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Leben in den Kleingärten im Kasseler Osten

Schild Kleingärtner Verein Lossegarten e.V.

Eingang zum Kleingärtnerverein
Foto: Elke Pfarr

Kleingärten waren in den 1940/50/60ziger Jahren wohl hauptsächlich auf die Selbstversorgung ausgelegt. In der heutigen Zeit zählen sie zu den Erholungsgebieten. Hier kommen Mitglieder der Gruppe mit eigenen persönlichen Erinnerungen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu Wort:

Der Kleingartenverein gilt als typisch deutsche Institution. Tatsächlich gibt es nirgendwo in Europa mehr Schrebergärten als in Deutschland. Sie gelten als Paradebeispiel für die mutmaßlich typisch deutsche Liebe zu Regeln und Vorschriften. Schließlich gibt es für Kleingärten sogar ein eigenes Gesetz: das Bundeskleingartengesetz (BKleinG). (siehe Hintergrund)

In Armen- und Arbeitergärten stand die Selbstversorgung im Vordergrund. Die Ursprungsidee war:„ Allen Menschen sozial gerecht die Möglichkeit zu bieten für die eigene Ernährung und wenig Geld Lebensmittel anzubauen.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg war dies noch einer der wichtigsten Gründe. Dies wandelte sich schon in den späteren 1960er Jahren zunehmend. Für die Städter ohne eigenes Grundstück hieß es, Schrebergarten pachten und die Parzelle zunächst rein zum Zweck der Erholung nutzen. Ganz nach dem Motto: Raus aus der Stadt, rein in die Natur.

In den 70 Jahren seit 1954 hat sich die Anzahl der Vereine in Kassel Ost kaum verändert, aber die Art der Nutzung ist eine völlig andere. Die Aufstellung über die Standort ist unten zu lesen. Das Kasseler Adressbuch von 1954 weist im Kasseler Osten die aufgeführten Kleingartenvereine aus. 2023 werden im Verzeichnis der Mitglieder des Stadt- und Kreisverband Kassel der Kleingärtner e.V. die Anlagen im Kasseler Osten aufgeführt.

 
1954
 
 
2023
 
 
Kleingartenverein Fackelteich
 
  
 
Kleingartenverein zum Forstgelände 
 
  
 
Kleingartenverein Helleberg 
 
 
KGV Helleberg e.V.
 
 
Kleingartenverein Losse 
 
 
Kleingärtnerverein Losse e.V.
 
 
Kleingartenverein Lossestraße 
 
 
KGV Osterholz e.V.
 
 
Kleingartenverein Schwanenwiese
 
 
KGV Schwanenwiese e.V.
 
 
Kleingärtnerverein Waldauer Wiesen
 
 
KGV Waldauer Wiesen e.V.
 
 
Kleingartenverein Steinbreite 
 
 
 
 

Martina, Jahrgang 1959

Mein Großvater, der ein begeisterter Kleingärtner war, besaß eine Parzelle im Kleingarten Verein an der Losse, er war in den 50 und 60ziger Jahren auch als Kassenwart im Vorstand des Vereins. Es gab allerlei Gemüse im Garten, Kartoffeln. Möhren und Bohnen, viele Beerensträucher und Obstbäume. Die ganze Familie wurde versorgt. Von Frühjahr bis Herbst verbrachte die Familie fast jedes Wochenende im Garten und mangels Auto wurden die Wege von der Leipziger Straße Höhe Hallenbad Ost und dem Garten zu Fuß zurück gelegt. Die Frauen haben vorgekochte Mahlzeiten mitgebracht, alles im Kinderwagen transportiert. Es gab eine Laube auf dem Grundstück, an deren Einrichtung ich mich aber nicht erinnern kann. Ein Brunnen mit Schwengelpumpe sorgte für Wasser zum Trinken, Gießen und erfrischen.

