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Die Nutzung des Forstes für Veranstaltungen und die Fliegerei

Taufe des Ballon Cassel auf dem Forst viele hundert Menschen stehen staunend darum

Taufe des Ballon Cassel auf dem Forst 1912
Foto: HNA Archiv , W. Hermsdorff

Die Meldung, dass die Stadtverordneten der Stadt Kassel dem Verkauf eines großen Teils des Forstes für die Errichtung einer staatlichen Munitionsfabrik zustimmte, erschien 1915 in allen Zeitungen. Noch im November 1911 hatte der Bürgerverein von Bettenhausen den Magistrat dazu aufgefordert den Forst zu erhalten. Er war nach seiner Auffassung der einzige geeignete Platz, den die Stadt zur Durchführung von Ausstellungen, Rennen, Messen, Flugveranstaltungen und sonstige Sportveranstaltungen bes.

Mit der Fertigstellung der Eisenbahnlinie Cassel – Waldkappel (Dezember 1879) und der Errichtung des Bahnhofs Bettenhausen (März 1880) war der Startschuss für eine industrielle Nutzung des Forstgeländes gegeben. Erst 1906 wurde der Forst uneingeschränktes Eigentum der Stadt Kassel. Doch ab 1914 herrschte Krieg und die Erfordernisse waren andere. Ein Jahr nach dem Beschluss von 1915 stand eine Munitionsfabrik auf dem Forstgelände.

Davor fanden zahlreiche publikumswirksame Veranstaltungen auf dem einstigen Hutewaldareal und späteren Truppenübungsplatz statt. So z. B.:

  • 1909 beginnt mit dem Freiballonfliegen der Luftsport auf dem Forst.

  • 1910 führte Hans Grade die ersten Luftsprünge mit einem selbst konstruierten Flugzeug vor.

  • 1911 fand hier die Große DLG Schau der Landwirtschaft statt

  • Hier landete Karl Casper nach einem sensationellen Flug von Berlin aus.

  • Hier landete zum ersten Mal 1912 ein Zeppelin Luftschiff.

  • 15. August 1912 Gründung einer Fliegerschule auf dem Flugfeld in Waldau

  • 1912 wurde der Fesselballon „Cassel“ auf diesem Flugfeld getauft.

  • Der Forst war öfter für wichtige Etappen Stationen von Zuverlässigkeits-Rundflügen ausgewiesen, wie beim Prinz-Heinrich-Flug 1913

  • Hier kündigte Elvira Wilson mit Trio 1914 ihre spektakuläre Ballonartistik an.

Eindecker von Hans Grade bei einer Flugshow 1910
Hans Grade bei einer Flugshow 1910  Foto: Geschichtskreis Waldau

Alle diese Ereignisse zeigen die vielfältige Nutzung dieses gewaltigen Areals zwischen Unterneustadt und Lindenberg, Leipziger Straße in Bettenhausen und Waldau, dass ursprünglich bewaldet gewesen war, auf. Die unterschiedlichen Veranstaltungen wirkten wie ein Magnet der die Bewohner in und um Kassel immer wieder in großen Scharen anzog. Zur 25. Auflage der jährlichen Wanderausstellung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft 1911 kamen z. B. 200.000 Besucher.

Gründung einer Fliegerschule zur Entwicklung der Fliegerei

Die Entwicklung der Fliegerei im zivilen und militärischen Bereich fand auch in Kassel auf dem Flugfeld im Forst seinen Wiederhall.

In 1912 trafen sich Flieger in Cassel zum Zwecke der Gründung einer Fliegerschule als G. m. b. H. . Das Stammkapital betrug 50000 Mark. Als Flugleiter sollten Carl Abelmann aus Hofgeismar und Karl Schmigulski aus Hamburg wirken. Der Flieger Karl Schmigulski, welcher in Gemeinschaft mit Abelmann am 12. Mai in Cassel auf Grade-Eindeckern Schauflüge veranstaltete, stürzte allerdings nachmittags 4 Uhr tödlich ab.

So eröffnete der Grade-Flieger Abelmann am 15. August 1912 in Cassel mit zwei Grade - Eindeckern eine Fliegerschule. Die Grade Eindecker stammte aus der Entwicklung des erfolgreichen deutschen Flugtechniker Hans Grade aus Magdeburg, dem es am 28. Oktober 1908 zum ersten Mal gelungen war mit einer selbstkonstruierte Flugmaschine abzuheben. Doch sicher war dieser Grade-Eindecker nicht, er galt 1912 bereits als technisch überholt. Dafür war es das preisgünstigste Motorflugzeug jener Zeit. Unter den zum ersten Kurs gemeldeten Flugschülern befand sich auch eine Casseler Dame. Auf dem Flugplatz der Casseler Fliegerschule Carl Abelman, Waldau- Cassel, begann jetzt reges Arbeiten der Flugschüler. Es wird berichtet:

Hans Grade sitz in seinem neuen Eindecker 1909
Hans Grade in seinem neuen Eindecker 1909  Foto: Bundesarchiv / CC-BY-SA 3.0

Der Flieger Abelmann selbst vollführte mehrere gut gelungene Flüge, darunter einen Überlandflug Bergshausen – Crumbach – Ochshausen – Bettenhausen - Aue-Cassel, der mit einem Gleitflug aus 800 m Höhe bis dicht vor die Flughalle endete. Bereits am 16. April 1912 hatte er mit seinem 16/24 PS Flugzeug durch einen Dauerflug von 2 Stunden 2 Min. die Zweistundenprämie aus der Nationalflugspende errungen.

