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Gerhard Fieseler und seine Werke
- Autor: Falk Urlen
- Zeit: 1926
- Ort: Gerhard-Fieseler-Flugzeugwerke
- Vom: 18.01.2016
- Themen: Firmen- und Industriegeschichte, Industrie und Gewerbe
In einem Kurzbeitrag wird eine Übersicht über Gerhard Fieseler und die "Gerhard-Fieseler-Werke GmbH" gegeben.
Werdegang
Der im Jahre 1896 in Glesch im Kreis Bergheim a. Rh. geborene Sohn eines Bonner Buchdruckereibesitzers, Gerhard Fieseler, nahm im Ersten Weltkrieg an der mazedonischen Front als Jagdflieger teil und schoss unter dem Namen "Tiger" 22 Gegner ab. Nachdem ihn seine Nachkriegstätigkeit als Druckereibesitzer in Eschweiler nicht befriedigte, ging er 1926 als Teilhaber und Fluglehrer zu den Raab-Katzenstein-Flugzeugwerken in Kassel-Bettenhausen. Mit einer 120 PS "Schwalbe" entwickelte er hier den Kunstflug zur meisterlichen Reife. 1927 führte er beim Internationalen Schaufliegen in Zürich elf Minuten lang kühne Figuren in Rückenlage vor und arbeitete sich damit in die Weltklasse der Kunstflieger vor. Bereits 1928 ließ er sich nach eigenen Plänen ein spezielles Kunstflug-Flugzeug, die 240 PS starke F-1 "Tigerschwalbe", bauen. Das durch den Kunstflug verdiente Geld legte Fieseler für die Gründung eines eigenen Werkes zurück. Das Bild links schenkte Gerhard Fieseler seinem engen Mitarbeiter Heinrich Peter.
Der Kunstflieger
Am 1. April 1930 erwarb er den bisher von Fritz Ackermann betriebenen "Segelflugzeugbau Kassel", aus dem verschiedene erfolgreiche Segelflugzeuge der "Kassel"-Reihe hervorgegangen waren. Unter Fieselers Leitung wurden besondere Bauaufträge ausgeführt, so das "Musterle" von Wolf Hirth und von Kronfeld die "Wien" und das bisher größte Segelflugzeug der Welt, die "Austria". Trotzdem wäre das Werk in der Zeit der Wirtschaftskrise nicht lebensfähig geblieben, hätte nicht Fieseler den Kunstflug ganz in die Sache seines Werkes gestellt. Damals hieß es: "Fieseler hat sich ein ganzes Werk erflogen." 1932 entstand bereits im eigenen Werk als eine Konstruktion von Schüttkowsky seine berühmteste Kunstflugmaschine, der F-2 "Tiger" mit 340 PS-Pollux-Motor, mit dem er 1934 die Weltmeisterschaft gewann und 80000 Goldmark Preisgeld.
Gerhard-Fieseler-Werke
Gerhard Fieseler, der Flugzeugbauer
Das mit diesem Titel verbundene Preisgeld versetzte Fieseler in die Lage, das Produktionsprogramm seines Werks zu erweitern. Fieseler selbst zog sich vom Kunstflug zurück und widmete sich ganz dem Bau von preiswerten Sportflugzeugen. Zuerst war bereits die F-3 "Wespe" nach Plänen von Lippisch entstanden. Da aber diese schwanzlose Konstruktion mit zwei in Tandemanordnung untergebrachten 90 PS-Pobjoy-Motoren fliegerisch nicht den Erwartungen entsprach, wurde die Entwicklung abgebrochen. Ebenfalls erwies sich die auf der DELA 1932 ausgestellte zweisitzige Sportmaschine F-4 mit einem 35 PS-Argus As 16-Boxermotor als ein Fehlschlag. Erst die nächste Konstruktion, die mit einem 65-PS-Hirth-Motor ausgerüstete F-5, wurde ein voller Erfolg, denn es liefen so viele Bestellungen ein, dass der Serienbau aufgenommen werden konnte. Fieseler vergrößerte seine Belegschaft innerhalb weniger Tage auf 200 Mann und konnte bis zum Deutschlandflug 1933 im August des Jahres innerhalb von sieben Wochen noch acht F-5 an den Start bringen. Die F-5 wurde auch später in der verbesserten Ausführung Fi 5 R mit 80 PS in größeren Serien erstellt. Die F-6 war eine mit geänderten Flügel- und Leitwerksflächen versehene F-5.
