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Die Zellwollproduktion bei der Spinnfaser im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges
- Autor: Erhard Schaeffer
- Zeit: 1939
- Ort: Industriegebiet Lilienthalstrasse/Wohnstrasse
- Vom: 18.01.2013
- Themen: Zweiter Weltkrieg, Industrie und Gewerbe
Die Produktionsanlagen der Spinnfaser AG in der Lilienthalstraße waren im Jahre 1939 gut angelaufen und standen am Anfang hoher Leistungen. Die täglich hergestellte Zellwollmenge betrug fast 100 Tonnen. Mit dem Zweiten Weltkrieg begann ein trauriges Kapitel der Zellwollproduktion am Standort Kassel. Die Werksanlagen wurden in den Jahren 1939 – 1945 mehrfach durch Bomben zerstört und nach Wiederaufbau z.T. wieder zerstört. Beim Einmarsch der amerikanischen Truppen am 3. April 1945 war das Werksgelände ein Trümmerfeld und die Produktion lag still. Im Folgenden wird aus der Chronik des Unternehmens von 1956 über diesen Zeitabschnitt berichtet.
Es begann mit einschränkenden Maßnahmen und endete mit einer fast totalen Zerstörung des Werkes.
Schon Anfang September 1939 wurden aus dem Betrieb 300 Belegschaftsmitglieder zum Kriegsdienst herangezogen. In einigen Abteilungen musste die Arbeitszeit auf 12 Stunden erhöht werden. Zu Beginn des Jahres 1940 traten die ersten Rohstoffschwierigkeiten auf. Zunächst bei Kohle, dann bei Zellstoff, Schwefelkohlenstoff und anderen Rohstoffen. Bald machte sich auch der Ausfall von Arbeitskräften bemerkbar. Man suchte und fand den Ausgleich durch ausländische Arbeitskräfte (zivile Zwangsarbeiter). In unmittelbarer Nähe zur Spinnfaser entstand das Zwangsarbeiterlager 1 für „Ost– und Westarbeiter“, bewacht und eingezäunt. Es wurde 1943 durch einen Luftangriff zerstört.
Mit Beginn der Arbeitspflicht für Frauen hatte sich auch die Zahl der weiblichen Betriebsangehörigen stark erhöht.
Im Jahre 1941 wurde ein Betriebs-Kindergarten für 50 Kinder eingerichtet. Er befand sich an der Stelle des heutigen Kinderspielplatzes. Die im Betrieb beschäftigten Frauen konnten dort ihre Kinder unterbringen.
Im Sommer 1940 waren die ersten Gefallenen zu beklagen. Es waren: Helmut Weiland aus der Abteilung Sulfidierung, gefallen in Belgien am 6. Juni 1940, Mathias Kohl aus der Abteilung Betriebsstatistik, gefallen in Frankreich am 11. Juni 1940. Bis Ende des Krieges waren 164 Lohnempfänger und 18 Angestellte gefallen, 9 Betriebsangehörige im Werk durch Bombentreffer und 30 Betriebsangehörige außerhalb des Betriebes durch Bomben umgekommen. Infolge entstandener Verkehrsschwierigkeiten wurde am 15. März 1941 erstmalig Zellwolle im Fuldahafen auf einen Kahn verladen und nach Münster verfrachtet. Der Kahn nahm 100 t Zellwolle auf.
Ende März 1941 wurde im Zuge der damaligen gesetzlichen Möglichkeiten eine Aufstockung des Aktienkapitals um 9 Millionen auf 24 Millionen RM vorgenommen. Als sich die Kriegsführung festgefahren hatte, folgte der totale Krieg. Städte und Fabriken wurden bald das Ziel feindlicher Bombenflieger. Außer zahlreichen kleineren Angriffen, deren Schäden unter sofortigem Einsatz aller verfügbaren Kräfte meist schnell behoben werden konnten, sind etwa 6 schwere Luftangriffe über das Werk hinweg gegangen. Am 28. Juli 1943 wurde durch eine Sprengbombe die Kühlwasserleitung zum Turbinenhaus beschädigt Das Werk kam zum Stillstand.
Anfang August waren diese Schäden behoben. Beim zweiten Angriff am 30. Juli 1943 gab es durch Bombentreffer in ein 10-Familien-Wohnhaus (Lilienthalstraße) und in die Splitterschutzgräben auf dem Sportgelände die ersten Toten. Nun gab es keine Ruhe mehr. Am 3. Oktober 1943 wurde nach Abwurf mehrerer Brandbomben die Kohlenförderanlage zerstört. Dieser Schaden konnte nicht so schnell behoben werden. Bis zur Fertigstellung einer Notbekohlungsanlage (Holzkonstruktion) musste die Kohle von der Halde zum Kesselhaus mit Lastwagen befördert und von dort über ein behelfsmäßiges Förderband durch das Fenster zu den Heizerständen gebracht werden.
Am 22. Oktober 1943 erfolgte jener schwere Luftangriff auf Kassel, der in wenigen Abendstunden die Stadt in ein Flammenmeer verwandelte. Unser Werk bekam einige Brandbomben ab, die nur geringen Schaden verursachten. Hierdurch wurde das Flußpumpwerk durch eine Luftmine zerstört und fiel bis Anfang November aus.
