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Militär im Kasseler Osten vom 17. bis 19. Jahrhundert

Szene aus einem Feldlager: Berittene Soldaten zwischen Zelten und Kanonen

Preußische Truppen lagern auf dem Forst
Foto: Stadtteilzentrum Agathof e. V.

Der Kasseler Forst wurde immer wieder vom Militär beansprucht bzw. genutzt, von Freund und Feind. Das begann im 16. Jahrhundert, als er unter Landgraf Philipp  abgeholzt wurde, weil er zu nahe an die Festung Cassel heranreichte und insofern ein Sicherheitsrisiko darstellte. Es war nach damaliger Auffassung untragbar, dass sich in unmittelbarer Nähe zu den Festungswerken der Stadt ein derartiges Waldgebiet  ausdehnte, das dem Gegner bei einem Angriff hervorragende Deckung bei bieten konnte. So konnte sich hier auf dem Forstfeld, wie es jetzt genannt wurde, ein lichter Hutewald entwickeln, auf dem die Kasseler Ackerbürger ihr Vieh weideten.

Natürlich war das auch ein ideales Gebiet für Truppenaufmärsche, Manöver und Biwakplätze. Dort, wo heute der Togoplatz ist, befand sich der „Kugelfang“, auf den vom Kasseler Militär mit Kanonen gezielt und geschossen wurde.

Kartenausschnitt vom kleinen Forstfeld
Kartenausschnitt vom kleinen Forstfeld, 1835  Foto: Falk Urlen Kassel

Im  Juli 1727 musterte König Georg II. von Großbritannien, Kurfürst von Hannover,  hier die hessische Armee, 8000 Mann zu Fuß und 4000 Mann zu Pferd, um sie gemäß des Subsidienvertrags in seinen Sold zu nehmen; ein Ausmarsch erfolgt jedoch nicht, das geschah erst später im Siebenjährigen Krieg. Augenzeugen berichten, dass er ein stattlicher Herr gewesen war, der mit zahlreichem Gefolge erschienen war. Er durchschritt  die Reihen der außergewöhnlich gut ausgebildeten Soldaten.

Georg II
König Georg II von England und Irland  Foto: @Stadtteilzentrum Agathof e.V.

1756 begann der Siebenjährige Krieg, in diesem Jahr wurde ein Teil der Truppen nach England verschifft, dort aber nicht eingesetzt, weil der erwartete französische Angriff,  wahrscheinlich wegen der hessischen Soldaten, nicht erfolgte. Diese kehrten  im nächsten Jahr wieder zurück. Eingesetzt wurden die Soldaten dann erst in Nordamerika. Zwischen 1775 und 1783 wurden aus Hessen-Kassel fast 17000 Soldaten für 1.2 Millionen Pfund Sterling „geliefert“, wie es hieß, von denen 6500 nicht wieder zurückkehrten. Landgraf Friedrich II wurde dadurch zu einem der reichtsten Fürsten Europas. 

Landgraf Friedrich II von Hessen-Kassel
Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel, Gemälde von Tischbein, Johann Heinrich, der Ältere (1722–1789)  Foto: @ Stadtteilzentrum Agathof e.V.

Am 15. Juli 1757 bezog die Armee des französischen Generals Contades im Rahmen der Besetzung  Kassels  mit 21000 Mann ein Lager auf dem Forst. Hier blieben sie mehrere Wochen und zogen danach wieder ab, um sich mit der Hauptarmee zu vereinigen. Die Bauern in der Nähe, also insbesondere die von Bettenhausen und Waldau, wurden immer wieder als Futterlieferanten missbraucht. Ganze Feldfluren wurden zu Grunde gerichtet und Sachgüter durch die Soldaten beschlagnahmt.

Soldaten in französicher Uniform bem Angriff
Französische Soldaten im 7-jährigen Krieg (Archiv Agathof)  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.

Bereits im nächsten Jahr, am 23. Juli 1758,  wurde Kassel wieder besetzt. Graf von Ysenburg sollte die Franzosen zwar aufhalten, er konnte aber mit seinen ca. 6000 z. T. unausgebildete Soldaten, Invaliden und Milizionären den 8000 kampferfahrenen französischen Kriegern unter dem Herzog von Brolio nichts entgegensetzen. Ysenburg wurde von diesen von Marburg über Ziegenhain und Kassel bis zu einer Anhöhe über dem Dorf Sandershausen, dort wo heute ein großes Industriegebiet erschlossen worden ist, getrieben.

