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Eine der ersten Hausbewohnerinnen des Lindenbergs erzählt

Ehemaliges Wohnhaus auf dem Lindenberg

Ehemaliges Wohnhaus auf dem Lindenberg
Foto: @Falk Urlen

Frau Schütte aus der Eisenhammerstraße war eine der ersten Bewohnerinnen der Häuser auf dem Lindenberg. 1930 zog die inzwischen Verstorbene hier ein und erzählt im Rahmen eines Interviews für das Freie Radio Kassel im Jahr 2003 Begebenheiten aus ihrer Jugend. 1913 wurde Frau Schütte in der Leipziger Str. geboren. Sie sagt, sie sei die älteste Ureinwohnerin vom Lindenberg. Das Haus entstand 1927, danach wurde es versteigert und die Eltern erwarben es und zogen 1930 hier ein.

Der Steinbruch war noch im Gange, die Steine flogen bei den Sprengungen bis hierher zu den Häusern. Der Faustmühlenweg ging bis Ochshausen. Das Haus hier oben war das zweite auf dem Lindenberg.

Da gab es sonst nur noch das Krankenhaus und die Molkerei. Diese war früher eine Lackfabrik und hieß Brötschel und Meuer (oder so ähnlich), die Krells sind erst in späteren Jahren hierher gekommen. Neben der Papierfabrik gab es damals eine Steichholzfabrik, vor der Autobahn auf der linken Seite der Leipziger Str. vor der ehemaligen Wollwäscherei (Kupferhammer) stehen 5 Häuser, hier bin ich geboren. Hier gab es einen Wirt (Hugo Krammo. ä.), der hat viel gemacht. Radrennen, rund um den Kaufunger Wald, Start war bei der Wirtschaft.

In der Lilienthalstr. war doch die Munitionsfabrik und dort, wo heute die Legohäuser in der Heinrich-Steul-Str. stehen, wurde die Munition gelagert. Das waren alles so kleine Häuschen, und damit da nichts passiert, waren zwischen den Häuschen lauter Wassergräben. Gegenüber der Leipziger Str., beim Fischhaus, dort wo heute die Firma Steuber ist, waren zwei Teiche und abends hörte man von überall her das laute Quaken der Frösche.

Im Faustmühlenweg gab es in den vierziger Jahren ein weiteres (Zwangsarbeiter-)Lager, wo heute die Spinnfaserhäuser stehen, das sind die Miethäuser zwischen Kupferhammerstr. und der ehemaligen Waldkappeler Bahn.

Die Insassen des Lagers waren Frauen, die nicht mehr so konnten, sie durften sich hier etwas ausruhen. Die Bewacher waren lieb. Kontakt zu Bürgern konnte es kaum geben, weil der Lindenberg noch nicht bebaut war, es waren nur noch Reckmanns im Faustmühlenweg 17 und oben Groß.

Dort, wo es dem Eichwald zugeht (früherer Eisenhammer), war die Rochollsche Stockfabrik. Das Geschäft am Stern mit dem gleichen Namen betreiben Nachkommen. Nach der Stockfabrik kam ein Garten und danach kam Rocholls Villa. Eine Geschichte vergesse ich nie. Frau Rocholl war eine feine Frau, aber Herr Rocholl hatte Fisimatenten im Kopf. Er hatte mal wieder eine neue Freundin und es war Clobesabend. Und wir Kinder von unseren 5 Häusern hier oben durften uns verkleiden und losziehen. Wir kamen zu Rocholls Villa und die Köchin machte uns auf und wir begannen mit unserem Verschen. Da kam die Frau Rocholl, ganz lieb und bat uns, wieder zu gehen. Und in dieser Nacht vom 6. bis 7. Dezember (in den zwanziger Jahren) hatte sich die Frau Rocholl erschossen.

