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Wolle waschen mit Lossewasser
- Autor: Bernd Schaeffer
- Zeit: 1850-1899
- Ort: Kasseler Osten
- Vom: 12.07.2020
- Themen: Firmen- und Industriegeschichte, Industrie und Gewerbe
Über Jahrhunderte erhielten Schafe vor der Schur eine sogenannte Rückenwäsche, um das Wollvlies von groben Verunreinigungen zu befreien. Erst mit der Vorstellung einer Wollwaschmaschine auf der Weltausstellung 1867 in Paris veränderte sich das mühsame Verfahren der Handwäsche. Industriell betriebene Lohnwäschereien wuschen zunehmend größere Mengen in kürzerer Zeit mit besseren Ergebnissen. Die Standortvoraussetzungen, um Wolle zu waschen, waren an der Losse in Bettenhausen ideal. Schon 1891 gründete der Wollhändler Bernhard Mosbacher in der Sandershäuser Chaussee eine Dampfwollwäscherei. Etwa 1904 folgte im ehemaligen Kupferhammer an der Leipziger Straße 407 die Wollwäscherei von Moritz Katz, Jacob Lewandowski und Siegfried Pincus. An diesem Standort wurde von der Wollwäscherei Walter Geissler noch bis 1961 Wolle gewaschen. Der Handel mit Wolle und deren Behandlung ist inzwischen weltweit konzentriert; die letzte Wollwäscherei in Deutschland hat 2009 geschlossen.
Durch ausgegrabene Wollfilze ist belegt, dass der Mensch schon vor 7000 Jahren den Wert und die Vielseitigkeit von Schafwolle erkannt hatte. Mit der Erfindung der Schere in der Eisenzeit ca. 600 Jahre v. Chr. wurde es möglich den Schafen das Wollvlies abzuschneiden. In der Regel geschah dies einmal jährlich, im Frühjahr.
Um die unerwünschten Verunreinigungen der Wolle zu entfernen, bekamen die Schafe bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts eine sogenannte Rückenwäsche vor der Schur. Ein ungeliebtes, mühsames Verfahren, das zudem nur mäßigen Erfolg hatte.
Professor Moritz Rühlmann berichtete in den Mitteilungen des hannoverschen Gewerbevereins im Jahre 1868 erstmals über die Anwendung einer Wollwaschmaschine, ausgestellt auf der Pariser Weltausstellung in 1867. Die erste Maschine dieser Art, die wegen ihrer Leistungsfähigkeit den Namen Leviathan erhielt, wurde 1863 von Melen in Verviers konstruiert und ist das Vorbild für alle späteren Waschmaschinen geblieben. Diese Maschine mit dem sonderbaren Namen Leviathan (Leviathan ist der Name eines Seeungeheuers der jüdisch-christlichen Mythologie) war offensichtlich in der Lage Wolle in größeren Mengen zufriedenstellend zu waschen. Zufriedenstellend hieß in diesem Zusammenhang, dass das Wollvlies von anhaftenden unerwünschten Bestandteile unter Belassung eines gewissen Wollfettanteils befreit wurde. Während das ausgewaschene Wollfett zu großen Teilen aufgefangen wurde und als Lanolin bei der Salbenherstellung Verwendung fand, wurden die eingesetzten Reinigungsmittel und das Schmutzwasser unbehandelt in möglichst naheliegende Gewässer geleitet. Die negativen Folgen für Umwelt und Natur blieben bis zur Jahrtausendwende ohne Beachtung.
Der häufig zu findende Begriff „Dampfwollwäscherei“ deutete darauf hin, dass mit der Kraft einer Dampfmaschine die großen Wollwaschmaschinen angetrieben wurden.
Das maschinelle Ungeheuer war in Anschaffung und Betrieb sehr teuer und musste deshalb als Lohnwaschmaschine täglich eingesetzt werden. Die Schafbauern fürchteten anfänglich wegen des zwischengeschalteten Handels Ertragseinbußen und leisteten erheblichen Widerstand. Auf der anderen Seite waren sie froh, vom ungeliebten Rückenwaschen am lebendigen Schaf befreit zu sein.
Der Kasseler Wollhändler Bernhard Mosbacher nahm 1891 an der Sanderhäuser Chaussee 48 auf dem Gelände des ehemaligen Agathofs unmittelbar neben der Lossebrücke eine Lohn-Wollwäscherei in Betrieb. Der vorhandene Lossemühlgraben diente als Wasserlieferant und die Abwässer konnten in der nahen Losse entsorgt werden.
