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Nichtschuldig - - - oder doch?

Das Titelblatt des Heftes "Nichtschuldig"

Das Titelblatt des Heftes "Nichtschuldig"
Foto: E. Bilfinger; Eigenverlag, 1905

In der Nacht vom 20. zum 21. Januar 1905 fand in Bettenhausen im Schlafzimmer des Bahnhofwirtes Johannes Weisel eine schreckliche Bluttat statt. Die Ehefrau des Wirtes wurde umgebracht und am Morgen des 21. Januar tot aufgefunden, daneben lag ihr Ehemann mit aufgeschnittenen Pulsadern an beiden Unterarmen. Im Juli 1905 verurteilte das Schwurgericht in Kassel Johannes Weisel zu sieben Jahren Zuchthaus wegen Totschlags an seiner Ehefrau. Der Arzt und Heilpraktiker Sanitätsrat Dr. med. Eugen Bilfinger, der J. Weisel als Patient kennengelernt hatte, versuchte nach der Verurteilung in einer von ihm herausgegebenen Broschüre zu beweisen, dass J. Weisel sich nicht des Totschlages schuldig gemacht habe, sondern unschuldig sei!

Seit der Eröffnung der Cassel-Waldkappeler-Eisenbahn (CWE) im Dezember 1879 hatte Bettenhausen auch einen Bahnhof. Das Bahnhofsgebäude befand sich an der Leipziger Straße und trug bei der Eröffnung der Eisenbahn die Hausnummer 69. Wie zu der damaligen Zeit üblich, gab es im östlichen Anbau des stattlichen Gebäudes eine Bahnhofsgasstätte, die von vielen Reisenden auch als Wartesaal genutzt wurde.

Bahnhof Bettenhausen Vorderseite
Bahnhof Bettenhausen vor der Bombardierung in 1943  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.

Der als Sohn eines Kaufmanns am 30. September 1872 in Spangenberg geborene Johannes Weisel bewarb sich als gelernter Kellner im Jahr 1898 um die Konzession zum Betrieb der Bahnhofsgaststätte in Bettenhausen. Nach dem Erhalt der Schankerlaubnis und der Übernahme der Wirtschaft heiratete er am 9. Dezember 1898 die Tochter des Lehrers Johann Heinrich Falck aus Röllshausen. Allerdings fand die Eheschließung nicht die uneingeschränkte Zustimmung der Familie der Ehefrau. Ihr Bruder wollte die Ehe grundsätzlich verhindern und der Brautvater verweigerte die Auszahlung der versprochenen Mitgift in Höhe von 3000 Reichsmark, wogegen der jungvermählte Ehemann klagte.
Johannes Weisel zeigte sich in seinen ersten Ehejahren als nervös und leicht reizbar. Bei ehelichen Auseinandersetzungen kam es schon einmal vor, dass er seiner Frau gegenüber handgreiflich wurde und sie gelegentlich zur Bestrafung in den Keller einschloss.

Typische deutsche Bahnhofsgaststätte
Typische deutsche Bahnhofsgaststätte  Foto: Torsten Maue, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bahnhof_Klostermansfeld_(7815548436).jpg?uselang=de

Nach der Geburt des ersten Sohnes soll sich sein Verhalten gebessert haben, und die zuerst verweigerte Mitgift wurde ausgezahlt. Die Geschäfte im Bahnhof Bettenhausen liefen gut, sodass in wenigen Jahren namhafte Rücklagen gebildet werden konnten, man sprach von 10 000 RM. In der Folgezeit wurden zwei weitere Kinder geboren. Das Verhalten von J. Weisel gegenüber seinen Kindern soll liebevoll gewesen sein.

Das Gossmann_Sanatorium in der Druseltalstraße, 1894
Das Gossmann_Sanatorium in der Druseltalstraße, 1894  Foto: HNA Kassel

Erstmals im Jahr 1901 begab sich J. Weisel wegen Kopfdrucks, Herzangst und Schlaflosigkeit als Privatpatient zur Behandlung in die Goßmannsche-Naturheilanstalt in Kassel Wilhelmshöhe, Druseltalstraße 12, dort wo heute die Seniorenresidenz Augustinum steht. Leitender Arzt in diesem Sanatorium war zu jener Zeit der Arzt und Heilpraktiker Dr. med. Eugen Bilfinger. Eugen Bilfinger wurde am 12. Dezember 1846 in Welzheim/Rems-Murr-Kreis, einem kleinen Ort 40 km nordöstlich von Stuttgart, geboren. Nach seinem Medizinstudium war er von 1871 bis 1881 zweiter Gerichtsarzt in Schwäbisch Hall und in der Zeit von 1901 bis 1904 leitete er die Goßmannsche Naturheilanstalt in Kassel Wilhemshöhe. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit tat er sich besonders als Autor von wissenschaftlichen Veröffentlichungen und als Vertreter von Schwitzkuren hervor. Außerdem profilierte er sich als einer der Wortführer der ärztlichen Impfgegner gegen die gesetzlich vorgeschriebene Pockenimpfung.

