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Stolperstein für Heinrich Merle
- Autor: Bernd Schaeffer
- Zeit: 1933
- Ort: Sandershäuser Straße
- Vom: 26.05.2016
- Themen: Zweiter Weltkrieg, Bedeutende Persönlichkeiten
Das Gedenk-Projekt „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig begann 1992. Mit den quadratischen in den Boden eingelassenen Messingtafeln soll an die Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert oder ermordet wurden. Auf den Tafeln wird mit von Hand eingeschlagenen Lettern an die Lebensdaten und das Schicksal der NS-Opfer erinnert. Der Verlegung durch den Künstler gehen Nachforschungen zum Schicksal des oder der Verfolgten voraus, die in „Gedenkblättern“ dokumentiert und veröffentlicht werden. So entstand quer durch Europa in den vergangenen 20 Jahren „ein großes, dezentrales Denkmal gegen Intoleranz und Rassenhass“, so Jochen Boczkowski, Vorsitzender des Kasseler Stolpersteinvereins. Am 17. Mai 2016 wurden die ersten drei „Stolpersteine“ östlich der Fulda verlegt. In der Sandershäuser Straße 24 für den Arbeiter Heinrich Merle und in der Leipziger Straße 145, direkt vor der Kunigundis-Kirche, für den Pater Karl Schmidt und den Pallottinerbruder Johann Albert Kremer .
Stolberstein für den Arbeiter Heinrich Merle
Heinrich Merle war als Kommunist von 1933 bis 1945 ununterbrochen in Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert. Er war im Mai 1945 befreit worden und ist danach verschollen.
Er ist in einer kinderreichen Arbeiterfamilie groß geworden. Die Eltern Christoph und Karoline Merle haben mit neun Kindern in den engen Gassen der Altstadt gewohnt. Heinrich ist am 12. Juli 1907 in Düsseldorf geboren. Sein Vater, Arbeitersportler und Gewerkschafter, war aus politischen Gründen von Henschel entlassen worden und hatte sich bei Düsseldorf Arbeit gesucht und ist später nach Kassel zurückgekehrt. Nach seiner Schulentlassung hat Heinrich als Sattler gearbeitet, vermutlich ohne feste Arbeitsstelle. 1929 haben Heinrich Merle und Elisabeth Pfeifer geheiratet. Zuerst haben sie zur Untermiete in der Uhlandstraße gewohnt. 1931 haben sie eine Wohnung bekommen, in der Sandershäuser Straße 24, direkt neben dem Fabrikgebäude der Schwerweberei Salzmann.
Hier ist Tochter Luise im Oktober 1931 geboren. Heinrichs proletarische Herkunft hat mit dazu beigetragen, dass er sich in der KPD organisiert hat. Er war führend tätig im Kampfbund gegen den Faschismus. Die Jahre 1930 bis 1933 waren von Arbeitslosigkeit geprägt.
Heinrich Merle gehörte zu den Arbeiterfunktionären, die bereits im März 1933 von SA-Leuten abgeholt und in Kellern misshandelt worden sind. Vom Juni bis Oktober 1933 war er im Konzentrationslager Breitenau inhaftiert. Daran schloss sich nahtlos Untersuchungshaft im Gefängnis Kassel, Leipziger Straße 11 (der Elwe) an. Wegen angeblicher Beteiligung an einem Todesfall im Jahre 1931 verurteilte ihn das Schwurgericht im April 1934 zu 3 Jahren Gefängnis. Diese Strafe musste er im Gefängnis Hameln und im Straflager Emsland verbüßen. In Hameln haben in diesen Jahren etwa 150 politische Gefangene eingesessen, darunter auch Emil Carlebach und Leon Boczkowski. Die Bedingungen im Emsland waren äußerst hart. Die Häftlinge mussten je nach Jahreszeit zwischen 8-10 Stunden täglich im Moor arbeiten. Die Verpflegung war schlecht und im Verhältnis zur harten Arbeit nicht ausreichend. Darüber hinaus waren die Häftlinge vielfachen körperlichen und seelischen Misshandlungen durch die Wachleute ausgesetzt.
