also, dass in der Holzdestillation die ausschliessliche Anwendung eines Verfahrens ausgeschlossen ist und dass immer der commercielle Effekt, der erzielt werden soll, sowie das Vorhandensein genügend reicher, billiger Rohmaterialien in ihrer Combination für das anzuwendende Verfahren bestimmend sein müssen.
Das Bestreben der Treber-Trocknung war deshalb seit Jahren darauf gerichtet, neben dem Bergmann’schen Verfahren, das nur einen vorbereitenden Prozess für die Holzdestillation darstellt, einen technisch vollkommenen ökonomischen Holzdestillationsprozess zu erreichen und ausserdem durch immer neue Verwendungsarten für die Kohle deren Absatzfähigkeit zu steigern. Das erste Ziel, einen guten, auf der Höhe der modernen Technik stehenden Destillationsprocess, glaubt die Treber-Trocknung bereits zu besitzen, und sie hat ihn allen Tochtergesellschaften zur Verfügung gestellt; eine Steigerung der Staubkohlenverwendung sucht sie in der Carbidfabrikation und der Darstellung von feuerfesten Steinen mit immer steigenden Erfolgen. Die vielseitige Thätigkeit der Treber-Trocknung auf dem Gebiete der Holzdestillation hat naturgemäss einen Gegensatz zu den älteren Holzdestillationen gezeitigt, der in jüngster Zeit sich so verschärfte, dass die sieben bedeutendsten Holzdestillationsfirmen älteren Systems erst in Zeitungsartikeln und in letzter Zeit durch eine eigene Flugschrift die Treber-Trocknung öffentlich auf das heftigste angriffen und ihre ganze Geschäftsgebaren als auf Irreführung und Schädigung des Publikums berechnet hinstellten. Die Concurrenzfirmen behaupteten, die Trebergesellschaff habe sich wissentlich falscher Vorspiegelungen schuldig gemacht, indem sie das Bergmann’sehe Verfahren, auch nachdem sie von dessen Unwerth überzeugt war und es deshalb verliess, zum Zwecke immer weiterer Verwerthung anpries.“
Um die Anschuldigungen der Konkurrenz und der Presse möglichst sachlich entkräften zu können, hatte A. Schmidt eine Delegation der Kasseler Handelskammer zu einer Werksbesichtigung nach Bois-Nantes in Frankreich eingeladen. Der Bericht, den Direktor Liebaut über den Besuch der Handelskammer-Mitglieder in der der Société Anonyme de l’Industrie Chemique du Bois-Nantes abgab, liest sich wie folgt:
„Herr Liebaut erklärt öffentlich die über die Anlage in Nantes von den Gegnern verbreiteten Behauptungen als unwahr. Zum Beweise dafür, dass der Bericht der von der Casseler Handelskammer nach Nantes entsendeten Vertrauensmänner den thatsächlichen Verhältnissen entspreche, stellt Herr Liebaut der Generalversammlung Muster seiner Erzeugnisse, seine Korrespondenzen, Bestellungen und Fabrikbücher zur Verfügung, aus denen sich jeder der anwesenden Aktionäre überzeugen kann, dass die Fabrik nach dem Bergmann’schen Verfahren nicht nur ausgezeichnete Kohle erzeuge, dieselbe nicht nur zu guten Preisen verkaufe, sondern auch kaum den Bestellungen nachkommen könne. Herr Liebaut konstatiert; dass die Verbindung seines Hauses mit der Treber-Trocknung demselben zum grössten Vortheile gereiche und spricht der Treber-Trocknung sowohl für die überlassenen Verfahren, wie insbesondere für die technisch ganz vorzügliche Einrichtung seines Werkes den wärmsten Dank aus.“
Es folgten noch weitere arrangierte Beiträge der anwesenden Gesellschafter auf der Generalversammlung, alle mit nur einem Ziel, die Bonität der AG zu belegen.
Die Protokoll schloss mit einer kräftigen Absage an die Zweifler und die Anschuldigungen der Konkurrenz:
„Wenn unsere Gegner jede ihrer Publikationen mit der Herausforderung abschließen: „wir sind bereit, den Beweis der Wahrheit vor Gericht anzutreten", so wird jeder, der unseren Bericht an die Generalversammlung und vorstehende Entgegnung unbefangen gelesen hat, uns Recht geben, wenn wir nicht Zeit und Lust daran wenden wollen, vor Gericht endlose sachliche Beweise zu führen, welche, trotzdem sie sicherlich zu unseren Gunsten ausfallen müssen, einen grundsätzlichen Gegner nicht überzeugen werden.
Schlimm genug, daß wir gezwungen wurden, uns gegen solche im Geschäftsleben unerhörten Angriffe vor der Öffentlichkeit zu wehren, daß uns für so unnütze Reibungen ein namhafter Arbeitsaufwand aufgezwungen wurde, der unserer fruchtbringenden beruflichen Thätigkeit entzogen wird.