Den schwersten Schlag erhielt das Werk am 19. April 1944. Im Energiebetrieb wurden die Vorklärbecken und ein Teil der Kohlenförderanlage zerstört. Im Kesselhaus kam es zu einer Kohlenstaubexplosion. Viele Belegschaftsangehörige erlitten Verbrennungen, ein Heizer starb an den Folgen.
Die Sulfidierung wurde durch eine Luftmine getroffen. Einige Behälter des Schwefelsäurelagers und der Laugestation wurden zerschlagen. Die Wassermassen des beschädigten Klärbeckens strömten in die Luftschutzkeller unter den Werkstätten (Bau 21), hinzu kamen Säure und Lauge. Es gab schwere Verletzungen infolge Verätzungen. An diesem Tage fielen etwa 220 Sprengbomben von ca. 250 und 500 kg sowie 32 Phosphorbrandkanister und 2 Minen von je 1800 kg auf unser Werk. Das Werk lag 4 Monate lang still (bis zum 10. August 1944) und konnte dann nur mit 40 % der vorherigen Kapazität weiterfahren. Bei einem der vielen Angriffe sind auch die Werksküche und der Speisesaal im Bau 26 (heute „Haus der Technik") zerstört worden. Durch schnelles Heranschaffen neuer Kochkessel konnten jedoch nach 36 Stunden bereits wieder 1300 Essen ausgegeben werden.
In den dicken 100 m hohen Abluftschornstein fiel eine Bombe hinein und schlug ein seitliches Loch heraus. Der Schornstein blieb stehen, aber die säurefeste Auskleidung, die so genannte Zeta-Röhre, stürzte in sich zusammen. Auch unsere Trockner waren mehrmals hintereinander abgebrannt und die Zellwolle musste oft feucht verschickt werden.
Eine besonders schwere Arbeit leistete unsere Werkfeuerwehr beim Löschen des Zellwolle-Ballenlagers, das ebenfalls einige Male brannte. Unsere Düsenstation lag nach einem der Angriffe vollständig unter Schutt. In mühevoller Arbeit mussten einige tausend wertvolle Spinndüsen wieder ausgebuddelt werden. Bei einem Angriff am 22. September 1944 wurden abermals das Vorklärbecken und einige Hauptwasserleitungen unseres Werkes zerstört. An diesem Tage ist auch das Kraftwerk der Stadt Kassel ausgefallen. Die Energiestation unseres Werkes, die bis zum 4. Oktober 1944 wieder in Betrieb kam, übernahm nunmehr auch die Stromversorgung der Stadt Kassel.
Der letzte Großangriff auf Kassel-Bettenhausen war am 28. 2. 1945. Nochmals erlitt unser Werk erhebliche Schäden; unter anderem war die Hauptwasserleitung an mehreren Stellen durch Bombentreffer unterbrochen. Mit eigenen Leuten und mit Hilfe einer Pionier-Abteilung der Wehrmacht wurde schnellstens der Schaden behoben. Vorübergehend wurde mit behelfsmäßig eingesetzten Pumpen das Wasser aus dem Wahlebach geholt und zur Turbinenkühlung benutzt. Am 6. März 1945 hatte das Werk für sich und damit auch die Stadt Kassel wieder Strom. Am 13. März war die Hauptwasserleitung instand gesetzt.
Bemerkungen:
Das Werk der Spinnfaser wurde sechsmal schwer und sechsmal leicht von Bomben getroffen. Hunderte von Spreng- und Brandbomben sowie einige Luftminen trafen die Werksanlagen und Einrichtungen, auch Menschenleben waren zu beklagen. Immer wieder wurden die Produktionsanlagen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln repariert und erneut in Gang gebracht. Der immer stärkere Produktionsausfall war jedoch nicht mehr auszugleichen.
Am 3. April 1945 rückten die amerikanischen Truppen in Kassel ein. Damit war der Krieg für unser Werk zu Ende. Bis zur Beseitigung seiner letzten Schäden sollten noch viele Jahre vergehen. Das Verwaltungsgebäude und einige Wohnungen in der Wohnstraße waren mit Truppen belegt. Wegen der Sperrzeit konnten die noch verbliebenen Betriebsangehörigen nicht an ihre Arbeitsstätten ins Werk. Die Produktion lag still.
Wenn sie wissen wollen wie es mit der Zellwollproduktion in Kassel begann, können sie die PDF Datei im Anhang herunterladen.
Editor: Erhard Schaeffer, Dezember 2012
Quellen:
- Bilder Stadtarchiv
- Geschichtskreis Bettenhausen früher und heute "Industriestandort Bettenhausen" 2007
- Aus der Geschichte unseres Unternehmens, Chronik 1956
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Kurzbeschreibung
Die Produktionsanlagen der Spinnfaser AG in der Lilienthalstraße waren im Jahre 1939 gut angelaufen und standen am Anfang hoher Leistungen. Die täglich hergestellte Zellwollmenge betrug fast 100 Tonnen. Mit dem Zweiten Weltkrieg begann ein trauriges Kapitel der Zellwollproduktion am Standort Kassel. Die Werksanlagen wurden in den Jahren 1939 – 1945 mehrfach durch Bomben zerstört und nach Wiederaufbau z.T. wieder zerstört. Beim Einmarsch der amerikanischen Truppen am 3. April 1945 war das Werksgelände ein Trümmerfeld und die Produktion lag still. Im Folgenden wird aus der Chronik des Unternehmens von 1956 über diesen Zeitabschnitt berichtet.
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