Sanitätsrat Dr. med. Eugen Bilfinger
Sanitätsrat Dr. med. Eugen Bilfinger  Foto: https://de.wikipedia.org/wiki/Eugen_Bilfinger

Bis zum Wechsel von E. Bilfinger in das „Sanatorium Johannisbad“ in Eisenach/Thüringen in 1904 war J. Weisel wiederholt wochenlang als Privatpatient im „Goßmannschen-Sanatorium“ zur Behandlung seiner Angstpsychosen. Seine Frau und seine Schwiegereltern hielten ihn jedoch für einen Faulenzer und Hypochonder, der durch seine wiederholten Kuren sehr viel Geld verschwende. Nach einer wiederum erfolglosen vierwöchigen Kur bei dem Arzt Dr. Tienes in der Naturheilanstalt in Wilhelmshöhe schrieb J. Weisel am 4. Dezember 1904 einen Brief an den aus Kassel weggezogenen E. Bilfinger. Darin schilderte er seinen schlechten Gesundheitszustand und seine schweren Angstzustände. Er bat um einen zeitnahen Termin bei Dr. Bilfinger im „Sanatorium Johannisbad“ in Eisenach. Tragischerweise wurde die Antwortpostkarte von E. Bilfinger an J. Weisel im Januar 1905 von Frau Weisel gelesen und unterschlagen.

Untersuchungsgefängnis in der Leipziger Straße 11
Untersuchungsgefängnis in der Leipziger Straße 11  Foto: Stadtteilzentrum Agathof e.V.

Die Geschichte nahm danach ihren unheilbringenden Verlauf. In der Nacht vom 20. zum 21. Januar 1905, so die Aussage des Angeklagten J. Weisel später vor dem Schwurgericht in Kassel, konnte er nicht schlafen und sei sehr aufgeregt gewesen. Er habe den Entschluss gefasst, sich das Leben zu nehmen. Bei dem Versuch sich mit dem Rasiermesser die Pulsadern zu öffnen, sei seine Frau ihm in den Arm gefallen, um die Tat zu verhindern. Danach, so beteuerte er immer wieder, sei sie wie ein lebloser Gegenstand zu Boden gefallen. An den weiteren Verlauf der Nacht und zusätzliche Einzelheiten könne er sich nicht mehr erinnern.
Offenkundig wurden die Ereignisse der Tatnacht erst am darauffolgenden Morgen um 9:30 Uhr, als der 15jährige Bruder des J. Weisel, der aus dem Nebenzimmer nächtliche Schreie gehört hatte, Bahnhofsmitarbeiter über seine Erlebnisse informierte. Diese stiegen mit einer langen Leiter zum offenstehenden Schlafzimmerfenster der Weisels und erblickten auf dem Boden die tote Frau und den reglos in seinem Bett liegenden J. Weisel neben seinen drei Kindern. Nach dem Aufbruch der Tür wurde der noch lebende J. Weisel in ein Krankenhaus eingeliefert und medizinisch versorgt.

J. Weisel überlebte den Selbstmordversuch, wurde verhaftet, in die Untersuchungshaftanstalt „Elwe“ in der Unterneustadt gebracht und wegen Totschlags angeklagt. Das Gericht verfügte die Begutachtung des Angeklagten wegen seines Geisteszustandes ab dem 29.03 1905 in der Universitätsklinik Marburg. Ober-Sachverständige war der angesehene Medizinalrat Prof. Dr. Tuczek aus Marburg. Ihm zur Seite standen der Medizinalrat Dr. Heinemann und der Kreisassistenzarzt Dr. Dorn. In dem Abschlussgutachten der Sachverständigen vom Mai 1905, wurde zusammenfassend folgendes Ergebnis festgehalten.
Der Angeklagte sei zwar schwer nervenkrank aber nicht geisteskrank. Fraglich bleibe, ob er während der Tat für eine gewisse Zeit bewusstlos gewesen sein könnte. Welchen Einfluss diese Feststellungen auf die Verurteilung habe, müsse letztendlich das Gericht entscheiden.
Der Angeklagte wurde am 09.05.1905 wieder nach Kassel in die Untersuchungshaftanstalt überstellt.