Der Grade-Flieger Otto Toepffer, der seine Maschine bei der Casseler Fliegerschule untergestellt hatte, unternahm in dieser Zeit mit seinem ständigen Fluggast Heinz Heinroth einen Stundenflug rund um Cassel. Der Flug war als Demonstrationsflug gedacht, weil in Cassel vielfach die Ansicht vertreten war, dass man mit einer Grade-Maschine keinen längeren Flug ausführen könne. Die beiden Flieger überflogen die Ortschaften Bergshausen, Söhre, Crumbach, Ochshausen, Bettenhausen, das Tannenwäldchen, den Aschrottschen Park, Wahlershausen, an dem historischen Herkules vorbei, zur Dönche und kehrten von hier aus zum Waldauer Exerzierplatz, dem Flugplatz der Casseler Fliegerschule von C. Abelmann, zurück. Der Flieger vollführte aus 1400 Meter Höhe einen steilen Gleitflug und landete nach 1,02 Stunden glatt vor der Halle.

Prinz-Heinrich-Flüge mit Etappen in Cassel

Von den überwiegend militärisch ausgerichteten Zuverlässigkeits-Rundflügen gab es in der Kaiserzeit einige.

Der Prinz Heinrich Flug 1912 war mit Schwerpunkt ein Süddeutscher Rundflug.

Beim Prinz Heinrich Flug 1913 stellte auch das Flugfeld auf dem Forst in Cassel ein Etappenziel dar.
In der Zeit vom 10. bis 17. Mai 1913 fand der 3. deutsche Zuverlässigkeitsflug am Oberrhein statt, der mit Genehmigung Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Heinrich von Preußen den Namen „Prinz Heinrich-Flug 1913" führt. Prinz Heinrich von Preußen leitete selbst den Flug. Der Prinz Heinrich-Flug (Oberrheinflug 1913) startete in Wiesbaden. Von dort ging es über Gießen- -Cassel - Coblonz nach Karlsruhe. Der Flug wurde von Offiziers und Civilfliegern gemeinsam bestritten. Der Prinz-Heinrich-Flug war eines der wichtigsten Ereignisse des Jahres 1913. Im Mai startete z.B. Josef Suwelack als einer der drei zivilen Piloten neben 35 weiteren militärischen Teilnehmern. Josef Suwelack fand seine eigentliche Berufung in der Fliegerei. Im Jahr 1909 motivierten Ihn die Geschichten aus der Presse, die von den Gebrüdern Wright oder Santos Dumont handelten, eigene Flugapparate zu bauen. Trotz einer Notlandung erhielt er einen Ehrenpreis für die Teilnahme am Prinz-Heinrich-Flug 1913. Verschiedene Städte hatten Ehrenpreise und Geldunterstützungen bewilligt, z. B. Wiesbaden 20000 Mk , Cassel 10000 Mk. und Coblenz 7500 Mk (Mark als Währung des Deutschen Reiches 1871 eingeführt).

 Darstellung der Flugrouten des Prinz Heinrichfluges 1913
Prinz Heinrich Flug 1913  Foto: Archiv Flugsportzeitschrift, Pennula

Am Pfingstsonntag, den 11. Mai.1913 startete der Zuverlässigkeitsflug Wiesbaden/Cassel mit einer Zwischenlandung in Gießen. (Entfernung Wiesbaden Gießen ca. 65 km, Gießen-Cassel ca. 100 km) statt. Die Dauer des Aufenthalts in Gießen wurde beim Start in Wiesbaden durch die Oberleitung festgesetzt. Einen Tag später, Pfingstmontag, den 12. Mai, fand der Zuverlässigkeitsflug von Cassel nach Coblenz ca. 170 km statt.

Zwischen Karlsruhe und Straßburg fanden an den letzten beiden Tagen dieses Rundfluges militärische Aufklärungsübungen statt. Die militärische Erprobung der Flugzeuge war in Hinblick auf einen möglichen Feind im Westen ein wichtiger Aspekt der Flüge. Auch Cassel wurde eine taktische und eine strategische Aufklärungsübung in Aussicht gestellt.