Martina sitzt mit ihrer Schwester im Garten neben dem Gartenhaus
Ich sitze mit meiner älteren Schwester im Garten  Foto: Martina Bätz Kassel

Mein Opa als echter Patriarch, hat die Arbeitseinsätze organisiert. Meine Oma, die genug mit der Versorgung zu tun hatte, hat sich dem Unkraut zupfen dadurch entzogen, das sie behauptete, das Unkraut von den kleinen Kulturpflanzen nicht unterscheiden zu können. Zum Beweis ihrer angeblichen Unkenntnis hat sie einige Male die kleinen Gemüsesämlinge herausgerissen. Das gab einen Mordskrach aber seit dieser Zeit war sie vom Unkraut reißen befreit.

Martinas Opa auf seiner Gartenparzelle mit Hacke bei der Arbeit im Hintergrund Gartenlaupe
Mein Opa auf seiner Gartenparzelle im Kleingärterverein an der Losse, 1950er Jahre  Foto: Martina Arnold, Kassel

Meine Mutter erzählte, dass in der Parzelle auch Tabakpflanzen angebaut wurden, die dann getrocknet von den Frauen der Familie fein geschnitten und den Männern geraucht wurden.

Ich habe die Zeit als Kind im Garten sehr genossen, im Wasser des alten Lossearms haben wir Kinder gespielt und so manchen Blutegel mit heimgebracht. Einer der Nachbargärten wurde von einer Flüchtlingsfamilie aus Ostpreußen bewirtschaftet, die sehr viel von der Vergangenheit erzählten, so gab es nebenher auch Geschichtsunterricht.

Gerhard, Jahrgang 1941

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Kleingärten am Fackelteich den ausgebombten Kasseler Bürgern, das Überleben erleichtert. Der Anbau von Obst und Gemüse versorgte sie mit notwendigen Nahrungsmitteln. Die große Wohnungsnot der ausgebombten Familien zwang zur Nutzung und Ausbau der Gartenlauben. „Das Wohnen wurde von Seiten der Stadt, stillschweigend geduldet“, berichtete der zuständige Sachbearbeiter Schmidt der Stadtverwaltung.

Im Gelände wohnten nicht nur viele Mitglieder, auch einige Gartenfreunde hat es durch die Evakuierung nach außerhalb verschlagen. In der Gartenanlage, die 18 Hektar umfasst, zählte man 200 Bombentrichter, die mit Trümmerschutt gefüllt und dann die Oberfläche mit einer Schicht Erde versehen wurde. Familie Casselmann, aus der Leipziger Str. 27 die schon in den dreißiger Jahre einen Kleingarten im „Fackelteich“ besaßen wurden nach Dagobertshausen evakuiert und mussten nach dem Krieg mit der Bahn oder Bus zu ihren Garten fahren.

Garten Familie Casselmann
Garten Familie Casselmann  Foto: Gerhard Böttcher, Kassel

Da das Wirtschaftsgebäude der ehemaligen Flakeinheit, in der maximal 50 Leute Platz fanden, für inzwischen wieder angewachsen Mitgliedschaft von 358 Kleingärtnern nicht mehr ausreichte, plante man den Neubau eines Vereinshauses, um auch die Gemeinschaft wieder zu festigen. Der Bau der 1953 beschlossen wurde dauert zwei Jahre bis zur Einweihung 1955. Es war ein Kraftakt fast jedes Wochenende kamen nach einem Dienstplan vierzig bis fünfzig Mitglieder und legten Hand an. Bauleiter war Kassierer Georg Meyfahrt, für den Innenausbau zeichnete Maler und Werkmeister, Schriftführer Fritz Scherer, nur die Dachkonstruktion fertigte ein Zimmermeister.

Erhard, Jahrgang 1948

Wir wohnten in meiner Kindheit in der Eichwaldstraße in Bettenhausen. Ich konnte aus dem Fenster des Kinderzimmers direkt auf die weiten Felder zwischen Bettenhausen und Sandershausen schauen.

