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Die Wohnstrasse- Jugenderinnerungen eines Berliners
- Autor: Bernd Schaeffer
- Zeit: 1965
- Ort: Wohnstraße
- Vom: 28.07.2009
- Themen: Jugend- und Kindheitserinnerungen, Menschen erzählen
Hier erzählt Dr. Rudolf (Rudi) Mach seine Jugenderinnerungen an die Wohnstraße und die angrenzende Spinnfaser AG. 1965 hat R. Mach mit seinen Eltern den Wohnort gewechselt und lebt heute in Berlin.
Die Wohnstraße war fast eine Idylle .Eine abgeschlossene Sackstraße, durch die zum Schichtwechsel von Spifa und AEG das arbeitende Volk strömte, doch dann war Ruhe und Frieden: Eine Straße zum Wohnen, die "Wohnstraße". Meine Erinnerungen an die Jugendzeit von 1945 bis 1965 soll etwas Vergangenes zurückholen, obwohl dies natürlich ein unerfüllbarer Wunsch bleiben muss.
Mit den zunehmenden Bombardierungen von Städten im zweiten Weltkrieg wurde von der Reichsregierung bestimmt, dass kinderreiche Familien aus den großen Städten in schwach besiedelte Gebiete evakuiert werden.
Meine Familie kam im Mai 1943 etwa 16 km südlich von Kassel nach Oberalbshausen zum Bauern Georg Zülch, der zwei Zimmer zur Verfügung stellen musste. Für unsere auseinandergenommenen Möbel war in der Scheune eine Abstellmöglichkeit. Ein Schreibtisch blieb im Keller unserer Wohnung in der Wohnstraße 4 zurück.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges und nach Rückkehr nach Kassel-Bettenhausen waren keine Amerikaner mehr in der Wohnstraße oder in diesem Raum. Sie hatten nur in der Wohnstraße 4 den im Keller eingelagerten Schreibtisch von Papa ziemlich demoliert und er war nicht mehr zu gebrauchen. Im Keller desselben Hauses waren an den Türrahmen Nummern gepinselt. Das Leben ging in normalen Bahnen weiter.
Beim Rumstromern fand ich an der Leipziger Straße die Fa- Röttger, Altmetalle, wo auf dem Hof riesige Kugellager mit dem Schweißbrenner zerschnitten wurden. Ob der Betrieb zum ehemaligen Panzerturmbauer Wegmann gehörte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall wurden Panzerturmkugellager zerschnitten, aus denen glänzende Kugeln herausfielen, die bestimmt über 500 g schwer waren. Damit konnten wir wunderbar spielen und wir durften uns jede Menge Kugeln mitnehmen. Man musste nur aufpassen, dass beim "Klickern" keine Finger zwischen die Kugeln kamen. Die Kugeln hatten nur einen Nachteil, dass sie sehr schnell rosteten. Dann machte das Spielen mit ihnen keinen Spaß mehr.
Jeden Donnerstag trafen sich die Wohnsträssler, Interessierten und andere Gäste an der werkseigenen Kegelbahn, die unter dem Gästehaus in Wohnstr. 3b war, zum Kegeln und zur Geselligkeit. Ich durfte Kegeln aufstellen, da die Anlage nicht mechanisch war. Für "Ratten"(Fehlwürfe) und "Alle Neune" gab es einen Groschen für den Kegelaufsteller extra. Der Abend brachte ca. DM 10,00. Interessanter Spieler war Herr Nonnenmacher, der bei Dunkelheit die Bauern links und rechts traf bzw. rückwärts alle Neune warf. Damit hat er manche Wette, meistens eine Flasche Jägermeister, den anwesenden Gästen "aus dem Kreuz gedreht" und gewonnen. Später übernahm mein Bruder, Helmut Mach, das Kegelaufstellen.