Militärflugzeuge der Gerhard-Fieseler-Werke-GmbH
FI 156 (hinten)/256 (vorn), der Fieseler-Storch
Mit der Fi 97 begann das neue, vom Reichsluftfahrtministerium kontrollierte Entwicklungsprogramm, aus dem die erfolgreichste und bekannteste Fieseler-Schöpfung hervorging, der Fi 156 "Storch". Der „Storch“, ein propellergetriebenes Flugzeug, flog erstmals 1936. Er wurde eingesetzt als Verbindungs– Beobachtungs– und Sanitätsflugzeug. Seine Vorteile waren die ausgezeichnete Rundumsicht durch die großzügig verglaste Kabine und vor allem die guten Langsam– und STOL (Short Take- Off and Landing)-Eigenschaften (die Mindestfluggeschwindigkeit lag unter 50 km/h; zum Starten reichten bei Gegenwind 50 m, zum Landen 20 m). Bei entsprechendem Gegenwind konnte die Maschine in der Luft stehen, sie eignete sich sogar zum Verlegen von Fernmeldekabeln. Gebaut wurden bis Kriegsende ca. 2500, viele davon in Frankreich (mit einem Sternmotor) und später auch in der Tschechoslowakei. In der Sowjetunion gab es einen Nachbau. Eine Weiterentwicklung war die FI 256, der „Superstorch“, von dem nur 10 Stück gebaut wurden. Während die FI 156 drei Sitze hatte (Pilot und 2 Passagiere), war die FI256 ein Fünfsitzer. Auf dem Bild Heinrich Peter beim Warmlaufen des Motors.
FI 167 - ein Flugzeug für Flugzeugträger
Nachdem Deutschland auch einen Flugzeugträger entwickelte, bewarben sich die Fieseler-Werke um den Auftrag dieses Träger-Mehrzweck-Flugzeuges, ein zweisitziger Doppeldecker, dessen Flügel eingeklappt werden konnten. Dieses Flugzeug sollte Torpedos und Wasserbomben abwerfen. Nachdem die Produktion des Flugzeugträgers "Graf Zeppelin" eingestellt wurde, benötigte man diese Maschine auch nicht mehr. Es waren drei Prototypen und 12 Vorserienmaschinen gebaut worden.
Messerschmitt Bf 10
Dieses Jagdflugzeug wurde bei den Fieseler-Werken in Lizenz gebaut, die bei der "Legion-Condor" eingesetzten und beschädigten Maschinen wurden hier auch repariert.
Focke-Wulff FW 190
Auch dieses Mehrzweck-Jagdflugzeug wurde bei Fieseler in Lizenz gebaut.
FI 103, eine sog. Vergeltungswaffe ( V1 )
Ebenfalls bei Fieseler, dessen Werk am 1. April 1939 in Gerhard Fieseler Werke GmbH umbenannt worden war, entstand die Fi 103, der Prototyp der später unter dem Namen "V1" bekannt gewordenen fliegenden Bombe. Der pilotenlose Flugkörper wurde durch den Flugzeugkonstrukteur Robert Lusser 1942 in den Fieseler-Werken in Kassel entwickelt. Ein ehemaliger Mitarbeiter, der an der Entwicklung mitgewirkt hat, erzählte, dass die V1 im Werk 1 an der Lilienthalstraße, direkt an der Mauer zur Spinnfaser, entwickelt worden sei. Der Flugkörper hatte einen flugzeugähnlichen Aufbau und konnte eine Geschwindigkeit von über 645 km/h erreichen. Im Prinzip eine größtenteils aus Holz gebaute, pilotenlos fliegende ungelenkte Bombe. Die Ursprünge gehen bis in die 30-er Jahre zurück, es handelte sich um ein petroleumbetriebenes Staustrahltriebwerk. In den Jahren 1942/1943 wurde der ca. 8 m lange Flugkörper auf dem Versuchsgelände der Luftwaffe in Peenemünde-West erfolgreich erprobt. Der Start erfolgte über eine raketengetriebene feste Rampe, später über eine transportable Dampfkatapulteinrichtung (sogenannter Schleuderstart), er konnte aber auch von einem Trägerflugzeug erfolgen, z. B. vom Flugzeug HE-111. Das Abschussgewicht lag bei etwa 2200 kg, davon wog der Gefechtskopf ca. 800 kg und der Treibstoff ca. 1000 kg (je nach geplanter Reichweite), die Flughöhe betrug 300 bis 2000 m, die Herstellungskosten betrugen zwischen 1500 und 10000 RM, 280 Arbeitsstunden wurden zur Herstellung benötigt. Die Reichweite betrug zuerst 300 km, später 400 km; geplant war eine Reichweite von 500 km. Die Zielgenauigkeit lag bei einem bis zwei Kilometer. Als 1943 alliierte Luftangriffe auf deutsche Städte mehr und mehr den Charakter reinster Terrorangriffe gegen die deutsche Zivilbevölkerung annahmen, ging die Herstellung der V1 (Vergeltungswaffe 1) ab diesem Zeitpunkt in Serie. Die erste Serie von 500 Exemplaren wurde in Rothwesten unter größter Geheimhaltung gebaut. Die weiteren dann in Nordshausen, größtenteils von Zwangsarbeitern.