Nach Strafverbüßung in 1937, folgte, ohne einen Tag Freiheit, Schutzhaft im KZ Buchenwald. Häftlingsnummer 2562. Hier traf er auf seinen Bruder Georg, * 1909, ebenfalls aus Kassel. Georg bezeugt in 1950: „Wir waren bis 1943 dort zusammen. Dann wurde mein Bruder mit einem Transport in das KZ Lublin abgeschoben, kam dann weiterhin in das KZ Auschwitz. Von dort hat er seine letzte Nachricht am 21.12.1944 geschickt.“
Über die Haft in Lublin schreibt der Mithäftling Hans Hugl im Jahr 1956: „Heinrich Merle ist mir deshalb in guter Erinnerung, weil er über ein Jahr in nächster Nähe mit mir lebte. Er befand sich als Tischler im KZ Lublin vom Januar bis Juli 1944 beim Kommando der Deutschen Ausrüstungswerke DAW. . . . . und machte gemeinsam mit mir den Todesmarsch von Lublin nach Auschwitz.“
Im Stadtarchiv Kassel gibt es die Kopie eines Briefes des Schutzhäftlings Heinrich Merle, Nr. 6722, aus Lublin, KL der Waffen SS, an Anni Stolzenbach vom 11.6.1944. Heinrich Merle kondoliert seiner Schwester zum Ableben ihres Mannes, seines Schwagers Ernst. Dieses Dokument kann leider nicht im Bild gezeigt werden.
Auch in Auschwitz musste er in den der SS gehörenden Deutschen Ausrüstungswerken (DAW) als Tischler-Kapo Zwangsarbeit leisten. Im Januar 1945 wurde Auschwitz vor der anrückenden Sowjetarmee evakuiert. Am 29. Januar 1945 kamen beide, so erinnert sich Kamerad Hans Hugl, im 500 km entfernten Mauthausen/Österreich zum Teil nach langen Fußmärschen an. Beide wurden weiter in das Außenlager Melk (75 km) verbracht. Dort mussten sie für die Steyr-Daimler-Puch-Werke Kugellager und Rüstungsgüter produzieren. Etwa 5.000 Menschen kamen während des einjährigen Bestehens dieses Konzentrationslagers um. Im ehemaligen Krematorium ist heute eine Gedenkstätte. Der Leidensweg der Häftlinge ging weiter. April 1945 erneute Evakuierung und Marsch in westlicher Richtung ins 150 km entfernte KZ Ebensee. Hans Hugl schreibt: „ . . . wurde anfangs April nach Ebensee verbracht und schlief mit mir in einer Baracke. Die Befreiung in Ebensee am 8.5.1945, meinem Geburtstag, erlebte er. Zu dieser Zeit war er krank, hatte Wasser.“
In einer eidesstattlichen Erklärung vor dem Amtsgericht Wiesbaden sagt Hugl im November 1956: „Ja, am 8.5.1945 hat man den Stacheldraht durchschlagen. . . . Merle war im Lager mit Karl Plättner, sozialistischer Theoretiker und Schriftsteller und einem anderen Kameraden aus der kommunistischen Jugend befreundet. Obwohl sie noch sehr schwach waren, verließen die Drei am 9. oder 10.5.45 gegen meinen Rat das Lager. . . . Tatsache ist, dass er mit Plättner wegging und nicht in Kassel ankam“.
Amtliche Todeserklärung zum 31.12.1945.
Luise Streichardt, Tochter von Heinrich Merle, sowie Klaus Peter und Karola Streichardt aus Hamburg sind Paten des Stolpersteins.
Mehr Informationen zum Thema Stolpersteine in Kassel finden Sie hier: http://stolpersteine.jimdo.com/
Text: Jochen Boczkowski, März 2016
Editor: Bernd Schaeffer, Mai 2016
Quellen:
- StadtA Kassel Meldekarte Merle
- Adressbücher Kassel
- Entschädigungsakte Merle - HHStAW 518 4096
- Dietfrid Krause-Vilmar: Das Konzentrationslager Breitenau 2000 (Foto)
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Kurzbeschreibung
Das Gedenk-Projekt „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig begann 1992. Mit den quadratischen in den Boden eingelassenen Messingtafeln soll an die Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert oder ermordet wurden. Auf den Tafeln wird mit von Hand eingeschlagenen Lettern an die Lebensdaten und das Schicksal der NS-Opfer erinnert. Der Verlegung durch den Künstler gehen Nachforschungen zum Schicksal des oder der Verfolgten voraus, die in „Gedenkblättern“ dokumentiert und veröffentlicht werden. So entstand quer durch Europa in den vergangenen 20 Jahren „ein großes, dezentrales Denkmal gegen Intoleranz und Rassenhass“, so Jochen Boczkowski, Vorsitzender des Kasseler Stolpersteinvereins. Am 17. Mai 2016 wurden die ersten drei „Stolpersteine“ östlich der Fulda verlegt. In der Sandershäuser Straße 24 für den Arbeiter Heinrich Merle und in der Leipziger Straße 145, direkt vor der Kunigundis-Kirche, für den Pater Karl Schmidt und den Pallottinerbruder Johann Albert Kremer .
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