Damit soll es aber endgültig abgethan sein: wir haben den Forderungen unserer Ehre Rechnung getragen und müssen fortan wieder, unbeirrt durch solche Concurrenz-Mittelchen, den Interessen unserer Gesellschaft dienen.
Mögen nun die Gegner ruhig weiter kritisieren; wir werden weiter — arbeiten.“
Es ist nicht überliefert, ob die abgehaltene Aktionärsversammlung und die umfangreichen Darlegungen die anwesenden Kritiker überzeigen konnte. Doch die finanzielle Situation der AG und der mit ihr unauflöslich verbundenen Leipziger Bank verschlechterte sich rasant.
Durch die unlauteren Geschäftspraktiken der Treber AG stiegen ihre Schulden in Millionenhöhe. Im Frühjahr 1901 war es allein die Leipziger Bank, die mit einem Eigenkapital von 48 Millionen Mark, sich mit einer Kreditsumme von 87 Millionen an der Aktiengesellschaft unter der Führung von Adolf Schmidt Mark beteiligt hatte.
Der 25.06.1901 ging als „Schwarzer Dienstag“ in die sächsische Bankgeschichte ein. Die Leipziger Bank war zahlungsunfähig und am 26.06.1901 wurde der Konkurs wegen Überschuldung eröffnet. Es war der Anfang für den legendären „Sächsischen Bankenkrach“, denn außer der Leipziger Bank kamen noch andere Banken in Liquiditätsschwierigkeiten und damit auch ihre Kunden.
Hiermit war auch das Schicksal der Kasseler Aktiengesellschaft für Trebertrocknung besiegelt, denn sie hing am finanziellen Tropf der Leipziger Bank. Am 4. Juli 1901 wurde auf Antrag der kreditgebenden Bank über die Treber AG in Kassel der Konkurs eröffnet. Direktor Adolf Schmidt verließ noch in der Nacht vor der Konkurseröffnung Kassel mit unbekanntem Ziel. Die vier Aufsichtsratsmitglieder wurden verhaftet und in Kassel vor Gericht gestellt. Sie hinterließen einen bescheidenen Eindruck, gaben sich ahnungslos und wurden am 14.Februar 1902 lediglich wegen Verschleierung zu Gefängnis zwischen drei und sieben Monaten sowie zu Geldstrafen zwischen fünf- und zehntausend Mark verurteilt. Die zivilrechtlichen Folgen waren für alle Beteiligten verheerend.
Bankdirektor August Heinrich Exner kam in Leipzig vor Gericht und wurde am 24. Juli 1902 zu fünf Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust verurteilt, sein Stellvertreter Dr. Gentzsch kann mit drei Jahren Gefängnis davon. Die mitangeklagten Aufsichtsratsmitglieder erhielten Geldstrafen zwischen fünf- und achtzehntausend Mark. Der Bankrott traf Aktionäre und breite Bevölkerungsschichten in Sachsen. Zeitungen berichteten, dass sich noch im selben Jahr das Aufsichtsratsmitglied der Leipziger Bank, der Kaufmann Carl Felix Schaeffer, Vater von vier Kindern und Inhaber der Fa. Berger und Voigt, wegen Verlust der Honorigkeit erschossen hat. Ebenso starb durch Freitod wegen bevorstehender Zahlungsunfähigkeit und den Verlust seines gesamten Vermögens der Wollhändler Arthur Schwedler in Zwickau.
Den geflohenen Hauptschuldigen Schmidt vermutete die Polizei zuerst in London oder bei Freunden in Belgien. Doch dann kam ein entscheidender Hinweis, dass der flüchtige Schmidt sich in Paris aufhalten solle, weil er dorthin schon mehrmals Reisen unternommen hatte. Der Kasseler Kriminalkommissar Reichard, der A. Schmidt persönlich kannte, reiste nach Paris zur Unterstützung der Fahnder. Reichard ermittelte zuerst den Aufenthalt einer mit Schmidt befreundeten Dame im noblen Hotel „D‘Orient“. Am 24. Januar 1902 erkannte der Kommissar den Flüchtigen auf der Terrasse eines Cafés; obwohl er sich zwischenzeitlich seinen Schnurrbart abgenommen hatte. Als er Schmidt in das Hotel „D‘Orient“ folgen konnte, ließ er sich vom Hotelier die Gästeliste vorlegen. Der Verdacht fiel auf einen „Herren Werner“, der zwei Tage zuvor aus Dieppe in Frankreich angereist war. Daraufhin ging der Kommissar in das Zimmer des Gastes und fand dort den gesuchten A. Schmidt. Treber-Schmidt, so wurde er in der Presse genannt, wurde am 24. Januar 1902 verhaftet und in ein Pariser Gefängnis eingeliefert. Da dem Verhafteten kein Kapitalverbrechen zur Last gelegt werden konnte, gestaltete sich die Auslieferung nach Deutschland recht langwierig. Schließlich kam er in Kassel vor Gericht und wurde am 7. Juli 1903 wegen betrügerischen Bankrotts und Betrugs zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Viele im Gerichtssaal Anwesende hielten das Urteil für zu milde, schließlich hatten weltweit viele Anleger ihr gesamtes Vermögen verloren und waren in eine persönliche Notlage geraten. Auf der anderen Seite mussten die Aktienkäufer sich von der anwesenden Presse vorwerfen lassen: „….dass der Geist des Mammonismus, des rastlosen und skrupellosen Jagens nach Erwerb und Genuss, immer weitere Kreise unseres Volkes sich unterwirft!“
Nach seiner Entlassung aus dem alten Zuchthaus an der Fulda soll sich der verurteilte Betrüger Adolf Schmidt nach Mexiko abgesetzt haben.
