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Global Player - Chemische Fabrik Bettenhausen Marquart & Schulz
- Autor: Erhard Schaeffer
- Zeit: 1850-1899
- Ort: Sandershäuser Straße
- Vom: 05.03.2015
- Themen: Firmen- und Industriegeschichte, Industrie und Gewerbe
In der Zeit der aufblühten Industrialisierung erfuhr auch der Kasseler Vorort Bettenhausen einen maßgeblichen Aufschwung. Die Gründung der Chemischen Fabrik Bettenhausen von Marquart & Schulz im Jahr 1876 fällt in diese Zeit. Die Firma ist ein Beispiel für die sich in jener Epoche neu entwickelnde Chemieindustrie.
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in Bettenhausen mehr und mehr Gewerbe- und Industriebetriebe. An der neuen Industriestraße, Sandershäuser Straße, an der neben der Firma Salzmann, die Chemische Wäscherei und Färberei Ludwig Gerhardt & Söhne, die Hafercacao-Fabrik, die Wollwäscherei Mosbacher , die Seifenfabrik Diemar & Heller und später die Otto Miram Zündholzfabrik ihren Sitz hatten, wurde 1876 die Chemische Fabrik Bettenhausen von Marquart & Schulz gegründet. Sie produzierte chemisch-technische und pharmazeutische Produkte sowie Rohmaterialien für Anilinfarbenfabriken. An ihrem Standort in der Sandershäuser Straße 108³/4 waren neben den Unternehmern, Dr. Paul Marquart und Arthur Schulz, drei Chemiker, sechs Beamte und 70 Arbeiter beschäftigt. Ihre Hilfsmittel für Bleicherei, Färberei und Appretur wurden nicht nur in das preußische Deutschland verkauft, sondern gingen in die ganze Welt. Ihre Geschäftspartner saßen in Amerika, Russland, Schweiz, Österreich und Italien.
In der ab 1877 herausgegebenen Chemiker-Zeitung, dem “Central-Organ“ für Chemiker, Techniker, Fabrikanten, Apotheker und Ingenieure, warb die Firma für ihre Produkte.
Auf der Weltausstellung in Chicago 1893 war die Chemische Fabrik Bettenhausen Marquart & Schulz mit einer Vielzahl von ausgestellten chemischen Substanzen und Produkten vertreten. Ein Komitee unter Leitung von Dr. Holtz aus Berlin hatte dafür im Auftrag des Deutschen Kaisers Fabriken, welche für medizinisch-pharmazeutische Zwecke arbeiteten, und solchen, welche Präparate für wissenschaftliche oder für technische Zwecke fabrizierten, ausgewählt. Damit traten sie im deutschen Pavillon in einer Reihe z.B. mit dem ältesten pharmazeutisch-chemischen Unternehmen der Welt, der Firma Merck aus Darmstadt und den Farbenfabriken vormals Friedr. Bayer und Co. in Elberfeld, auf.
Auch auf der späteren Weltausstellung 1900 in Paris besetzte die Chemische Fabrik Bettenhausen Marquart & Schulz einen Stand.
Dr. Paul Marquart hatte mehrere Patente für chemische Verfahren in Deutschland, den USA und Großbritannien inne. So besaß er ein Patent auf das Verfahren zur Herstellung haltbarer Lösungen von Kupferoxydammoniak. Kupferoxydammoniak, (Schweizer Reagenz), wurde bei der Herstellung von künstlicher Seide eingesetzt. In Schweizers Reagenz aufbereitete Cellulose-Lösung wurde 1892 erstmals zur Herstellung von Glühfäden verwendet. Das Verfahren konnte später soweit verfeinert werden, dass sich die gelösten Cellulosefasern auch zur Weiterverarbeitung zu Textilgewebe nutzen ließen. Dies war eine revolutionär Erfindung weil die bis dahin hergestellte so genannte Kunstseide auf Cellulosenitrat (Nitrocellulose) basierte. Nitrocellulose, bekannt auch als Schießbaumwolle, hat einen großen Nachteil, sie verbrennt explosionsartig.
In den USA besaß er zusammen mit Rudolf Schenk aus Marburg ab 1905 ein Patent auf die Herstellung von rotem Phosphor. Roter Phosphor wurde z.B. aus Sicherheitsgründen als Ersatz für den gesundheitsschädlichen weißen Phosphor bei der Herstellung von Zündhölzern eingesetzt. Das Reichspatent Nr. 86203 von Schwiening, dem Firmeninhaber der Zündholzfabriken Otto Miram in Bettenhausen, für die neue Zündmasse von Streichhölzern löste in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts die bis dahin verwendete Zündmasse mit weißem Phosphor ab.
Dr. Marquart war als angesehener Chemiker auch im Vorstand der Deutschen Elektrochemischen Gesellschaft tätig.
Die Chemische Fabrik Bettenhausen bestand an ihrem Standort in Bettenhausen bis 1926. Mit der Eingemeindung von Bettenhausen 1906 wurden Straßen und Hausnummern neu benannt. Aus dem Grundstück 108³/4 wurde die Sandershäuser Straße 66-80. Bis 1918 war Paul Marquart Geschäftsführer des Unternehmens, zur Geschäftsleitung zählten der Kaufmann Alfred Eckhardt, der Prokurist Dr. Karl Dreyer und der Chemiker Dr. Heinrich Schuh. Nach dem Ausscheiden von Dr. Marquart übernahm Dr. Schuh die Geschäfte. Er führte die Firma unter "Chemische Fabrik Bettenhausen GmbH vormals Marquart & Schulz" weiter. 1926 wurde die Firma nach 50 Jahren aus dem Handelsregister gestrichen. Von der Firma Kaysan & Wagner in der Ochshäuser Straße wurden die Handelsgeschäfte der Chemischen Fabrik Bettenhausen, die aufgehört hatte zu bestehen, übernommen und weitergeführt. Auf einer Teilfläche des Grundstücks Sandershäuser Straße 80 siedelt sich in 1926 der Kegel-Flugzeugbau Kassel an. Die Grundstücke Sandershäuser Straße 66, 78 und 80 waren bis 1938 im Besitz der Firma Lieberg & Co., die auch den Messinghof besaß. In der Sandershäuser Straße 80 betrieb später die Nitag ein Propangas- und Kraftstoffager. Im Jahr 2015 befinden sich auf den Grundstücken verschiedene Firmen des Autohandels.
Text: Erhard Schaeffer, Februar 2015
Quellen:
- „Chemiker-Zeitung“ , Jahrgang 1886 und 1887
- Adressbücher von Kassel 1893, 1917, 1925, 1926 und 1938
- Die Chemische Industrie auf der Columbischen Weltausstellung im Jahr 1893, Polytechnisches Jornal 1893, Band 290
- Die Künstliche Seide: Ihre Herstellung und Verwendung von Karl Süvern, H. Frederking
- Stadt Kassel, Amt für Vermessung und Geoinformation
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Kurzbeschreibung
In der Zeit der aufblühten Industrialisierung erfuhr auch der Kasseler Vorort Bettenhausen einen maßgeblichen Aufschwung. Die Gründung der Chemischen Fabrik Bettenhausen von Marquart & Schulz im Jahr 1876 fällt in diese Zeit. Die Firma ist ein Beispiel für die sich in jener Epoche neu entwickelnde Chemieindustrie.
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