Bernhard Mosbacher, war in Marktbreit in der Nähe von Würzburg geboren und wohnte in Kassel in der Querallee 11. Nachdem er ab etwa 1877 in der Wollhandlung Katz u. Söhne, Inh. Moritz u. Sally Katz, als Prokurist gearbeitet hatte, eröffnete er 1885 zusammen mit seinem Bruder Fritz eine eigene Wollhandlung und ab 1891 die Wollwäscherei Mosbacher AG. In 1923 wurde sein Sohn Hans Mosbacher Miteigentümer der Firma.
Hans Mosbacher, geb. 1882, hatte als junger Mann in England eine Lehre absolviert und auch einige Jahre in Frankreich gelebt. Seine dort erworbenen Sprachkenntnisse ermöglichten ihm während des Ersten Weltkrieges in einem Kriegsgefangenenlager in der Nähe von Kassel als Dolmetscher zu agieren.
Mit Firmensitz an der Sandershäuser Straße engagierte sich Hans Mosbacher in der Führung der dort verlaufenden Industriebahn Bettenhausen GmbH. Gemeinsam mit dem bei Salzmann & Comp. beschäftigten Direktor Heinrich Brencher lenkte er ab 1929 die Geschäfte der Privatbahn.
Die Wollwäscherei Mosbacher AG beschäftigte 1927, nach den Ausführungen von Bruno Jacob in seiner Chronik über das Dorf Bettenhausen, fünf Angestellte und 25 Arbeiter, war also nach heutiger Definition ein mittelständischer Betrieb.
Nach Hitlers Machtergreifung verschlechterte sich die Lebenssituation für jüdische Mitbürger in Kassel massiv. Vor diesem Hintergrund überlegte Hans Mosbacher 1934 zum ersten Mal, nach dem Besuch seines Sohnes in Palästina, dorthin überzusiedeln. Seine Heimatliebe und die Verwurzelung in die deutsche Kultur hielten ihn zunächst in Kassel fest. Anlässlich der Auflösung der jüdischen Loge Bnai Brith, in deren Vorstand er arbeitete, nahm ihn die Gestapo fest und inhaftierte ihn zwei Tage lang im Polizeigefängnis in Kassel. Die Haft in einer dunklen Einzelzelle, ohne zu wissen, wessen er beschuldigte wurde, war ein traumatisches Erlebnis für ihn und führte zu dem Entschluss auszuwandern. Gut geplant und nach Verkauf seiner Firma verließ Hans Mosbacher 1937 Kassel und wanderte über die Schweiz mit seiner Familie nach Palästina aus. In Haifa gründete er die Import-Export Firma Palestine Wool Comp.
Die Mutter von Hans Mosbacher, Clara Mosbacher, und seine Tante Paula blieben in Kassel, wurden 1942 verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Über das Leben von Hans Mosbacher hat Eva M. Schulz-Jander das Buch „Von Kassel nach Haifa“ geschrieben.
Auf dem Gelände der ehemaligen Wollwäscherei Mosbacher befindet sich heute (2020) die Hermann Riede Straßen- und Tiefbau GmbH.
Herz gen. Hermann Rubensohn (1837 – 1919) aus Beverungen verlagerte seinen Kleie- und Futtermittelhandel um 1868 nach Kassel und wohnte mit seiner Familie an der Terrasse 13. Um die Verpackungskosten für seinen Handel zu senken, kam er auf die Idee, die Produkte zukünftig in Säcken aus indischer Jute zu verkaufen. In Rothenditmold gründete er 1882 die „Casseler Jutespinnerei H. Rubensohn“ und produzierte aus dem Gewebe Jutesäcke für sich und für den Verkauf an Dritte. Seine beiden Söhne Emil (1866 – 1956) und Ernst (1873 – 1951) führten eine Zeit lang mit ihm gemeinsam die Geschäfte.
Ernst Rubensohn blieb Eigentümer der Jutespinnerei in Kassel bis zu seiner Emigration nach London im Jahre 1939.
Emil Rubensohn betrieb ab 3.10.1894 in Kassel einen eigenen Kleie-Handel und heiratete im gleichen Jahr Tony Hammerschlag.
Im Zuge der Losseregulierung wurden in Bettenhausen -noch vor der Eingemeindung in 1906- mehrere massive Steinbrücken erbaut. Mit der neue Lossebrücke in der Stiftstraße (heute: Dormannweg) waren sowohl die Firma Kadruf als auch die ehemalige „Walke Mühle überm Dorfe“, die viele Jahre von der Kasseler Wolltuchmachergilde betrieben wurde, besser erschlossen. Das Gelände dieser Mühle und die vorhandenen Gebäude an der Stiftstraße 39 kaufte Emil Rubensohn in 1905.