Eine Gruppe von 200 hessischen Jägern und 60 Husaren blieben als Nachhut in Bettenhausen zurück. Die Kavallerie der Franzosen lagerte auf dem Forst. Diese hätte die Soldaten in Bettenhausen mit Leichtigkeit besiegen können, bekam aber nicht den Befehl dazu, was für die Bettenhäuser Einwohner ein Glücksfall war. Das Bataillon Isenburg stellte zwei Kanonen geschickt neben der Wahlebachbrücke, die damals auch Bettelbrücke genannt wurde,  gegenüber dem Siechenhaus auf und hielt durch das Feuer die feindliche Spitze in achtbarer Entfernung. Dennoch konnte eine so kleine Truppe das weitläufig gebaute Bettenhausen nicht verteidigen, die Franzosen zogen sich, wie man liest, weit hinter den Bach zurück, der in zwei Armen durch das Dorf fliest und besetzten die Brücken und die umliegenden Gärten.  Am 23. Juli 1758 stellten die Franzosen die Hessen am Sandershäuser Berg bei Gut Ellenbach, die hessischen Soldaten setzten sich gegen Abend  geschlagen in Richtung Münden ab, ohne von den erschöpften Franzosen verfolgt zu werden. Das Gut Ellenbach soll von den Hessen heldenhaft verteidigt worden sein. Hier starben schätzungsweise 3000 hessische, hannoversche und französische Soldaten. In Geschichtsbüchern spricht man bei diesem Gemetzel aber nicht  von einer Schlacht, sondern nur von einem Gefecht, das Gefecht am Sandershäuser Berg.

Karte mit Schauplatz der Schlacht
Schauplatz der Schlacht  Foto: @Falk Urlen

1762 versuchten 80000 Mann der französischen Truppen in das Hannöverische, wie es damals hieß,  vorzudringen, wurden aber von Herzog Ferdinand von Braunschweig  bei Schloss Wilhelmstal überrascht und zerschlagen, eine Gruppe zog sich über  Kassel  nach Crumbach, ihrem Hauptquartier, zurück. In Kassel  lagerten 6000 französische, schweitzer und saarbrücker Soldaten, dazu kamen 2000 Verwundete im Feldlazarett. Die in der Nähe lagernde französische Hauptarmee zog im August ab, so dass Kassel den Alliierten jetzt einnehmbar erschien. Um diese Besatzer zu vertreiben, wurde Kassel blockiert, es wurde von Nahrung und Wasser  abgeschnitten, um die Besatzung durch Hunger zur Übergabe zu zwingen. Der Kommandeur Diesbach hatte es aber geschafft, in den ersten Tagen der Belagerung durch einen Trick aus der nicht gut bewachten Gegend an der Fulda bis nach Melsungen über 100 Rinder, einige hundert Schweine und beinahe 2000 Schafe zu rauben und in die Stadt zu bringen. Dennoch wurde die Not immer größer, bald gab es nur noch Haferbrot und Pferdefleisch. Anfang Oktober wurden dann noch die Gärten vor den Toren der Stadt ruiniert, die Bäume gefällt und am 16. Oktober 1762 verwandelte sich die Blockade in eine Belagerung. Die Eingeschlossenen versuchten am 16. Oktober nachts Ausbruchversuche über Laufgräben, so auch im Kasseler Osten in Höhe der Pulvermühle in Richtung Bettenhausen. Dabei ging die Pulvermühle, die Ölmühle an der Losse und der Agathof in Flammen auf.

Den Bewohnern der Leipziger Vorstadt  und des Siechenhofes wurde angekündigt, dass ihre Häuser in jedem Fall niedergebrannt würden. Daraufhin wurden die Häuser niedergerissen, um Brennholz zu gewinnen, der Siechenhof neben der Kirche wurde niedergebrannt.

Feldkanone
Feldkanone  Foto: Falk Urlen, Kassel

1806 erschienen die Franzosen schon wieder. Unter Marschall Mortier rückten sie am 31.10. von der Söhre her in Richtung Bettenhausen vor. Am nächsten Morgen stehen am Siechenhof französische Wachtposten, die dem Reisewagen des Kurfürsten, der Kassel durch das Leipziger Tor verlassen will, die Durchfahrt verweigern. Kurz darauf marschieren die Franzosen in Stärke von 6000 Mann über die Fuldabrücke in die Stadt Kassel ein. Damit beginnt für Kassel und Kurhessen die Zeit der französischen Fremdherrschaft unter Napoleon, der am 18. August seinen Bruder Jérome als König des Königreichs Westphalen, in dem 2,6 Millionen Menschen wohnen, einsetzt. Die Menschen hatten sich mit dem System arrangiert, die Wirtschaft gedieh. Aufständische wurden im Castel eingesperrt oder auf dem Forst erschossen. Heute weisen dort noch Denkmäler auf diese „Patrioten“  hin.

