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Meine Zeit als Sozialarbeiter für Jugendliche im Obdachlosenlager am Forstbachweg
- Autor: Falk Urlen
- Zeit: 1968
- Ort: Junkerscamp "Lettenlager"
- Vom: 21.02.2013
- Themen: Stadtentwicklung, Menschen erzählen
Volkhardt Strutwolf, zuletzt Jugendamtsleiter in Kassel, berichtet in einem Beitrag für das Freie Radio Kassel über seine achtjährige Tätigkeit im Obdachlosenlager am Forstbachweg.
Ich habe mit meiner Arbeit 1968 im Obdachlosenlager in Forstfeld begonnen. Für mich war das eine ganz andere Welt. Ich kam aus einer dörflichen, kleinbürgerlichen Sozialisation und konnte mir, nachdem ich das gesehen hatte, nicht vorstellen, dass Menschen mit so vielen Kindern auf so kleinem extrem beengten Raum überhaupt leben konnten. Der Großteil des Lebens spielte sich außerhalb der Wohnung ab, aber hier war alles verwahrlost, es gab keine Mülleimer vor der Tür, sondern nur ein paar große Müllcontainer. Die Menschen, bei denen das Wertesystem noch funktionierte, hatten ordentliche Wohnungen, aber nicht alle schafften das.
Nach dem damaligen Jugendwohlfahrtgesetz mussten Kinder, bei denen Verwahrlosungstendenzen festgestellt wurden, in Heimen untergebracht werden; das wäre dann für die Hälfte aller Lagerkinder zum Zuge gekommen, bei dieser Größenordnung aber konnte sich das kein Staat leisten. Ich lernte daraus, dass diesem Problem nur beizukommen war, wenn man strukturell etwas änderte, also die Wohnbedingungen, die Infrastruktur, die Gesundheitsfürsorge und die Bildung.
Der erste Schritt war über die Forstfelder Schulen schon gemacht worden. Ich habe hier eine Vielzahl von Lehrerinnen und Lehrern kennen gelernt, die sich in hohem Maße um die Kinder bemüht haben. Die Schulen versorgten die Kinder mittags, hatten Turnhallen, in einem Umkreis von 500 x 500 m gab es zwei Schulen, drei Kindertagesstätten, das Haus Forstbachweg mit Sitz der sozialen Dienste und der Freizeiteinrichtungen durch die Stadtjugendpflege. Die Stadt hat also schon sehr viel getan, aber das Problem mit dem Grundbedürfnis „Wohnung“ war noch lange nicht gelöst.
Der Beseitigung der Barackensiedlungen, es gab ja noch zwei, eine auf der Wartekuppe und eine am Frasenweg, wurde durch die „Besetzung“ der „Belgiersiedlung“ erheblich beflügelt. Wir Sozialarbeiter hatten große Sympathien für diese Aktionen, zu denen wir auch offen standen. Jetzt wurden die Bemühungen für das Barackenbeseitungsprogramm durch die Stadt verstärkt, man musste diese Schandflecke einfach beseitigen. Zunächst wurden Wohnungen zusammengelegt und an den Wohnungen die größten Schäden beseitigt.
Die Bevölkerung stand nicht unbedingt dahinter, hier kamen dann alle Vorurteile gegenüber diesen Obdachlosen zusammen: kinderreich, arbeitsscheu, kriminell. Wir Sozialarbeiter machten große Anstrengungen, wir haben z. B. alle Jugendlichen, die zu uns in das Jugendzentrum kamen, in Arbeitsverhältnisse untergebracht.
Eine große Hilfe war später auch der Hausmeister Helmut Kleinert, die Wissenschaftler nennen das Sozialwelt- oder Lebensweltorientierung, er wusste, wovon er redete, ohne die wissenschaftlichen Begriffe dafür zu kennen, er wusste, wo den Menschen der Schuh drückte, mit ihm musste man nicht über Prioritäten sprechen, er wusste das alles. Er war bei Jugendlichen und auch Erwachsenen anerkannt, selbst wir Sozialarbeiter suchten manchmal seinen Rat. Er beließ es nicht nur bei der Beschreibung der Missstände, er setzte sich auch gleich immer dafür ein, dass diese beseitigt wurden, er war schon mehr als nur „Hausmeister“. Ihm gebührt eine große Ehre.
Die Geschichte des Haus Forstbachweg begann, als sich diese Institution noch im ehemaligen Wirtschaftsgebäude des Lagers befand. Hier waren bereits Jugendliche bei der Renovierung und der Schaffung von Freizeitanlagen mit einbezogen worden und es gab bereits ein breit gefächertes Angebot für Kinder, eine Malschule und viel Betreuungsangebote durch die AWO, es gab die ersten Versuche der Medienpädagogik für randständige Kinder, Super-8 Filme wurden produziert und auch im Fernsehen ausgestrahlt. Es war eine lebendige, vielfältige, kulturelle Atmosphäre. Auch Erwachsene nahmen an Veranstaltungen teil. Diese Erfahrungen wurden dann im neuen Gebäude weiterverfolgt. Durch das Engagement des Stadtteils konnten später im Keller Räume für Vereine geschaffen werden, durch die das kulturelle Leben in Forstfeld einen neuen Schwung bekam.
Schließlich wurden im Rahmen des Barackenbeseitigungsprogramms in mehreren Bauabschnitten die Häuser mit 400 Wohnungen für 1000 Menschen in der Heinrich-Steul-Str. in mehreren Abschnitten gebaut. Ich erinnere mich noch, wie die rumänischen Bauarbeiter, die den ersten Abschnitt erstellten, abends zu uns in Jugendveranstaltungen kamen und sich hier noch richtig wohl fühlten, wir organisierten so auch „internationale“ Fußballspiele.
Von den ehemaligen Barackenbewohnern zog nur ein Bruchteil in diese neuen Wohnungen ein, einige bekamen Wohnungen in der Städtischen Siedlung, andere bekamen Wohnungen in anderen Stadtteilen. Heute ist die Siedlung in der Heinrich-Steul-Str. eine Siedlung im Grünen mit komfortablen, bezahlbaren Wohnungen.
Redaktion: Falk Urlen
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