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Reminiszens an meinen Arbeitsplatz bei der ENKA
- Autor: Falk Urlen
- Zeit: 1985
- Ort: Industriegebiet Lilienthalstrasse/Wohnstrasse
- Vom: 06.09.2012
- Themen: Arbeiterbewegung, Menschen erzählen
Hannelore Diederich schreibt 1985 in einem Beitrag im Buch von Helmut Haase: "Eineinhalb Jahre danach" ihre wehmütigen Erinnerungen an ihren früheren Arbeitsplatz bei ENKA nieder.
Weil ich noch in der Nähe des ENKA-Geländes wohne, werde ich immer wieder an die Zeit erinnert, in der ich dort beschäftigt war, das waren mehr als 10 Jahre.
Gelernt habe ich in einem Industriebetrieb, und so war mir die Struktur von ENKA nicht fremd. Betriebsbedingt war ich in vielen Abteilungen tätig. Meine Betriebskenntnis lag weit über dem Durchschnitt. Damit verbunden waren viele persönliche Kontakte. Oftmals bekam ich zu hören: "Wen Sie alles kennen... "
Ich möchte diese Zeit mit der Situation vergleichen, wenn man in einem Dorf aufwächst und mit zunehmendem Verständnis immer mehr Kontakte zu den Mitbewohnern aufnimmt. Das Wort „Spinnfaserfamilie“ ist nicht nur eine Floskel. Die lange Betriebszugehörigkeit führte dazu, dass man seine Kollegen von mehreren - und nicht nur von den besten - Seiten kennenlernte. Freundschaften bauten sich auf. Und brauchte man mal einen bestimmten Rat, dann wusste man, Kollege Meier hat dieses und jenes Hobby... und kann Auskunft geben.
Am meisten hat mir wehgetan, dass diese Gemeinschaft auseinandergerissen wurde. Es war ja nicht so, dass man altersbedingt ausgeschieden wäre oder man mit dem Arbeitsplatz nicht zufrieden war. Ein Vergleich fällt mir schwer; ein Zuckerkranker darf seine Leibspeise nicht mehr essen, eine Hobbystrickerin bekommt Gicht, ich darf nicht mehr in meine Heimat! Am besten hat Christine Brückner meine Gefühle in ihrem Roman „Nirgendwo ist Poenichen“ ausgedrückt.
Seit 8 Monaten hatte ich nun Gelegenheit, meinen Arbeitsplatz bei ENKA mit denen in anderen Firmen zu vergleichen. Es gibt keinen Vergleich! Natürlich sind in anderen Unternehmen auch nette Mitarbeiter beschäftigt, aber die Familie fehlt, das soziale Umfeld fehlt, die vertraute Umgebung fehlt. Lange Zusammenarbeit schafft viele gemeinsame Erinnerungen. Neue Bekanntschaften erweitern zwar den Gesichtskreis, als „Neue“ ist man aber auch von den Erinnerungen in anderen Betrieben ausgeschlossen. Diese Möglichkeit des Erinnerungsaustausches ist ein für alle Mal verloren. Ein Gespräch anlässlich eines zufälligen Zusammentreffens auf der Straße oder auch bei einer Verabredung ersetzt diesen wichtigen Lebensabschnitt nicht. Warum kommen immer wieder so viele Rentner in „ihre“ Firma?!
Bei dem Gedanken, warum das alles so gekommen ist, mache ich mir immer wieder Gedanken über die Politik und unser Wirtschaftssystem. Dieses Thema möchte ich absichtlich ausklammern. Ich möchte mir meine Erinnerung an eine sehr schöne Zeit durch ein aufgewühltes und verärgertes Inneres nicht verderben. Ich hoffe nur, dass dieses Beispiel andere Arbeitnehmer vor ähnlichen Erfahrungen bewahren kann.
So traurig der Anlass auch war, mit die schönste Zeit bei ENKA war der Arbeitskampf. In dieser Zeit traten die wahren Charaktere der Kolleginnen und Kollegen zutage. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir für viele, speziell für die älteren Mitarbeiter, einen großen finanziellen Vorteil erkämpft haben. Diese 2 1/2 Jahre haben bei mir persönlich den Blick für unser Wirtschaftssystem und die Probleme in anderen Betrieben geöffnet. Der Satz "Von der Schließung betroffen" lässt mich heute aufhorchen, während diese Meldung vor unserem Arbeitskampf von mir unter "ferner liefen" aufgenommen wurde."
1 1/2 Jahre danach:
Vor einigen Wochen war ich aus privaten Gründen wieder auf dem ehemaligen ENKA-Gelände. Stellen Sie sich vor, Sie wären im Harz in der heutigen DDR geboren und haben einen Großteil Ihres Lebens dort verbracht. Anlässlich eines Besuches sehen Sie Ihre Heimat hinter der Grenze wieder; trotzdem ist diese für Sie unerreichbar. Dieses Gefühl habe ich jedes Mal, wenn ich am ENKA-Gelände vorbeifahre. Der Vorstand hat mir meine Heimat genommen.
Ohnmächtiger Zorn ergreift mich bei dem Gedanken, dass ein Mensch (Aufsichtsratsvorsitzender) mit seiner Joker-Stimme eine so große Macht besitzt und über Wohl und Wehe von so vielen Menschen bestimmen kann, die er gar nicht kennt. Und das Ganze nennt sich Mitbestimmung!
Meine persönliche Einschätzung zum Arbeitskampf im Telegrammstil:
- Neue Maßstäbe gesetzt,
- Arbeitgeber verunsichert,
- neue Grenzen des Arbeitskampfes gesteckt,
- den wahren Charakter der Mitarbeiter kennengelernt,
- für viele Kolleginnen und Kollegen wirtschaftliche Vorteile erstritten durch Hinauszögern des Termins der Schließung,
- gute Unterstützung von der Kommune, könnte aber noch besser gewesen sein aufgrund des Ausmaßes der Bedrohung von Lebensverhältnissen."
Editor: Falk Urlen, September 2012
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Kurzbeschreibung
Hannelore Diederich schreibt 1985 in einem Beitrag im Buch von Helmut Haase: "Eineinhalb Jahre danach" ihre wehmütigen Erinnerungen an ihren früheren Arbeitsplatz bei ENKA nieder.
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