AK Gerichtsgebäude Cassel, Schlossplatz 8
AK Gerichtsgebäude Cassel, Schlossplatz 8  Foto: Archiv H. Schagruen, Niestetal

Am Freitag, den 30. Juni 1905, begann unter dem Vorsitz des Landgerichtsrates Klepper vor dem Kasseler Schwurgericht das Verfahren gegen J. Weisel. Beisitzer waren der Amtsrichter Dr. Wäge und der Gerichtsassessor Dr. Baumann. Staatsanwalt Mantell vertrat die Anklagebehörde und Rechtsanwalt Heeren aus Kassel übernahm die Verteidigung. Die Gerichtsverhandlung bei schwülheißem Sommerwetter war auf zwei Tage angesetzt worden. Außer den schon o.g. Sachverständigen der Universitätsklinik Marburg, die den Angeklagten begutachtet hatten, waren die Gerichtsmediziner Medizinalrat Dr. Heinemann und Kreisassistenzarzt Dr. Dorn, beide aus Kassel, zur Verhandlung vorgeladen worden. Die beiden Ärzte aus der Goßmannschen-Naturheilanstalt, Dr. Tienes und Dr. Bilfinger, sowie der Spezialist für Nervenkrankheiten Dr. Wittgenstein aus Kassel waren zur Überraschung Bilfingers nur als sachverständige Zeugen geladen worden und mussten deshalb, während der Vernehmung der Zeugen, den Saal verlassen. Der Einspruch des Verteidigers gegen dieses Vorgehen wurde vom Vorsitzenden abgelehnt. Diese Anordnung des Gerichtes nennt Dr. Bilfinger in seinem Heft „im höchsten Grade befremdlich“.

Alle Casseler Zeitungen berichteten ausführlich über den Prozess
Alle Casseler Zeitungen berichteten ausführlich über den Prozess  Foto: HNA Kassel

Daraus ergab sich, dass sich Dr. Bilfinger später über den tatsächlichen Verlauf der Verhandlung beinahe nur über fremde Quellen (z.B. Tageszeitungen) informieren konnte. Zusätzlich hatte Bilfinger den Angeklagten nach dessen Verhaftung im Untersuchungsgefängnis besucht und zum Tathergang befragt.
Die Kinder der Familie wurden wegen ihres jugendlichen Alters auf Wunsch der Verwandten vom Gericht nicht vernommen. Der jüngere Bruder des J. Weisel verweigerte die Aussage, was die Geschworenen zum Nachteil des Angeklagten würdigten. Die Angehörigen der Frau Weisel zitierten eine Aussage der fünfjährigen Tochter des Ehepaares, sie habe gesehen, dass ihr Vater mit dem Rasiermesser am Hals der schlafenden Mutter geschnitten habe. Diese Aussage und andere negative Berichte aus dem ehelichen Alltag des Paares haben während der Verhandlung eine allgemein negative Stimmung erzeugt und auch das spätere Urteil beeinflusst

Eingang zur JVA 1 Kassel Wehlheiden
Eingang zur JVA 1 Kassel Wehlheiden  Foto: JVA 1 Kassel

Bei seiner Vernehmung vor dem Schwurgericht beteuerte der Angeklagte, was er schon bei seinem polizeilichen Verhör angegeben hatte. Wegen der unerträglichen Angstgefühle und der andauernden Schlaflosigkeit habe er sich mit dem Rasiermesser das Leben nehmen wollen, dabei sei ihm seine Frau in den Arm gefallen und danach wie ein lebloser Gegenstand an ihm heruntergesunken. Die Richter und die Geschworenen hielten die Aussagen des Angeklagten für die unglaubwürdige Ausrede eines verstockten Sünders.