Wie ein ehemaliger Mitarbeiter der Fieseler-Werke berichtete, waren bei den Probeschüssen von Peenemünde in Richtung Bornholm einige V1 in Schweden angelandet, die dann nach den USA weitergeleitet wurden. So war dort die Technologie sehr früh bekannt. Aufgrund dieses Wissens wurde dann von deutscher Seite ein Aufschlagzünder eingebaut, damit die Versuchsgeräte bei Aufschlag auf dem Meer explodierten. Die Maschinen arbeiteten mit Kreiselkompassen und konnten so programmiert werden, dass sie während des Fluges einen 90-Grad-Winkel flog, um zu verhindern, dass beim Einschlag die Abschussstelle festgestellt werden konnte. Der britische General Montgomery soll gesagt haben, dass es einen erheblichen Einfluss auf den Ausgang des Krieges gehabt hätte, wenn die V1 9 Monate eher einsatzbereit gewesen wäre, weil inzwischen die Sammellager der Alliierten in England mit großen Netzen vor dieser Waffe geschützt worden waren. Entwickelt worden war die Waffe 1943 und von Goebbels in seiner Berliner Sportpalastrede vom 18. Februar 1943 angekündigt worden. Das Problem war nur, dass alle diese fliegenden Bomben, sofort nach dem Start ins Meer fielen. Nach ca. 3 Monaten erst fand man heraus, dass ein Zulieferer aus Wolfsburg die Tragflächen zu schwach gebaut hatte, so dass sich diese bei dem Katapultstart verformten.
Zwangsarbeiter
In den Gerhard-Fieseler-Werken wurden bis zu 6000 ausländische Arbeiter bzw. Zwangsarbeiter eingesetzt. Die älteren Bewohnerinnen und Bewohner der Forstfeldsiedlung, alles Mitarbeiter der Fieseler-Werke, sprachen nicht darüber, für sie war das alles eine Selbstverständlichkeit. Erst im Buch von Wim de Vries las man von der z. T. wohl schlechten Behandlung. Dabei sollte man aber wissen, dass Fieseler von den Nazis bereits 1943 wegen " politischer Unzuverlässigkeit" als Betriebsleiter abgesetzt worden war.
Angriffe auf die Fieseler-Werke
Die Fieseler-Werke standen bei der Royal Air-Force ganz oben auf der Liste der zu zerstörenden deutschen Fabriken – schon wegen der V1. Die Fieseler-Werke wurden nur gering zerstört. Sie produzierten inzwischen auch in Lizenz Flugzeuge vom Typ Focke-Wulf 190-A8, aber auch A3 und D9. Große Teile des Werks wurden dann teilweise nach Schreufa in der Nähe Frankenbergs und an sechzig weitere Standorte ausgelagert, nachdem die Amerikaner mit ihren fliegenden Festungen (B24, B17) auch am Tag flogen und wesentlich höhere Trefferquoten erreichten. Am 19. Februar 1944 setzten sich in Kassel LKW-Kolonnen in Fahrt, die alle für die Produktion notwendigen Maschinen geladen hatten. Sie wurden in Fabriken verlegt, die bisher Gebrauchsgüter herstellten, und begannen bereits 24 Stunden nach der Anlieferung mit der neuen Produktion. Allein in Schreufa wurden in einem ehemaligen Werk von Stuhlmöbeln 22 Flugzeuge vom Typ FW 190 A8 täglich montiert, und das in Schichten von 12 Stunden am Tag und von 72 Stunden in der Woche. Insgesamt produzierte Fieseler 1941 590, 1942 671, 1943 1096 und 1944 1146 Flugzeuge. Daneben wurden Flugzeugteile produziert und Reparaturen durchgeführt. Dementsprechend waren auch die Luftangriffe: 1943: 28.07, 30.07, 03.10, 22.10; 1944: 19.04., 22.09. 27.09. 28.09, 02.10. 07.10. 18.10.
