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Die Wohnungen im ehemaligen „Lettenlager“ - Forstbachweg 16 – waren ein Paradies für Kinder und Erwachsene

Bernd Rimlinger

Bernd Rimlinger
Foto: @Falk Urlen

Bernd Rimlinger, Jahrgang 1949, berichtet über seine guten Erfahrungen im "Lettenlager", Forstbachweg 16, in der Zeit von 1950 bis 1962, als die Steinbaracken beliebte und "komfortable" Wohnungen für Kasseler Bürger waren. Es gab fliesend Wasser und die Toiletten waren innen. Die Kinder konnten hier unbeschwert aufwachsen.
Geboren bin ich 1949 in der Sandershäuser Str. 48. Als ich knapp ein Jahr alt war, zogen meine Eltern zum Forstbachweg 16; denn hier gab es Wohnungen mit fließend Wasser (kalt) und einer innen liegenden Toilette. Hier wohnten wir bis 1962 und zogen dann in eine Neubauwohnung in der Wißmannstr. 2.
In den Steinbaracken am Forstbachweg wohnten fast nur Mitarbeiter der AEG, die im Werk in der Lilienthalstr. arbeiteten. Nicht nur „einfache Arbeiter“, sonder u. a. Herr Schinkel, der Personalchef der AEG und unsere Familie. Mein Vater war Techniker und Abteilungsleiter der Kühlschrankfabrikation und hatte für damalige Zeiten ein gutes Gehalt.

Der Grund, warum man so lange im Forstbachweg wohnen blieb, war u. a. das Zusammengehörigkeitsgefühl. Man war aus dem Nichts gekommen und hatte nun eine Wohnung mit WC. Unsere Wohnung hatte z. B. eine "Gute Stube", ein Schlafzimmer, eine Wohnküche mit Speisekammer und ein "Bad" mit einem langen Waschbecken und einer Toilette. Gebadet wurde in einer Zinkbadewanne in der Küche. Besonders schön war das Grün vor und hinter den Häusern - ein Paradies für Kinder und Erwachsene. Das Verhältnis innerhalb der Nachbarschaft war einfach nur super. Es wurde Fußball und Federball gespielt, im Winter wurden Schneemänner gebaut. Es wurden  Federball-Wettbewerbe ausgetragen und es gab eine Straßen-Fußball-Mannschaft, die sich ihre Gegner in den umliegenden Siedlungen, wie der „Afrika-Siedlung“ oder der Lindenberg-Siedlung suchte.

Lagerleben
Lagerleben  Foto: @Falk Urlen
Ev. Kindergarten-Erlenfeld (Anfang der 50er Jahre)
Ev. Kindergarten-Erlenfeld (Anfang der 50er Jahre)  Foto: @Bernd Riedinger