Hier gründete er die „Rubensohn u. Co. Wollwäscherei“. Aus dem gleichem Mühlgraben wie die Firma Kadruf entnahm er das Frischwasser und leitete es nach Gebrauch in die Losse zurück.
Emil Rubensohn wohnte in der Kölnischen Straße 51 und war als Bürger tief mit dem sozialen Leben der Stadt verbunden. Er wirkte nicht nur im Vorstand der Jüdischen Gemeinde von Kassel und Umgebung mit sondern war auch Mitglied der Gesellschaft für Humanität. Im 1907 gegründeten Bürgerverein Bettenhausen amtierte er eine Zeitlang als Vorsitzender.
1926 verkaufte Rubensohn sein Werk an A. Krämer, der dort eine Fabrik für Lacke, Farben und Kitt betrieb. Als Kaufmann, Wollhändler und Privatmann findet man Emil Rubensohn noch einige Jahre im Kasseler Adressbuch in der Kölnischen Straße 51. Am 24.08.1939 emigriert er mit seiner Frau Tony und den beiden Töchtern Gertrud und Hedwig nach London und nennt sich fortan Emil Israel Rubensohn.
Heute (2020) ist am Dormannweg 39 von der alten Mühle nur noch ein einziges Gebäude zu finden, das als Mietskaserne genutzt wird.
Die oben erwähnte Wollhandlung Katz u. Söhne wurde 1830 als Tuchfabrik in Melsungen gegründet. Der Sitz der Firma war Kassel, die Wollwäscherei befand sich in der 1856 wieder aufgebauten Katzmühle in Melsungen. Ab 1885 erscheint die Fa. Katz, H. und Söhne in der Bahnhofstraße 22A im Kasseler Adressbuch. Teilhaber waren zu dieser Zeit der Sohn von Hirsch Katz, Moritz Katz und Bernhard Mosbacher, der dann ab 1891 seine eigene Wollwäscherei betrieb. In der Großen Rosenstraße 5 wurde unter dem Namen H. Katz u. Söhne noch eine Tuchfabrik genannt, die von Sally Katz einem weiteren Sohn von Hirsch Katz geführt wurde.
Ab 1901 sind der Fabrikant Jacob Lewandowsky und der Kaufmann Siegried Pincus Miteigentümer in der Fa. Katz und Söhne. 1904 wird auf dem Gelände des ehemaligen Kupferhammers, zwischen Leipziger Straße und Losse gelegen, eine Dampf-Wollwäscherei gegründet. Zu dieser Zeit sind nur noch J. Lewandowsky und S. Pincus Eigentümer der Firma Katz. Auf dem Areal des Kupferhammers wird in einer Lohnwäscherei industriell Wolle gewaschen. In Zeiten der Inflation geriet die Fa. Katz u. Söhne in Turbulenzen und musste liquidiert werden.
Ab 1925 taucht erstmals die „Casseler Wollwäscherei A.G.“ an der Leipziger Straße 407 mit dem Vorstand A. Eckstein auf. Unter der gleichen Adresse betrieb S. Pincus die Wollhandlung „Pincus u. Co“. Ab 1926 ist S. Pincus wieder Vorstand der Wollwäscherei im Kupferhammer.
Die „Casseler Wollwäscherei A.G.“ wurde am 23.12.1936 in eine Kommanditgesellschaft mit den Kommanditisten Helene Pincus, Fabrikant Victor Karl Oppenheim, Rechtsanwalt Dr. Leopold Oppenheim sowie Kaufmann Siegfried Pincus als persönlich haftendem Geschäftsführer umgewandelt. Am 28.12.1937 erfolgte unter dem von den Nazis auf die jüdischen Unternehmen ausgeübten Druck der Verkauf der Dampfwollwäscherei an den Kaufmann Walter Geißler zum Preis von ca. 90 00 RM. (Anfang der 1950er Jahre bezahlte Geißler im Rahmen eines Rückerstattungsverfahrens und eines Vergleichs noch zusätzlich 45.000 DM)
Nachdem Helene und Siegried Pincus innerhalb der Stadt Kassel mehrfach zwangsweise umgezogen waren, wurden sie Opfer der dritten Deportation aus dem Regierungsbezirk Kassel am 7. September 1942, deren Ziel das Ghetto Theresienstadt war. Siegried Pincus wurde am 28.01.1943 im Konzentrationslager Theresienstadt umgebracht.