Grünkern war in der häuslichen Ernährung eine regelmäßige Grundlage. Dies lag daran, dass Oma Spiess regelmäßig Pakete von Karlsruhe nach Kassel für die Kleinen schickte und immer war darin auch ein Päckchen Grünkern. Obwohl dieses Zeug von niemandem gern gegessen wurde, ist an der Zusendung keine Kritik geübt worden, um die regelmäßige Zuwendungen nicht zu gefährden. Die nicht verbrauchten Grünkern-Päckchen wanderten in die Speisekammer in ein oberes hinteres Gefacht. Mutter fand beim Umzug von Wohnstr. 7 in die Heinrich-von-Gerlach-Straße größere Mengen Grünkern, die wegen mangelndem Interesse in den Abfall gelangten. Wie Grünkern-Suppe Vater Ulrich "mundete" ist nicht überliefert, wohl nicht besonders.
Ende des Krieges und danach wurde die Tennisanlage nicht genutzt. Sie wurde wohl erst wieder 1950 hergerichtet. Vater spielte auch eine Zeitlang dort. Warum er das Tennisspielen einstellte, ist mir nicht bekannt. Vielleicht bekam er dort nicht die Muße, die er sich erhoffte. Ich war auf der Anlage längere Zeit Balljunge für ca. DM 0,50/Stunde.
In jedem Garten befanden sich diverse Wäschestangen, um dazwischen die frisch gewaschene Wäsche auf Wäscheleinen zum Trocknen aufzuhängen. Waschtag war wohl früher der Donnerstag. Zum Waschen gab es extra eine "Waschküche". Die Stangen ließen sich jedoch auch gut zum Turnen bzw. Hochklettern zu nutzen. Vater zeigte einmal, dass er noch die Hängekippe vom Reck beherrschte.
Im Wilden Garten Wohnstraße 11 stand kurz vor der Mauer eine sehr große Linde. Während eines Jahres in den Sommerferien wurde mit geklauten Bohlen, Brettern usw. ein Baumhaus gebaut. Es war recht stattlich und eine schöne Rückzugsstätte. Man konnte von dort auch gut die "Riemänner" aus der Lilienthalstraße, die mit der Wohnstraße "Krieg" führten, sehen, Jungen aus der Nachbarschaft, unsere erklärten "Feinde". Dieses Kapitel spielte sich nur hinter der Mauer und hinter den Gärten ab. Von diesem Baum fiel meine Schwester Erika später und brach sich den Halswirbel, weshalb sie lange im Krankenhaus liegen musste. Als der Herbst/Winter kam und das Laub abfiel, war das Baumhaus gut zu sehen und unser Versteck wurde entfernt.
Im Wohnhaus Nr. 5 befand sich unter dem Dach eine Höhle, die nur für Kinder durch einen kleinen Gang kriechend zu erreichen war. Hier konnte man ungestört rauchen, ohne gesehen zu werden. Von Mutti wurden wir nicht entdeckt, obwohl sie sich einmal wunderte, dass es auf dem Dachboden so nach Tabak stank. Lange Zeit stand im Keller eine kleine, halbautomatische Hand-Tabak-Schneide-Maschine mit halbautomatischem Vorschub, die dann wegen Nichtnutzung den Weg in den Schrott fand. Als es dann wieder Zigaretten nach Wahl gab, wurde auf "Bahndamm" verzichtet. Vater rauchte dann platte Zigaretten ohne Filter (gelbbraune Papppackung). Die Marke hieß "Gelbe Sorte". Unter den Kindern der Straße wurde fleißig Karten gespielt. Waren es zuerst Spiele mit den Ober- und Unterdeckeln von Zigarettenschachteln wie Mokri, Old Joe usw., so ging man zu Rommee, Skat und Doppelkopf über. Vor allen Dingen in den Sommerschulferien war das Kartenspielen eine existentielle Unterhaltung. Später kam noch Monopoly dazu. Wir hatten das den Erwachsenen abgeschaut, da diese nach dem Kegeln oft noch eine Runde Skat klopften.