Unser Schiedsrichter war Richard, dieser Mann lebte im Altenheim am Faustmühlenweg, er war nicht mehr ganz klar im Kopf, wir hatten ihn aber wirklich lieb. Er kam immer in Schiedsrichter-Kleidung und pfiff fast immer ganz ernsthaft. Er hatte allerdings auch Mitleid, wenn wir zurücklagen, und kam dann unserer Bitte nach, einen Elfmeter zu pfeifen.
Es war besonders für uns Kinder ein Segen, dass die alte Sportanlage noch da war. Hier konnten wir alles Mögliche spielen. Im Frühjahr, wenn der Schnee taute, war die Sprunggrube immer schön mit Schmelzwasser gefüllt. Was man damit alles machen konnte. Unsere Eltern wurden mehr als einmal wahnsinnig, wenn wir freudestrahlend nach Hause kamen, besonders freitags, wenn gebohnert worden war.
Natürlich konnten wir gefahrlos auf der Straße Fahrrad, Roller und Rollschuhfahren. Im Mai gab es Unmengen von Maikäfern, die wir Kinder in Schuhkartons sammelten und tauschten. Auch hierüber freuten sich natürlich die Eltern…
In den Sommerferien konnten wir kaum die Ferienbetreuung der Stadt abwarten. Auf und um den Sportplatz gab es ein großes, betreutes Angebot verschiedenster Spiele und Aktivitäten für alle Kinder, die auch aus der „Afrika“ und wer weiß wo her kamen. Es fragte keiner den anderen, wo er wohnt, wir hatten alle nur Spaß zusammen.
Wenn wir Kinder mal mit nach "Theumer" (Gaststätte „Forstfeldterrassen“ im ehemaligen Casino) durften, war das etwas ganz Besonderes. Wir Kinder bekamen dann auch schon mal einen Groschen, um uns am Automaten, der auf der Theke stand, Erdnüsse zu ziehen. Es gab sogar Limo für uns!
An eine Sache kann ich mich noch sehr gut erinnern: Eines Abends, wir zwei Jungs lagen schon im Bett, kam meine Mutter ins Schlafzimmer (eins für uns vier), um zu sehen, ob ich schon schlafe. Ich war noch wach und durfte leise aufstehen und in die Küche kommen. Meine Eltern hatten ein Rindersteak und ich durfte probieren. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte, so gut schmeckte das.
Die Söhrebahn lockte uns Kinder auch immer wieder. Die Gleise waren ja frei zugänglich. So konnten wir z. B. Nägel auf die Gleise legen, die uns dann schön platt gefahren wurden. So hatten wir wieder tolle Spitzen für unseren selbst gebastelten Flitzebogen.
Im Herbst stand dann wieder der alljährliche Wettbewerb im Drachenbau an. Insbesondere die Väter entwickelten einen bespiellosen Ehrgeiz. Mein Vater baute Stern- und Kasten-Drachen in allen Größen. Auf die Leisten schrieb er immer seinen Namen und Adresse. Das war gut so, denn einmal haute einer ab und wurde aus gut 10 km Entfernung wieder zurückgebracht.
Als die ersten Autos in die Siedlung kamen, war das natürlich eine Sensation. Für uns Kinder hieß das, dass wenn eines kam, sich die Rollschuhläufer an der Stoßstange festhielten und ließ sich ziehen ließen. Es war auch sehr beliebt, sich mit Rollschuhen an ein Fahrrad zu hängen und sich ziehen zu lassen. Manchmal hingen bis zu 10 Kinder hintereinander und es ging um die Siedlung.
Natürlich gab es z. B. in der Afrika-Siedlung Familien, die mit den Fingern auf uns zeigten. Aber auch deren Kinder spielten unheimlich gerne bei uns. Wir konnten, mangels Autoverkehr, einfach nur toll und gefahrlos herumtollen.
Wir hatten nie das Gefühl, ausgegrenzt zu sein oder "DIE" aus dem „Lettenlager“ zu sein. Der schlechte Ruf dieser Wohngegend kam nach meiner Erinnerung Anfang der 60er Jahre. Es wurde u. a. das Lager am "Eichwald" (der Dschungel) aufgelöst und die Menschen kamen in den Forstbachweg. Es entwickelte sich ein sozialer Brennpunkt. Da galt es für jeden "Alten" nur noch „BLOS WEG VON HIER", um selber nicht auch noch einen schlechten Ruf zu bekommen.
Keiner machte mehr etwas an und in den Häusern. Aber das war niemand von den "alten" Familien. Ich habe jedenfalls keinen Grund, meine Herkunft zu verschweigen. Ich hatte eine schöne Kindheit und konnte das auch an meine Kinder wieder zurückgeben.

Editor: Falk Urlen, 2012

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Kurzbeschreibung

Bernd Rimlinger, Jahrgang 1949, berichtet über seine guten Erfahrungen im "Lettenlager", Forstbachweg 16, in der Zeit von 1950 bis 1662, als die Steinbaracken beliebte und "komfortable" Wohnungen für Kasseler Bürger waren. Es gab fliesend Wasser und die Toiletten waren innen. Die Kinder konnten hier unbeschwert aufwachsen.

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