Der Konkursverwalter der Aktiengesellschaft hatte in 1902 seine Adresse in der Spohrstraße 2. Bei einer Gesamtverschuldung von insgesamt 177 Millionen Mark wurden die Gläubiger nach Verwertung aller Besitztümer am Ende mit einer Verteilungsquote von 3,91% abgefunden.
Der bei dem Konkurs der Treber-Trocknungs AG arbeitslos gewordene Ingenieur Wilhelm Ponndorf gründete einen neuen Betrieb in der Ochshäuser Straße 31 und setzte die Produktion der großvolumigen Trommeltrockner fort. Nach dem 1. Weltkrieg verlagerte er seinen Firmensitz in den Ortsteil Papierfabrik in Kaufungen, wo die Firma noch heute existiert.
Auf dem Gelände an der Leipziger Straße 214 hat in den Folgejahren die Fa. Heinrich Rieche Hebewerkzeuge und Kräne gebaut.
Text und Editor: B. Schaeffer, November 2023
Quellen:
- Jacob, Bruno, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Stadt Kassel, Bd. II, Hrsg. Uni Kassel, Fachbereich 13, 1988
- Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Jahrgang 1903, S. 69
- Hermsdorf, Wolfgang, „Aus den Coupons nun drehen wir Fidibusse.“ HNA vom 13.03.1963
- Hoche, Hans (1872-1957), Ein Vierteljahrhundert Kasseler Erinnerungen – Erlebtes, Erstrebtes und Gedachtes, Transkribiert und herausgegeben von Helmut Bernert, Kassel, auf Grundlage des Digitalisats einer Reproduktion des Originaltyposkripts, Kassel, Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt, 2023
- Glasemann, Hans Georg, www.nonvaleurs.de/Die Treber-Aktien: Anus ad locus demonstrandum.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Leipziger_Bank, aufgerufen im November 2023
- https://de.wikipedia.org/wiki/Treber, aufgerufen im November 2023
- https://www.agrokarbo.info/holzdestillation_geschichte_klar/, aufgerufen im November 2023
- Aktiengesellschaft für Treber-Trocknung, 1899, aus dem Nachlass von August Waldner, https://www.e-rara.ch/zut/doi/10.3931/e-rara-89786, aufgerufen im November 2023
- Mothes, Rudolf (*05.09.1875, *08.03.1968), Lebenserinnerungen, Deskription von Klaus Schmiedel, Königstein, 2005
- Wochenbericht der Leipziger Monatsschrift für die Textil-Industrie, Ausgabe vom 10.07.1901
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Kurzbeschreibung
In dem Gewerbegebiet zwischen der Leipziger Straße 214 und der Ochshäuser Straße hat bis 1901 die Aktiengesellschaft für Trebertrocknung große Ratationstrockner produziert. Das Unternehmen der Firmengründer Adolf Schmidt in Kassel, Ernst Otto in Dortmund, August Sumpf in Greifswald, Hermann Sumpf in Kassel wurde weltweit bekannt, weil es durch den risikoreichen Handel mit Aktien und der Vergabe von Lizenzen hoch verschuldet in Konkurs ging. Am Tage der Konkurseröffnung, am 4. Juli 1901, hatte die AG für Trebertrocknung zwar 270 In- und Auslandspatente, 6 Gebrauchsmuster und 2 Warenzeichen sowie über 30 Tochterfirmen u.a. in Russland, Bosnien, Finnland, Schweden, Frankreich, Böhmen, Kroatien und Italien, doch auch insgesamt mehr als 90 Millionen Mark Schulden, vornehmlich bei der altehrwürdigen Leipziger Bank in der Klostergasse in Leipzig.Der anschließende Konkurs der am 05.09.1838 gegründeten Privatbank löste schließlich den berühmt-berüchtigten "Sächsischen Bankenkrach" aus. Wie es dazu kommen konnte, liest sich wie ein Kriminalroman.
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