Walter Geißler, geboren am 18.11.1894 in Leipzig, hat die Anlagen auf dem historischen Kupferhammer zu einer modernen Dampfwollwäscherei ausgebaut. Die Wollwäscherei verarbeitete nicht nur Wolle aus Deutschland und ganz Europa sondern auch aus Neuseeland, Australien und Südafrika. Als einzige Wollwäscherei im amerikanisch besetzten Teil Deutschlands gelingt es Geißler schon 1946 Baumaterialien und eine Genehmigungen für dem Ausbau seines Betriebes zu bekommen. Die weltweit eingekaufte Wolle wird in modernen Gebäuden von fachkundigen Mitarbeiter/innen nach Feinheit, Länge und Farbe sortiert und anschließend in Großmaschinen gewaschen und getrocknet. Die gewaschene Ware wurde in Ballen zusammengefasst und versandt. In Spitzenzeiten waren dies bis zu 15 000 Kilo täglich. In den 1950er Jahren gab es nur noch drei Wollwäschereien dieser Größe in der Bundesrepublik, unter anderem in Hannover-Döhren.
Heute (2020) wird in Europa nur in Belgien Wolle in großen Mengen gewaschen. Die letzte industrielle Lohnwäscherei für Wolle hat in Deutschland in 2009 seine Tore geschlossen. Führende Nation in der Verarbeitung von Schafwolle ist die Volksrepublik China.
Die mit der Wäscherei verbundene Wollhandlung des Walter Geißler brachte es mit sich, dass er als Kaufmann weltweit unterwegs war. Auf einer dieser Geschäftsreisen ist er in Wellington im fernen Neuseeland am 5. April 1955 verstorben. Die Wollwäscherei existierte noch unter der Geschäftsführung seiner Frau Johanna und seines Bruders Herbert Geißler bis 1960, danach wurde der Kupferhammer verkauft und diente vielfältiger Nutzung.
Heute (2020) werden unter der Adresse Leipziger Straße 407 Tagungsräume, Antiquitäten, Veranstaltungen und Werkstatträume angeboten. Nach einer Zeit des Brachliegens und des Verfalls ist neues Leben in diesem historischen Standort eingezogen.
Text und Editor: Bernd Schaeffer, Juli 2020
Quellen:
- Eine Chronik, Bettenhausen 1906 – 1956, Kurt Klehm, Bettenhausen-Verlag, 1956
- Industriedenkmal Kupferhammer, Herausgeber: Mag. der Stadt Kassel, 1998
- Meyers Konversationslexikon, 1905
- „Von Kassel nach Haifa – Die Geschichte des glücklichen Juden Hans Mosbacher“, euregioverlag Kassel, Eva M. Schulz-Jander, 2008
- Eine jüdische Familie in Nazi-Deutschland, Benyamin Maoz, Even Yehuda, Israel, 2003
- Beiträge zu einer Geschichte hessischer Unternehmer im frühen 19. Jahrhundert, Siegfried Lotze
- www.reichelsheim-wetterau-wiki.de/images/e/eb/Schafe_waschen_in_Horloff.jpg, aufgerufen im Juli 2020
- www.lanaalbamons.wordpress.com/machbarkeitsstudie/2-wollwascherei-begriffsdefinitionen-und-geschichte/, aufgerufen im Juli 2020
- www.lanolin.com/index.php/lanolin-basics/from-fleece-to-grease.html, aufgerufen im Juli 2020
- www.kassel-stolper.com/biografien/helene-und-siegfried-pincus/, aufgerufen im Juli 2020
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Kurzbeschreibung
Über Jahrhunderte erhielten Schafe vor der Schur eine sogenannte Rückenwäsche, um das Wollvlies von groben Verunreinigungen zu befreien. Erst mit der Vorstellung einer Wollwaschmaschine auf der Weltausstellung 1867 in Paris veränderte sich das mühsame Verfahren der Handwäsche. Industriell betriebene Lohnwäschereien wuschen zunehmend größere Mengen in kürzerer Zeit mit besseren Ergebnissen. Die Standortvoraussetzungen, um Wolle zu waschen, waren an der Losse in Bettenhausen ideal. Schon 1891 gründete der Wollhändler Bernhard Mosbacher in der Sandershäuser Chaussee eine Dampfwollwäscherei. Etwa 1904 folgte im ehemaligen Kupferhammer an der Leipziger Straße 407 die Wollwäscherei von Moritz Katz, Jacob Lewandowski und Siegfried Pincus. An diesem Standort wurde von der Wollwäscherei Walter Geissler noch bis 1961 Wolle gewaschen. Noch vor der Eingemeindung von Bettenhausen kaufte in 1905 der Kaufmann Emil Rubensohn die ehemalige Walkmühle in der Stiftstraße 39, um darin eine Dampfwollwäscherei zu eröffnen. Der Handel mit Wolle und deren Behandlung ist inzwischen weltweit konzentriert; die letzte Wollwäscherei in Deutschland hat 2009 geschlossen.
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