Im Zweiten Weltkrieg, in der schlimmen Nacht im Oktober, da haben wir draußen gestanden. Da waren die im Bunker, den mein Vater im Keller ausgebaut hatte, ganz böse. Da rief die Straußen: "Ihr könnt ruhig draußen bleiben, solange ihr über Euch keine Leuchtraketen seht, passiert Euch nichts". In einer anderer Nacht wurden Brandbomben geschmissen, eine fiel auf unseren Heu- und Strohschuppen. Da war ein Lastwagen voll Gefangener, die sich hier untergestellt hatten. Die halfen uns dann löschen. Eines Tages regnete es durch unsere Wohnzimmerdecke, ich sah nach und fand auf dem Boden eine Brandbombe, die war quer aufgekommen, hatte das Ziegeldach durchschlagen aber nicht gezündet. Eine scharfe Brandbombe liegt bei mir heute noch unter der Bleiche. Aber die kann ja nichts mehr anbrennen, aber ich weiß noch, wo sie liegt, da ist eine richtige Vertiefung.

Um zu Fieseler zu kommen, da waren in Waldau doch immer diese Flugvorführungen. Und da war es hier oben schwarz von Menschen, von hier konnte man die Vorführungen besser sehen als dort unten. Er (Fieseler) hatte eine ganz liebe Frau, er wohnte im Verwaltungsgebäude in der Wohnstraße. Mein Vater hat lange bei Fieseler gearbeitet, aber er sollte entlassen werden. Da gab es eine Gerichtsverhandlung, Fieseler hatte einen Rechtsanwalt, mein Vater konnte sich keinen leisten, aber mein Vater hat gewonnen.

Es hieß, es musste geräumt werden, die Amerikaner kommen. Wir nahmen unseren Handwagen und zogen diesen bis nach Wellerode, wo wir bei einem ehemaligen Meister meines Vaters in dessen Haus Unterschlupf fanden. Wir waren alle im Keller, und meine kleine Tochter musste aufs Töpfchen. Plötzlich klingelt es, ich öffne, vor mit steht ein Amerikaner mit einem Gewehr und ich ihm mit unserer Irene und dem Töpfchen gegenüber. Als wir dann wieder zurück durften, dann sind wir immer von Amerikanern beschossen worden, wir lagen mehr im Graben als dass wir auf der Straße den Wagen zogen.

Und nachdem wir wieder zurück waren, schellte es einmal wieder, vor mir standen Amerikaner, die das Haus ansehen wollten. Danach mussten wir alle raus und dann wurde hier die Küche eingerichtet. Meine Tochter hatte hier eine Freundin, die aus Polen stammte, bei den Amerikanern sprach auch einer polnisch. Der fragte dann das Mädchen, warum wir nicht im Haus bleiben wollten und helfen. So konnten wir dann hier bleiben.

Gelenktriebwagen 272 im Betriebsbahnhof Bettenhausen
Betriebsbahnhof Bettenhausen 1957 mit dem neuen Gelenktriebwagen 272 und dem alten Triebwagen 153 im Hintergrund  Foto: Kasseler- Verkehrs-Gesellschaft, G.A. Stör 1977

Heute fährt alles mit dem Auto. Wenn wir am Samstag einkaufen gingen, dann nahm meine Mutter den Handwagen und wir zogen ihn bis Bettenhausen. Da gab es einen Bäcker Voigt, das war so etwas unterhalb der Osterholzstraße. Da wurde unser Handwagen stehen gelassen. Dann ging es weiter nach Kassel bis zum Judenbrunnen zur Fleischerei Lohmann, die hatten die beste Kochwurst. Da wurde dann Fleisch eingekauft, dann ging’s zurück nach Bettenhausen, um den Rest einzukaufen. Das wurde dann alles auf den Handwagen gepackt und dann ging’s zurück auf den Lindenberg.

Zuerst fuhr die Straßenbahn bis dort, wo die Bettenhäuser Kirche (Kirchgasse) ist, wo heute das Praktikerhaus ist (inzwischen ist dort das Einkaufszentrum tegut usw.), hier war das Depot, gleich hinter dem Malermeister Hartung. Und später fuhr sie bis zum Leipziger Platz, hier war die Wendeschleife, später sogar bis zur Lossesiedlung. Und das hätte früher kein Mensch gedacht, später bis zum Lindenberg.

Editor: Falk Urlen, 12/2018

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Kurzbeschreibung

Frau Schütte aus der Eisenhammerstraße war eine der ersten Bewohnerinnen der Häuser auf dem Lindenberg. 1930 zog die inzwischen Verstorbene hier ein und erzählt im Rahmen eines Interviews für das Freie Radio Kassel im Jahr  2003 Begebenheiten aus ihrer Jugend.

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