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Die "Reichskriegerhalle" in der Forstfeldstraße
- Autor: Falk Urlen
- Zeit: 1939
- Ort: Forstfeld
- Vom: 05.07.2016
- Themen: Zweiter Weltkrieg, Menschen erzählen
1939 fand in Kassel der sog. Reichskriegertag statt. Organisator war der Kyffhäuser-Bund, eine Vereinigung von Veteranen. Da Hitler angekündigt war, kamen statt der erwarteten 200 000 jetzt 300 000 Besucher. Ein Teil davon wurde im sog. Bettenhaus, das danach im Volksmund "Reichskriegerhalle" hieß, in der Forstfeldstraße in Bettenhausen untergebracht. Hier lagerten sonst 30 000 Betten und 60 000 Matratzen. Kassel nannte sich auch "Die Stadt der Reichskriegertage". Diese Bezeichnung soll u. a. auch ein Grund für die massive Bombardierung der Innenstadt im Jahr 1943 gewesen sein, wo über 10 000 Menschen den Tod fanden. Den folgende Artikel hatte der Autor vor vielen Jahren gefunden, ohne dass ein Verfasser angegeben war.
"Die Euphorie kennt in den ersten Juni-Tagen keine Grenzen. Kassel ist nicht nur im Blickpunkt Deutschlands. Ganz Europa schaut, wenn auch größtenteils sorgenvoll, auf die Fuldastadt, in der fast 300 000 deutsche Soldaten aus dem (Ersten) Weltkrieg und der Wehrmacht aufmarschieren. Die Zeitungen scheinen nur ein Thema zu kennen: Den 1. Großdeutschen Reichskriegertag vom 2. bis 4. Juni. Pompöser und lautstärker als vorangegangene Kriegertage. Großdeutsch, weil Österreich, das Sudetenland und das Memelgebiet an das Reich „angeschlossen“ sind.
Kassel hat sich besonders für einen Tag herausgeputzt. Es ist der Sonntag, der Abschlußtag, an dem sich Adolf Hitler angekündigt hat und die Militärparade abnehmen will. Zuletzt war er 1933 in Kassel. Lange ist unklar, an welchem Ort der Reichskanzler die Stadt betreten wird. Viele spekulieren, daß er im Bahnhof Wilhelmshöhe ankommt.
Wie ein Lauffeuer verbreitet sich in den Morgenstunden des Sonntags die Nachricht, daß Hitler auf dem Flugplatz in Waldau eintreffen wird. Gegen 9.40 Uhr landet die Maschine des SS-Reichsführers Heinrich Himmler, wenig später ist von weitem das Motorenbrummen weiterer Flugzeuge zu hören. Sie setzen auf dem Flugfeld auf, und wenig später steigt Hitler aus. Ehrenkompanien sind angetreten, und es erklingt der Badenweiler-Marsch. Hitler begrüßt den Chef des Reichskriegerbundes, General Wilhelm Reinhard, und den Gauleiter Karl Weinrich. Führende Militärs und hochrangige Nationalsozialisten, unter ihnen Generaloberst Wilhelm Keitel und Reichsleiter Martin Bormann, begleiten Hitler.
Die „Kasseler Neueste Nachrichten“ berichtet von einer Triumphfahrt. Hitler steht und grüßt in seinem offenen Wagen. Er rollt über die Leipziger Straße, die Fuldabrücke, die Altstadt hinaus bis zur Königsstraße. Tausende Kasseler jubeln ihm frenetisch zu. Das Stadtzentrum ist ein einziges Fahnenmeer. Überall sind Lautsprecher aufgestellt. Menschen, insgesamt wohnen rund 200 000 Bürger dem Kriegertag bei, säumen jubelnd die Straßen. Es ist ihnen jedoch untersagt, Blumensträuße mitzubringen oder sie gar in das Auto Hitlers zu werfen. Es besteht Gefahr für die Volksgenossen, lautet die Begründung. Hitler fährt auf den Friedrichsplatz, auf dem große Tribünen errichtet sind, und erreicht schließlich die Karlswiese in der Aue. Das riesige soldatische Spektakel, eine gewaltige Parade und einzige Machtdemonstration des Hitler-Regimes, beginnt.