Die Beteiligung an den einzelnen Etappen war:

I. Etappe: Wiesbaden–Cassel. Wiesbaden gestartet: 19, Gießen Zwischenlandung: 17, Cassel gelandet: 13.

II. Etappe: Cassel–Coblenz. Cassel gestartet: 12, Koblenz gelandet: 12.

III. Etappe: Coblenz–Karlsruhe. Coblenz gestartet: 12, Karlsruhe gelandet: 9 (dazu 5 Straßburger Offiziere).

I. Aufklärungsübung: Karlsruhe–Pforzheim–Straßburg. Karlsruhe gestartet: 22, Pforzheim gelandet: 19, Straßburg gelandet: 17.

Die aufgeführten Zahlen der Teilnehmer zeigen wie schwierig und risikoreich diese Zuverlässigkeitsflüge waren So kam es öfters zu technischen Ausfällen und Abstürzen auch mit Todesfolgen für die mutigen Piloten.

Quelle: Bundesarchiv / CC-BY-SA 3.0
Flugrouten Prinz Heinrich Flug 1914  Foto: Archiv Zeitschrift Flugsport, Pennula

Bei dem Prinz Heinrich Flug 1914 war die Hauptetappe Darmstadt mit seinem Flugplatz auf einem ehemaligen Truppenübungs- und Artillerieschießplatz in der Gemarkung Griesheim.

Bei diesem Flug im Mai 1914 lag auch Cassel als Kontrollstation auf der Wettbewerbsstrecke: Darmstadt –Mannheim – Pforzheim – Straßburg – Speyer – Worms –Wiesbaden – Coblenz – Frankfurt/Main – Marburg – Cassel – Braunschweig – Hamburg – Hannover – Minden –Herford – Münster – Osnabrück – Bremen – Köln.
D
ie Teilnehmer des Prinz‐Heinrich‐Fluges landeten, von Frankfurt am Main kommend, auf dem Forst und flogen am Tag darauf nach Hamburg weiter.
Den Kaiserpreis erhielt Leutnant Freiherr Rudolf von Thüna (* 09.04.1887 Erfurt + 09.06.1936 Freiburg i. Breisgau) auf LVG-Doppeldecker mit 100-PS-6-Zylinder-Mercedes-Flugmotor, der bei den Werken Luft-Verkehrs-Gesellschaft für den Bedarf der Luftwaffe produziert wurde. Unter den teilnehmenden Offizieren gab es allerdings auch vier Todesopfer.

Beobachtungsflugzeug der Luftwaffe LVG auf Flugfeld, darum stehen Piloten
Beobachtungsflugzeug der Luftwaffe und dann noch sehr lange Schulflugzeug ca. 1915  Foto: Blätter zur Geschichte der Deutschen Luft- und Raumfahrt

Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieg und dem Bau der Muni 1915 war die zivile Nutzung des Forstes vorbei. Erst in den 1920 Jahren begann der rasante Aufstieg zum Flughafen Kassel, dies aber auf einem anderen Gelände südlich des Dorfes Waldau. Zwei Meldungen in der Presse beschreiben diese Entwicklung.

  1. 1922: „Dem Mitteldeutschen Flugverband, Cassel, ist es nunmehr gelungen, von dem ehemaligen Waldauer Exerzierplatz bei Cassel 5 Hektar Gelände vom Reichs-Militärfiskus für einen Flugplatz käuflich zu erwerben.“

  2. 1923: „Die Flugzeugwerke Dietrich, Mannheim haben ihren Betrieb durch Anlehnung an die Firma A. Gobiet nach Cassel verlegt. Die Fabrikationsanlagen in der alten Muni, die nach Kriegsende in die Deutesche Werke AG überging, werden erheblich erweitert und ca. 80 Arbeiter beschäftigen. Weiter soll in Gemeinschaft mit der Firma Gobiet der Flugmotorenbau aufgenommen werden. Als Flugfeld dient der Casseler Exerzierplatz, der als Flughafen ausgebaut wird.“

Editor: Erhard Schaeffer, Oktober 2024

Quellen:

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Kurzbeschreibung

Hintergrund:

Der Hohenzollernprinz Heinrich von Preußen (1862–1929) war der jüngere Bruder Kaiser Wilhelms II. Fast 40 Jahre lang residierte er im Kieler Schloss und erlebte Aufstieg und Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches aus nächster Nähe mit. Der jüngere Bruder des letzten deutschen Kaisers war Seeoffizier in der noch jungen preußisch-deutschen Kriegsmarine. Prinz Heinrich von Preußen war aber auch begeisterter Rennfahrer und für alle technischen Neuerungen seiner Zeit so auch für die aufkommenden Sportfliegerei aufgeschlossen.

Bei dem 1909 ausgetragenen Tourenwagenrennen war er dessen Namensgeber. Der Gewinner Prinz Heinrich Fahrt  1909  hieß Wilhelm Opel – in einem Opel. Viele Zuverlässigkeitsflüge in den 1910er Jahren, die überwiegend militärischen Charakter hatten, trugen den Namen Prinz Heinrich Flug.

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