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Siedlergemeinschaft Forstfeld feiert 1956 20-jähriges Jubiläum

Junkers Luftbild von 1928 von Forstfeld

Junkers Luftbild von 1928 von Forstfeld
Foto: @Stadtteilzentrum Agathof e. V.

Im Jahre 1956 feierte die Siedlergemeinschaft Forstfeld ihr erstes Jubiläum nach dem Zweiten Weltkrieg. Es war wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt, die Menschen blickten zurück und ordneten ihre Erinnerungen. In diesem Beitrag werden einige Inhalte aus der jetzt (2018) wieder aufgetauchten Festschrift wiedergegeben. Interessant ist ein Mundartgedicht, das sich mit den Vorgängen bei der Gründung der "Fieselersiedlung" im Jahr 1936 befaßt Anlage).

Landwirtschaftliche Nutzung in Forstfeld durch Waldauer Bauern
Landwirtschaftliche Nutzung in Forstfeld durch Waldauer Bauern  Foto: Stadtteilzentrum Agathof

Die Schrift beginnt mit einem Rückblick:

"Vor 50 Jahren war unsere jetzige Heimat noch ein trostloses, brachliegendes Feld, das als Ausstel­lungs- und Exerzierplatz unserer damaligen Solda­ten benutzt wurde. Es war das Forstgelände. Die alten Leute können sich noch der Pulverschuppen mit den Tag- und Nachtwachen erinnern. Im heißen Sommer 1911 brachte uns die Marokko-Krise an den Rand eines deutsch-französischen Krieges, der aber noch einmal vermieden werden konnte. Aber - das Alarmzeichen war gegeben. In den folgenden Jahren wurde eine grosse "Königl. Munitionsanstalt" an der Lilienthalstrasse gebaut, in der während des Krieges 1914 - 1918 viele Militär- und Zivilperso­nen beschäftigt wurden. Nach dem für uns verlore­nen Krieg wurde der Betrieb geschlossen, die grossen Hallen wurden geräumt und an Privatfirmen vermietet (Gobiet, Dietrich & Gobiet, Fieseler, Post). Auf der rechten Seite der Lilienthalstraße entstanden grosse Wohnhäuser und die Junkers-Werke. Langsam aber sicher erhielt das einsam stehende Doppelhaus der Brüder Kimm Gesellschaft. In der General-Emmich-Strasse entstanden einige Reihen­häuser. Jetzt wurde das Brachland grösstenteils landwirtschaftlich genutzt. Im Jahre 1931 rück­ten die späteren "Erlenfeld"-Siedler mit Kreuz­hacke und Schippe an den "Wahlebach", um die Was­serleitung zu legen zum Bau ihrer Häuser. 1932 wurde die Erlenfeld-Siedlung bezogen. Dann zeigte sich Leben am Lindenberg - die "Mehlsäcke" wuch­sen aus der Erde.

Dr. Goebel, Geschäftsführer, Kaufmännischer Direktor bei den Gerhard-Fieseler-Werken
Dr. Goebel, Geschäftsführer, Kaufmännischer Direktor bei den Gerhard-Fieseler-Werken  Foto: @Stadtteilzentrum Agathof e. V.

Im Jahre 1934 rührte es sich dann bei unserer Firma Fieseler. Verhältnisse und Umstände erfor­derten Stellungnahme zum Siedlungsproblem. Direk­tor Dr. Goebel (Bild links) leitete die vielen Besprechungen zwischen der Firma, Hessenheim und Siedlungsinte­ressenten und manches Wort musste gewechselt wer­den, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Im Jahre 1935 gelang es dann, den ersten Bauabschnitt unse­rer Siedlung im Rohbau (Bild rechts) zu erstellen. Jeden Sonn­tag waren die "Siedler" auf dem Bauplatz, manche Freude und mancher Ärger wurde geschluckt; dann wurden die Häuser verlost. Die Siedler durften Geld einzahlen für den oberen Ausbau, und wer un­bedingt an dem festgelegten Termin Einzug halten wollte, wurde um Koks zum Austrocknen der Häuser gebeten. Der Winter war kalt und lang und die Fussböden noch nicht gelegt. Aber trotz aller Schwierigkeiten zogen die Ersten im Mai 1936 ein. Aber ... w i e ! Es gab noch keine Strassen.