Auch ausländische Gäste wie der japanische Botschafter und Militärattaches aus Ungarn und Finnland hören die markigen Worte Hitlers nach der Begrüßung des Reichskriegerführers. „Meine Kameraden“, beginnt er, „es ist zum ersten Male, daß ich an einem Reichskriegertag teilnehme, das erste Mal, daß ich zu Euch ehemaligen Soldaten der alten und auch der neuen Wehrmacht spreche.“ Der Demagoge greift während seiner Rede besonders England an und verurteilt „den Raub der deutschen Kolonien“. „Heil Hitler“, skandiert die Menge immer wieder. Viele haben die als Schmach empfundene Niederlage des Krieges vergessen und fühlen endgültig eine neue nationale Stärke. Sie wird ihnen regelrecht eingetrichtert. General Reinhard ruft an diesem Sonntag der Menge zu: „Stolz ist das Volk auf die wiedererlangte Wehrhoheit und auf die junge Wehnnacht, die dem deutschen Volke Achtung in der Welt verschafft.“
Der Organisationsgrad ist wie immer sehr hoch, wenn die Nazis Selbstinszenierungen planen. Pannen sind verhaßt. Die Reichskriegertag GmbH und der Kasseler Verkehrsverein organisieren das eindrucksvolle Schauspiel. Mit 119 Sonderzügen sind Soldaten nach Kassel gebracht worden. Mit „nur“ 200 000 hatte man eigentlich gerechnet, tatsächlich aber kamen mehr. Sie übernachten in einem Lagerhaus in Bettenhausen, in einem Zelt auf dem Friedrichsplatz und bei Kasseler Familien. Allein ihre Versorgung ist keine einfache logistische Aufgabe. Die Leistersche Wiese an der Leipziger Straße ist zur Großküche umfunktioniert. Der „Hilfszug Bayern“, ein Verpflegungszug, hat das Sagen.
20 Tausend-Liter-Kessel sind aufgestellt, um Kaffee, Tee mit Rum und Marschtee zuzubereiten. 360 000 Portionen mit Essen werden gekocht. Es gibt Erbsensuppe mit Speck, Gulasch mit Pilzen und Ochsenfleisch mit Nudeln. Krieger sind hungrig.
Wie er gekommen ist, so verläßt Hitler gegen 19 Uhr wieder die Stadt. Mit dem Flugzeug. Er schreitet die Fronten der Ehrenformationen noch einmal ab und steigt in den Flieger. Hitler sollte nie zurückkehren.
Die Halle steht immer noch in Forstfeld. Von der Forstfeldstraße ist sie kaum zu sehen, da sie in zweiter Reihe steht. Das Bild ist vom Wanderweg, der auf der ehemaligen Söhrebahntrasse/Ecke "Schwarzer Weg", der zur Haltestelle führt, aufgenommen. Sie wird noch benutzt, das Dach ist vor einiger Zeit repariert worden.
Unbekannter Verfasser
Editor: Falk Urlen, Juni 2016
Quelle: Hermsdorf - Ein Blick zurück - 106
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Kurzbeschreibung
1939 fand in Kassel der sog. Reichskriegertag statt. Organisator war der Kyffhäuser-Bund, eine Vereinigung von Veteranen. Da Hitler angekündigt war, kamen statt der erwarteten 200 000 jetzt 300 000 Besucher. Ein Teil davon wurde im sog. Bettenhaus, das danach im Volksmund "Reichskriegerhalle" hieß, in der Forstfeldstraße in Bettenhausen untergebracht. Hier lagerten sonst 30 000 Betten und 60 000 Matratzen. Kassel nannte sich auch "Die Stadt der Reichskriegertage". Diese Bezeichnung soll u. a. auch ein Grund für die massive Bombardierung der Innenstadt im Jahr 1943 gewesen sein, wo über 10 000 Menschen den Tod fanden. Den folgende Artikel hatte der Autor vor vielen Jahren gefunden, ohne dass ein Verfasser angegeben war.
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