Umso mehr Gewicht hatte der Befund der beiden Kassler Gerichtsmediziner. Sie hatten an der Leiche der Frau zwei Verletzungen vorgefunden. Eine kleinere unbedeutende am Kinn und eine größere an der rechten Seite des Halses. Wesentlich für den Eintritt des Todes war die Wunde an der rechten Halsseite. Der acht Zentimeter lange Schnitt klaffte einen Zentimeter breit auseinander und hatte die große Drosselvene der Länge nach durchtrennt. Todesursache war nach Angabe der Mediziner das Verbluten innerhalb weniger Minuten. Nach Ansicht des Dr. Dorn könnten es eventuell auch zehn- bis fünfzehn Minuten gewesen sein, da es sich nicht um eine Schlagader gehandelt habe. Über das Zustandekommen der Verletzungen blieben die Sachverständigen vage, ob es ein unglücklicher Zufall gewesen war, oder ein Überfall im Schlaf mit Mordabsichten, ließen sie offen.
Am vierten und letzten Verhandlungstag stellte zwischen 17:00 und 19:00 Uhr der Obergutachter Prof. Dr. Tuczek aus Marburg sein Gutachten über den Geisteszustand des Angeklagten vor. Nach seiner Ansicht sei J. Weisel zweifellos schwer nervenkrank aber im Sinne des Gesetzes nicht geisteskrank. Er könne nicht ausschließen, dass die Tat während einer kurzen Zeit im Zustand einer gewissen Art von Bewusstlosigkeit ausgeführt wurde, die beim Angeklagten die freie Willensbestimmung unterbrochen habe. Er überließ es dem Gericht die Konsequenzen für die Schuldfähigkeit des Angeklagten aus seinen Darlegungen zu ziehen, verwies aber dennoch auf den, nach seiner Meinung, fragwürdigen Wahrheitsgehalt der mündlichen Aussagen des Angeklagten vor Gericht.
In seinem Plädoyer entwarf der Staatsanwalt von dem Angeklagten das Bild eines gemeinen, verbrecherischen Menschen und malte die nächtliche Bluttat möglichst schauerlich aus. Die Anklage auf Mord ließ er fallen und plädierte auf Totschlag.
Der Verteidiger fasste sich wegen der fortgeschrittenen Zeit kurz und versuchte das Gericht von der Unzurechnungsfähigkeit seines Mandanten zu überzeugen. Der Angeklagte selbst versicherte unter Tränen, dass er unschuldig sei und immer die Wahrheit gesagt habe.

Luftbild des Regierungs- und Justizgebäudes Kassel vor dem II. Weltktieg, undatiert
Luftbild des Regierungs- und Justizgebäudes Kassel vor dem II. Weltktieg, undatiert  Foto: www. lagis-hessen.de

Am 3. Juli 1905 kurz nach 21:00 Uhr zog sich das Gericht zur Beratung zurück. Der vorsitzende Richter hatte zuvor die Geschworenen eingehend über den Unterschied zwischen Mord und Totschlag belehrt. Nach einer kurzen Beratung, weniger als eine halbe Stunde, kamen die Geschworenen zurück und es wurde folgendes Urteil verkündet: Der Angeklagte hat sich des Totschlags schuldig gemacht, mildernde Umstände waren nicht erkennbar. Wegen des Totschlags an seiner Ehefrau wird der Angeklagte zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Urteilsverkündung brach J. Weisel schluchzend in sich zusammen. Auf dem Transport vom Gericht zur Haftanstalt musste er vor einer pöbelnden Menschenmenge geschützt werden.
Als aufmerksamer Beobachter der Gerichtsverhandlung und Zeitungsleser war E. Bilfinger davon überzeugt, dass hier ein Fehlurteil gefällt worden war. Als größten Fehler bezeichnete er die medizinische Begutachtung der Schnittverletzungen am Hals der Frau. Außerdem war er davon überzeugt, dass das Gericht die Persönlichkeitsstrukturen und die Erkrankungen des Angeklagten nicht ausreichend gewürdigt habe. Unter anderem auch deshalb, weil er und seine Kollegen, als die behandelten Ärzte vor der Tat, während der Verhandlung nicht als Sachverständige berufen worden waren. In der ablehnenden Behandlung des Gerichtes gegenüber den Ärzten aus der Disziplin der Naturheilkunde, sie waren nur als sachverständige Zeugen an der Verhandlung beteiligt, glaubte er eine generell negative Einstellung der Richter zu der damals neu entflammten Lebenseinstellung der Physiatrie erkannt zu haben.
Vor diesem Hintergrund war er es sich schuldig, seine Sicht der Umstände in einem 48seitigen Heft niederzuschreiben, im Eigenverlag zu drucken und 1905 zum Preis von 50 Pfenning auf den Markt zu bringen.