Zerstörung der Werke
Fieseler selbst war zu diesem Zeitpunkt aber schon nicht mehr Betriebsführer in seinem eigenen Werk. Am 29.03.1944 hatte ihn die Parteiführung wegen "Nichteinhaltung eines Liefertermins" und wegen "Spannungen zur NSDAP" abgesetzt. Darin sieht man aber auch, wer in den Rüstungsbetrieben das Sagen hatte - die Eigentümer gaben wahrscheinlich nur noch ihren Namen. Nachdem von Staats wegen ein neuer Betriebsleiter eingesetzt worden war, wurde die Produktion gesteigert. Ein ehemaliger Mitarbeiter, der 1936 bei Fieseler als Lehrling begonnen hatte und der später die erste V1 abschoss, versicherte, dass Fieseler, solange er die Möglichkeit dazu hatte, immer darauf geachtet habe, mit den Arbeitern menschlich umzugehen. Ihm gegenüber soll Fieseler schon 1943 die Frage gestellt haben, bei wem sie nach dem Kriege arbeiten würden, bei den Amerikanern oder bei den Russen. Das zeugt von einem Vertrauensverhältnis, denn wäre diese Einstellung bekannt geworden, wäre es Fieseler wahrscheinlich schlecht ergangen. Zwangsarbeiter selber (Wim de Fries) äußern sich über die Behandlung anders. Die ganze Wahrheit werden wir nie herausbekommen, weil sich viele Menschen in dieser Zeit - wie bei Recherchen immer wieder festgestellt wurde - angepasst und verstellt haben, anpassen und verstellen mussten, allein schon, um die Familie nicht zu gefährden oder um nicht als „unzuverlässig“ eingestuft zu werden. Der ehemalige Mitarbeiter meinte, angesprochen auf unmenschliche Behandlung der Zwangsarbeiter, dass das nach dem Ausscheiden Fieselers als Betriebsführer gewesen sein müsse, Fieseler hätte so etwas immer verhindert.
Weh tat es dem zitierten Mitarbeiter, als dann 1945 von einem Tankwagen Benzin in die Werkshallen gepumpt wurde und ein deutscher Soldat mit einer Leuchtpistole alles in Brand setzte, um nicht dem anrückenden Feind funktionierende Fabriken zu hinterlassen.
Fieseler-Werkssiedlung
Noch heute sind in den Grundbüchern der Häuser der ehemaligen Fieseler-Siedlung Vorkaufsrechte für die Firma Fieseler eingetragen, wenn die Eigentümer sie nicht bereits abgelöst haben. Man wollte damit erreichen, dass nur Mitarbeiter der Fieseler-Werke in diesen Häusern wohnen sollten. Fieseler selbst soll immer sehr stolz auf seine Siedlung gewesen sein. Heute gibt es noch die Fieseler Stiftung, die das verbliebene Vermögen verwaltet. Sie spendete eine Häschen-Skulptur für das Kunstwerk am Forstfelder Stadtplatz, so bleibt in Forstfeld eine Erinnerung an Gerhard Fieseler bestehen.
Gerhard Fieseler (* 15. April 1896 in Bergheim; † 1. September 1987 in Kassel) wurde auf dem Kasseler Hauptfriedhof beigesetzt. Seine Grabstätte ist schon von weitem an dem übergroßen Siegespokal, der den Flugpionieren gewidmet ist, zu erkennen.
Autor und Redaktion: Falk Urlen, Januar 2016
Der Verfasser erstellt seit einiger Zeit eine Biographie von Gerhard Fieseler. Die vorläufige Version von 2013 können Sie im PDF-Format herunterladen. Diese Broschüre ist noch nicht endgültig.
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