Hier gab es damals auch Kleingartenanlagen so z.B. den Kleingartenverein Steinbreite und später den KGV Osterholz e.V.. Aus den Feldern wurde Ende der 1950er Jahre ein Gewerbegebiet, es siedelten sich immer mehr Firmen an. Meine Eltern hatten nur für kurze Zeit einen Garten in der Steinbreite bis er aufgegeben werden musste. Ohnehin hatte mein Vater, der aus der Großstadt Hamburg kam, keinen Bezug zu, wie er sagte, Ackerbau und Viehzucht. Als die Gärten in der Steinbreite aufgelassen wurden war das der ideale Abenteuer-Spielplatz für uns Kinder. Hier konnte man sich an zurückgelassenen Bäumen und Sträuchern freizügig mit Beeren und Obst versorgen. Die hohen Obstbäume eigneten sich besonders zum Klettern. Einmal habe ich mit einem Freund eine Seilrutsche in die Krone eines Baumes installiert. Dazu wurde ein Seil in der Astgabel des einen Baumes befestigt und entfernt davon das Ende um den Stamm eines Zweiten gewickelt und gespannt. Mit einem Zweiten kürzerem Strick, den wir uns um die Hüfte knoteten, konnte wir uns mit einem Karabinerhaken in das gespannte Seil einklinken und rasant zum Fuß des anderen Baumstammes rutschen. Durch alte Autoreifen wurde der Aufprall abgebremst. Dies erforderte schon einigen Mut und war nicht ungefährlich. Ich verletzte mich am Finger durch Reibung an dem gespannten Seil. Es gab eine Verbrennung zu der ich natürlich meinen Eltern keine Erklärung geben konnte.

Ein Ehepaar und ein kleiner Junge stehen auf einem Gartenweg auf dem Lindenberg, die Frau trägt einen Blumenstrauß, 1947
Meine Eltern und mein Bruder beim Sonntagsausflug im Garten am Lindenberg, 1947  Foto: Fam. Schaeffer, Kassel

Ein Onkel hatte später einen Kleingarten im KGV Osterholz e.V. gepachtet. In dieser neuen Anlage war alles in der „ein Drittel kleingärtnerische Nutzung“ durch Satzung geregelt. Die Gärten waren ein gezäumt in Parzellen angelegt eigentlich langweilig. Sie sahen alle gleich aus, besaßen Rasen, Beete und Grabeland. Außer Sträuchern gab es nur kurzstämmige Obstbäume, zum Seilrutschen nicht geeignet. Allen eigen waren die einheitlichen Lauben für Geräte, Tische und Stühle, die nur eine maximale Größe besitzen durfte. Zum Wohnen waren sie nicht zugelassen.
Im Gartenverein gab es anfangs weder eine Kanalisation noch für die einzelnen Parzellen einen Frischwasseranschluss, Wasserzuleitungen kamen erst später, ebenso die Stromversorgung.  Wir besuchten die Verwanden im Kleingarten bevorzugt an Sonn- und Feiertagen zum Kaffeetrinken.

Unser eigener Obstgarten befand sich auf dem unbebauten Grundstück der Großeltern am Lindenberg. Hier versorgte sich die Familie mit Pflaumen, Äpfel und Birnen. Sie wurden alljährlich nach der Ernte mit Fahrrädern oder Handwagen nach Hause transportiert, durch Einmachen konserviert und im Winter in Gläsern oder in Kisten im Keller eingelagert. Als Grabeland war das Grundstück nicht geeignet, es war zu steinig.

Editorin: Martina Arnold, November 2024

Quellen:

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Kurzbeschreibung

Hintergrund

Gemäß §1 des Bundeskleingartengesetzes (BKleingG) ist ein Garten nur dann ein Kleingarten im Sinne des Gesetzes, der „zur nichterwerbsmäßigen gärtnerischen Nutzung, insbesondere zur Gewinnung von Gartenbauerzeugnissen für den Eigenbedarf, und zur Erholung dient“.
Ursprünglich war in dieser Zweckbestimmung die „Erholung“ nicht enthalten, doch wurde sie eingeführt, nachdem die allgemeine Ernährungsversorgung besser geworden war und auch weniger reiche Bevölkerungsschichten auf die gärtnerische Selbstversorgung nicht mehr angewiesen waren. Kleingartenanlagen, die dem Bundeskleingartengesetz unterliegen, besteht für die Pachtparzellen die „ein Drittel kleingärtnerische Nutzung“ Pflicht. Wer einen Kleingarten besitzt muss danach mindestens ein Drittel der Fläche durch Anbau von Obst und Gemüse zum Eigenverbrauch kleingärtnerisch nutzen.

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