 

Verfasser und Verlagsort des Heftes
Verfasser und Verlagsort des Heftes "Nichtschuldig"  Foto: E. Bilfinger

Zusammen mit seinem Sohn, einem praktischen Arzt, analysierte er den Bericht der Gerichtsmediziner und entwickelte daraus völlig neue Aspekte.

Der acht Zentimeter lange Schnitt an der rechten Halsseite von Frau Weisel verlief von oben nach unten, dies sei nach den Erfahrungen aus der Forensik für einen Mordversuch mit einem Messer völlig absurd. Halsabschneider wählten in der Regel eine zum Hals querverlaufende Schnittrichtung. Die vorgefundene Verletzung stütze also die Aussage von Weisel, dass der Schnitt während eines Handgemenges und ohne Absicht zustande gekommen war. Die wegen der Durchtrennung des glatten Halsmuskels klaffende Öffnung an der Drosselvene führte zum plötzlichen Lufteintritt bis in die rechte Herzkammer. Die Folge war, sofortige tiefe Ohnmacht mit Übergang in den Todesschlaf wegen einer Herzembolie. Schreie und Hilferufe könnten ausgeschlossen werden.
Die am Tatort vorgefundenen großen Blutlachen stammten von beiden Ehepartnern. Die Ermittler verzichteten darauf die Blutgruppen zu bestimmen und sie den am Tatort vorgefundenen Personen zu zuordnen. Da die Halsschlagader nicht verletzt worden war, sondern nur die Drosselklappe, könnte davon ausgegangen werden, dass die größere Blutmenge auch aus den Pulsadern des Mannes stammte. Die These der Gerichtsmediziner. dass der Tod von Frau Weisel innerhalb von 10-15 Minuten durch Verbluten eingetreten sei, hielten E. Bilfinger und sein Sohn für nichtzutreffend.
Auf der Grundlage seiner Feststellungen folgerte E. Bilfinger, dass der verurteilte J. Weisel sich nicht des Totschlages schuldig gemacht habe. Letztendlich sei die Tat eine fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge gewesen. Er vertrat die Meinung, es müsse unbedingt eine neue Verhandlung mit milderer Strafe zur Ehrenrettung des Täters angesetzt werden.
Das Heft schließt mit dem lateinischen Satz: „Dixi et salvavi animam“, was frei übersetzt bedeutet:“Das musste ich mir von der Seele reden.

Nach den Kenntnissen des Autors hat es kein neues Verfahren in diesem spektakulären Fall gegeben. Es ließ sich auch nicht klären, wer sich um die verwaisten Kinder des Ehepaares Weisel gekümmert hat. Wann J. Weisel nach der Verbüßung seiner Strafe entlassen wurde und wo er nach seiner Haftentlassung gelebt hat, konnte nicht ermittelt werden. Der Name „Weisel“ ist in Spangenberg und Umgebung auch heute noch häufig zu finden.

Die Naturheilanstalt Bilz in Oberlößnitz
Die Naturheilanstalt Bilz in Oberlößnitz  Foto: Brück & Sohn Kunstverlag, gemeinfrei

Der Lebensweg des Dr. Eugen Bilfinger endete am 21. Januar 1923 in Radebeul in Sachsen. Im nahegelegenen Oberlößnitz war er ab 1912 als leitenden Arzt in der „Bilz´ Natur-Heilanstalt“ tätig.

Text und Editor: B. Schaeffer, im Juni 2022

 

Quellen:

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Kurzbeschreibung

In der Nacht vom 20. zum 21. Januar 1905 fand in Bettenhausen im Schlafzimmer des Bahnhofwirtes Johannes Weisel eine schreckliche Bluttat statt. Die Ehefrau des Wirtes wurde umgebracht und am Morgen des 21. Januar tot aufgefunden, daneben lag ihr Ehemann mit aufgeschnittenen Pulsadern an beiden Unterarmen. Im Juli 1905 verurteilte das Schwurgericht in Kassel Johannes Weisel zu sieben Jahren Zuchthaus wegen Totschlags an seiner Ehefrau. Der Arzt und Heilpraktiker Sanitätsrat Dr. med. Eugen Bilfinger, der J. Weisel als Patient kennengelernt hatte, versuchte nach der Verurteilung in einer von ihm herausgegebenen Broschüre zu beweisen, dass J. Weisel sich nicht des Totschlages schuldig gemacht habe, sondern unschuldig sei!

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