Auf dem Weg zwischen Brücke und der Ochshäuserstraße waren zur Abgrenzung zu den Kleingärten große Ligusterhecken gepflanzt. Sie boten Niststätten für Amseln und andere Vögel und ernährten aber auch sehr große, grüne Raupen, die mir Bewunderung aber auch Respekt einflößten. Später erfuhr ich, dass es sich um Raupen des Ligusterfalters handelte. Später sah ich sie als Insekt aufgespießt im Museum.
Es war unter den Kindern in der Wohnstraße so um die 12 Jahren üblich, Höhlen oder Erdhöhlen zu bauen. Wolfgang Schmidt hatte eine besonders schöne aus Erde, in die er auch kaum jemand anderen rein ließ, bis sie zusammenkrachte und er noch drinnen war. Man hat ihn lebend rausgeholt nach ganz kurzer Zeit, aber danach war die Lust an solchen Höhlen plötzlich weg.
Durch wen auch immer - vielleicht CVJM - wurden wir veranlasst, für verschiedene karitative Verbände zu sammeln, vor allem mit der Büchse für das Rote Kreuz. Manchmal wurden Papierblumen verkauft. Meistens war es für uns reiner Ehrendienst, manchmal bekamen wir von den verkauften Strohblumen etwas ab. Am liebsten standen wir direkt bei Betriebsschluß am Pförtner-Häuschen und drängten uns den herausströmenden Menschen auf. Oft mussten wir von Pförtner in unsere Schranken verwiesen werden. Meistens war das Ergebnis positiv. Mit den AEG-Arbeitern hatten wir weniger Erfolg und am Pförtnerhäuschen wurden wir weggescheucht.
In unserer Jugendzeit gab es wenig organisierte Unterhaltung, kein Fernsehen, ab und zu mal Kino und Ausflüge. Hier kam das Angebot der evangelischen Kirche mit dem CVJM (Christlicher Verein Junger Männer). Ich stieß mit ca. 9 Jahren dazu und blieb bis zum 17. Lebensjahr dabei. Außerdem war ich Helfer bei einer CVJM-Jugendsommerfahrt nach Borkum (Waterdelle) - es war eine schöne unbeschwerte Zeit. Noch einmal war ich "Helfer" neben Achim Methe und Peter Mewis für 3 Wochen. Es war schon etwas Besonderes, als 17-jähriger eine Gruppe von ca. 15 Jungens zu betreuen, von denen der älteste knapp 16 war. Es war eine wunderschöne Zeit mit sehr wenig Schlaf.
Zu Hause gingen die normalen Ausflüge nach Heiligenrode, auf den Viehberg, in die "Wartburghütte" wo meistens der Diakon Segner unsere Leitungsperson war. Normalerweise fuhren wir mit dem Fahrrad dorthin.
Im Sommer bei Hitze war der schönste Badeort für mich und wahrscheinlich auch andere das Wehr der Fulda bei Bergshausen. Die Fulda überströmte das Wehr und ein Teil des Wassers floss in ein Kraftwerk und erzeugte Strom. Dieser Teil der Fulda hatte eine recht starke Strömung und war nicht ungefährlich und wurde deshalb von uns gemieden. Wasser, welches das Wehr überströmte, floß anschließend breit auf einer gemauerten Fläche abwärts wieder in die Fulda. Auf den gemauerten Steinen zu liegen und sich vom Wasser überströmen zu lassen, so dass man sich in einer Gischt- Wolke befand, war wunderbar.
Anmerkung: 1965 hat R. Mach den Wohnort gewechselt und lebt heute in Berlin.
Quelle: Die persönlichen Jugenderinnerungen des Dr. Rudolf (Rudi) Mach, zusammengefasst und bearbeitet von Gerlinde Kühn, Staufenberg
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Hier erzählt Dr. Rudolf (Rudi) Mach seine Jugenderinnerungen an die Wohnstraße und die angrenzende Spinnfaser AG. 1965 hat R. Mach mit seinen Eltern den Wohnort gewechselt und lebt heute in Berlin.
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