Jérôme Bonaparte als König des Königreichs Westphalen,
Jérôme Bonaparte als König des Königreichs Westphalen  Foto: Porträt von François Gérard

Die Auflösung des Westphälischen Königreiches ging  wiederum vom Kasseler Osten aus. Als die „Grande Armee“ zutiefst geschwächt vom Rußlandfeldzug zurückkehrte, erfuhren die gegen Napoleon stehenden verbündeten Russen durch einen Spion, dass Kassel nicht in der Lage sei, sich zu verteidigen. In Gewaltmärschen drang der russische General Czernitscheff mit seinen ca. 3000  Kosaken von der Elbe kommend am 28. September 1813 in die Kasseler Region bei Niederkaufungen ein. Jérome, der westphälische König, hatte bereits davon erfahren und verlies mit 160 Wagen über die Frankfurter Straße die Stadt.

General Czernitschew
General Czernitschew  Foto: Regensburger Portraitgalerie

Den Kosaken entgegen wurden einige Kompanien unerfahrener Soldaten geschickt. Eine Gruppe, die den Eichwald verteidigen sollte, lief zu den Russen über. Die im Forst stationierten Kanonen wurden von den Russen übernommen und gegen Kassel eingesetzt, richteten hier aber, bis auf den Tod eines Gärtners auf dem Friedrichsplatz, keinen Schaden an. Die Kämpfe hatten am Kupferhammer begonnen; in der Nähe des Fackelteichs, fiel der Oberst Brediarka, dem in Melsungen ein Denkmal gesetzt wurde.

Die Brücke war verbarrikadiert und die Angreifer sahen zunächst keine Möglichkeit, Kassel einzunehmen, so lagerten sie auf dem riesigen Gebiet des Forstes. Um die Größe zu beschreiben schildert ein Autor, dass hier 1799 das hessische Heer für 20000 Soldaten ein Feldlager aufgeschlagen und  vor vielen tausend Besuchern ein Manöver durchgeführt hatte. Czernitschew zog sich danach über die Söhre nach Melsungen zurück, so dass die Kasseler meinten, er wäre endgültig abgezogen. Zwei Tage später, am  30. September, aber standen die Kosaken wieder vor den Toren der Stadt; unter dem Druck der Eingeschlossenen  kapitulierte der Kommandant und übergab die Stadt. Die Franzosten zogen ab, die Kosaken zogen am Abend in die Stadt ein und am nächsten Tag erklärte Czernitschew im Namen des russischen Zaren das westphälische Königreich für aufgelöst. 

Kosaken mit Pferd
Kosaken  Foto: Falk Urlen, Kassel

Die Verteidiger hatten ein Bataillon mit zwei Geschützen an der Bettelbrücke, die Wahlebachbrücke vor der heutigen Kreuzung Sandershäuser Str./Leipziger Str. postiert. Ein Geschütz wurde dabei zerstört, die Kasseler Soldaten überrannt; die russischen Angreifer postierten sich danach vor der Fuldabrücke und ließen die Gefangenen des Kastells frei.

Wilhelm IX. Landgraf von Hessel-Kassel
Wilhelm IX. Landgraf von Hessel-Kassel  Foto: Boettner 1795

Am 21.11.1813 kehrte Kurfürst Wilhelm I. aus Prag in die Heimat zurück und wurde am Messinghof von Bettenhäusern feierlich begrüßt, es heißt, die Bürger hätten die Pferde ausgespannt und die Kutsche selber nach Kassel gezogen. Leider machte der Kurfürst alle napoleonischen Errungenschaften wieder zunichte, indem es das alte repressive System wieder herstellte, inclusive der gepuderten Perücken.

 

Bild Rückkehr des von Napoleon veren Kurfürsten Wilhelm I , seine Kutsche wird ab
Rückkehr des von Napoleon vertriebenen Kurfürsten Wilhelm I , seine Kutsche wird ab "Bettelbrücke" von Bürgern gezogen (Archiv Agathof)  Foto: Falk Urlen, Kassel

Autor und Redaktion: Falk Urlen (Juli 2020)

Militärische Aktionen aus dem Kasseler Osten vom 17. bis 19. Jahrhundert

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Kurzbeschreibung

Der Kasseler Forst wurde immer wieder vom Militär beansprucht bzw. genutzt, von Freund und Feind. Das begann im 16. Jahrhundert, als er unter Landgraf Philipp  abgeholzt wurde, weil er zu nahe an die Festung Cassel heranreichte. Er war ein ideales Gelände für Manöver und Truppenaufmärsche. Im siebenjährigen lagerten hier mehrere Truppen, z. T. wochenlang. Von hier aus rückten die französischen Truppen zur Schlacht am Sanderhäuser Berg aus. Kassel wurde belagert und sollte ausgehungert werden. Von hier aus wurde das Westfälische Königreich aufgelöst.

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