Rohbau eines Siedlerhauses
Rohbau eines Siedlerhauses  Foto: Falk Urlen
Überschwemmung im Neubaugebiet
Überschwemmung im Neubaugebiet  Foto: @Falk Urlen

Mit den grössten Schwierigkeiten - zum Teil durch die Fenster - erfolgte der Einzug. Aber bald sah man kein Fenster mehr ohne Gardinen, ein Zeichen, dass alles bewohnt war. Dann wurde der Hof­raum vermessen, tief ausgehoben und mit Schlacke aufgefüllt. Gartenwege, sowie Pflanzlöcher für Bäume und Sträucher wurden ausgehoben und die Abschlusshecke gepflanzt. Die Bleiche wurde pla­niert, mit Gras ausgesät und Wäschepfähle gesetzt. Der Vorgarten wurde ebenso bearbeitet ("Hochwasser auf dem Schröderplatz, Bild links). Der ganze Garten musste mit der Kreuzhacke durchgearbeitet werden und alle Steinbrocken bekamen ihren Ehren­platz. Man kann erkennen, dass die Siedler ihr gerüttelt Mass an Arbeit hatten. Aber wir wollten doch mit eiserner Energie aus dem Ackerland unsere neuen Gärten machen mit Blumen, Obst und Kleintierzucht.

Schroederplatz 1942 in einer Werkszeitung der Gerhard-Fieseler-Werke
Schroederplatz 1942 in einer Werkszeitung der Gerhard-Fieseler-Werke  Foto: Falk Urlen

So wäre ja alles in schönster Ordnung. Nur ein­zelne Siedler zogen sich zurück; sie waren ent­täuscht. Wenn nur nicht der Krieg gekommen wäre mit seinen Folgen: Einberufungen, Lebensmittel­karten und vor allem die kleinen Briefe "Für's Vaterland". Ja, es war schrecklich. Dann kam der Segen von oben. Bei nächtlichem Fliegeralarm ging es dann mit Leuchtplaketten in die Bunker. "Licht aus" rief der Mann vom Luftschutz. Es kostete Nerven und Blut - auch in unserer Siedlung. Und so kam dann Ostern 1945 mit den Amerikanern wieder etwas Neues. Alle Siedler arbeitslos.

Bombardiertes Haus in der Singerstraße
Bombardiertes Haus in der Singerstraße  Foto: Falk Urlen

Die Bäcker hatten kein Mehl für Brot oder keine Kohlen zum Backen. Ja, es war Krieg. Jahrelang mussten wir hungern. Der berüchtigte Tag "X" des Jahres 1948 ist wohl auch noch in Erinnerung. Jeder Deutsche bekam 40 DM. Durch die Gewerbe­freiheit begünstigt, erhielt unsere Siedlung außer verschiedenen Gewerbezweigen auch einen Arzt und Apotheke. Aber der Omnibusanschluss und eine Kulturhalle fehlen immer noch. In der Städtischen Siedlung entsteht ein Gebäudekomplex nach dem ande­ren. Eine Schule ist gebaut und eine Kirche soll folgen. So hat unsere Generation die Entwicklung eines Stadtteiles mit 8.000 Seelen erlebt. In der Lilienthalstrasse entwickelte sich die "Spifa" zum Grossbetrieb. Als Nachfolger der Junkers-Werke entstand die A E G Kassel, eine Glashütte und eine Aku-Fabrik. Fieseler sah mehrere Kleinbe­triebe in seinen Ruinen, bis er selbst wieder eine Fabrikation aufnahm - allerdings keine Flugzeuge. In Bettenhausen entstehen neue Werke von Bedeutung (Krupp). Wir sind also wieder ringsum von Indu­strie umgeben.

Unsere Siedlung selbst hat die grössten Kriegs­schäden wieder beseitigt. Ihr Name wurde in "Forstfeld"-Siedlung geändert, ebenso erhielten alle Strassen andere Bezeichnungen.

So nehmen wir heute den Daseinskampf wieder auf. Mancher von den alten Siedlern hat uns durch den Tod verlassen und manches hat sich geändert. Aber wir wollen nach diesem Rückblick wieder getrost in die Zukunft schauen für uns, für unsere Kinder, für unsere Forstfeld-Siedlung".

Erntedankfest-Umzug der Siedlergemeinschaft Anfang der 50er Jahre
Erntedankfest-Umzug der Siedlergemeinschaft Anfang der 50er Jahre  Foto: Falk Urlen

Redaktion: Falk Urlen (2018)

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Kurzbeschreibung

Im Jahre 1956 feierte die Siedlergemeinschaft Forstfeld ihr erstes Jubiläum nach dem Zweiten Weltkrieg. Es war wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt, die Menschen blickten zurück und ordneten ihre Erinnerungen. In diesem Beitrag werden einige Inhalte aus der jetzt (2018) wieder aufgetauchten Festschrift wiedergegeben. Interessant ist ein Mundartgedicht, das sich mit den Vorgängen bei der Gründung der "Fieselersiedlung" im Jahr 1936 befaßt.

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